Reportage | Kiffen in Los Angeles: Zu Besuch in den legalen Cannabis-Boutiquen

Unsere Hostess deutet auf vier Glasglocken vor uns auf dem Tisch, die geheimnisvolle schwarze Gesteinsbrocken enthalten, und fragt: „Wisst ihr, was Terpene sind?“ Die Wände ringsum sind mit Spiegeln verkleidet, die von lila, rosa und violett leuchtenden Neonbögen gekrönt werden, der kleine Raum wirkt dadurch wie eine kosmische Kapelle, ein intergalaktischer Schrein für kostbare Meteoriten. Wir befinden uns im Wyllow, einer der neuen Cannabis-Boutiquen in Los Angeles, die entschlossen sind, das bescheidene Kraut in schwindelerregende neue Höhen zu katapultieren.

Schwungvoll lüftet unsere Gastgeberin eine der Glocken. Ein reichhaltiges Bouquet von Zitrusnoten mit Untertönen von Kiefern strömt mir entgegen. Der Duft einer anderen Glocke ist eher rauchig, der einer dritten moschusartig und erdig mit einer süßen Nelkennote.

„Terpene sind die flüchtigen Kohlenwasserstoffe, die den Pflanzen ihr Aroma verleihen“, erklärt sie und klingt wie eine Shampoowerbung, wenn der wissenschaftliche Teil kommt. „Und sie verleihen den verschiedenen Cannabis-Sorten ihr einzigartiges High.“ Die Steine vor uns sind keine Brocken gealterten Vintage-Haschischs, wie ich naiverweise dachte, sondern Lavasteine, die mit bestimmten Terpenen beduftet wurden. An ihnen zu schnuppern ist nur der Einstieg in dieses kuratierte Cannabis-Einkaufserlebnis – und der erste Schritt auf meiner Reise in die 30 Milliarden Dollar schwere Marihuana-Einzelhandelsbranche der USA.

In Kalifornien war Cannabis früh legal

Amerikas Peace-Love-Feelgood-Staat Kalifornien hat seit Langem ein entspanntes Verhältnis zum Gras. Als erster Staat hat er 1996 Cannabis für medizinische Zwecke legalisiert, 2016 verabschiedete er (nach mehreren anderen Staaten) ein Gesetz, das den Freizeitkonsum erlaubt. Bis dahin war der Kauf von Gras für medizinische Zwecke keine besonders einladende Erfahrung. Offizielle Dispensarien sahen aus wie illegale Verstecke, mit strengen Sicherheitsvorkehrungen und Zugang durch eine doppelflügelige Schleuse. Ein Gesicht hinter vergittertem Glas prüfte den Ausweis und das Rezept, das aus großen Gläsern hinter einem schäbigen Tresen abgewogen wurde.

„Man hatte das Gefühl, etwas Illegales zu tun“, sagt Megan Stone vom High Road Design Studio, das sich auf Cannabis-Dispensarien spezialisiert hat. „Jetzt gibt es Abgabestellen, die wie Schmuckgeschäfte, Optiker und Törtchenbäckereien aussehen und sich von dieser Kiffermentalität entfernen.“

Kalifornien ist heute die Heimat des größten legalen Cannabis-Marktes der Welt, mit einem Umsatz von 5,2 Milliarden Dollar im Jahr 2021. Und es verfügt über die größte Anbauregion der USA, die sogenannte Emerald Triangle.

„Wie möchtest du dich fühlen?“, fragt die Wyllow-Hostess und bietet mir einen Platz auf einer moosgrünen Samtbank an. „Eher ein Kopf- oder ein Körperrausch? Eher entspannt und schläfrig oder kreativ und wach?“ Ich spreche mit einer Drogendealerin, aber es fühlt sich an wie eine Sitzung mit einer Achtsamkeitstrainerin.

Wenig später erscheint sie hinter einem Vorhang mit einem Tablett, auf dem vorgerollte Joints, mit Cannabis versetzte Cracker, Pralinen und Weingummis liegen, außerdem Gläser mit getrockneten Marihuanaknospen, die wie belgische Pralinen, teures Parfüm und Brausebonbons verpackt sind. In den Regalen um uns herum stehen Flaschen mit pharmazeutischen Tinkturen und damit getränkten Streifen, die sich auf der Zunge auflösen. Im Hintergrund laufen Aufnahmen von ASMR-Klängen: eine Symphonie aus Blättchen, ausgeatmetem Rauch und Aschen.

Wyllow ist eine der neuen Boutiquen. Hier soll man auch etwas über Cannabis lernen

Foto: Wyllow

Wyllow wurde von der singapurischen Firma Space Objekt entworfen und ist die ätherische Vision von Camille Roistacher, die den 300 Quadratmeter großen Laden vergangenes Jahr in einem ehemaligen Friseursalon zwischen Beverley Hills und Culver City eröffnete. „Wir wollten einen einladenden Ort schaffen, der diejenigen anspricht, die noch nie geraucht haben oder etwas nervös sind, es zu versuchen“, sagt sie. „Das Erlebnis sollte interaktiv und lehrreich sein, damit die Kunden das Gefühl haben, mehr über Cannabis zu wissen.“

Andere Dispensarien setzen auf eine minimalistische pharmazeutische Anmutung, um ja nicht anrüchig zu wirken. MedMen eröffnete 2018 eines der ersten Dispensarien für den Freizeitkonsum in Kalifornien, ihren Laden in West Hollywood bezeichneten sie als „Apple Store für Gras“. Mittlerweile betreibt das Unternehmen 23 Filialen im ganzen Land, die alle mit langen Holztischen ausgestattet sind, an denen gut gelaunte Mitarbeiter, die hier Budtender heißen, in roten Hoodies sitzen.

„Die Mike Bites sind diesen Monat sehr beliebt“, erklärt mir ein strahlender Budtender in der MedMen-Filiale in Downtown L.A. und deutet auf eine Packung Weingummi in Ohrenform, bei denen ein mundgerechtes Stückchen fehlt. Das jüngste Produkt von Mike Tysons Grasmarke Tyson 2.0 ist eine schaurige Hommage an das Jahr 1997, als er in einem Schwergewichtskampf Evander Holyfield ins Ohr biss.

Die roten Ohren liegen ebenso wie Müsliriegel, Schokoladentaler, Zwiebelringe und Popcorn fein säuberlich ausgestellt in Petrischalen unter Glasscheiben auf den Tischen. Das genaue Verhältnis von CBD und THC (die Verbindungen, die die therapeutische und psychoaktive Wirkung hervorrufen) wird auf Touchscreen-Monitoren angezeigt. Ein anderer Tisch ist den Vape-Pens gewidmet und wieder ein anderer den getrockneten Knospen selbst, die in kleinen Plexiglasboxen mit Lupen und Belüftungslöchern aufbewahrt werden, damit man die Struktur der Blüten inspizieren und gut schnuppern kann. In Anlehnung an die „Genius Bar“ im Apple Store kann man einen Termin mit einem erfahrenen „Cannasseur“ vereinbaren, um spezielle Bedürfnisse zu besprechen – etwa, was man vor einem Date einnehmen sollte oder was es mit einem mit Cannabis versetzten Gleitmittel auf sich hat.

Ein Hollywood-Star mischt mit

Am anderen Ende der Stadt, in West Hollywood, finde ich zwei Orte, die sich über das Einzelhandelskonzept hinaus in die neue Welt des Cannabis-Konsums vor Ort vorwagen – was derzeit im County LA nur hier legal ist. Der Hollywood-Star und Weed-Aktivist Woody Harrelson steht hinter The Woods, einem biologisch orientierten Dispensarium, das im Oktober den Ganja Giggle Garden eröffnete, eine tropische Oase, in der Cannabis-Hütten zwischen Palmen stehen, flankiert von leuchtend blauen Aras und einem Teich mit Koi-Karpfen. „Dahinter stehen 20 Jahre Arbeit“, sagt der Designer Thomas Schoos, der den Garten anlegte, als sich in dem heutigen Dispensarium noch sein Atelier befand.

Er sammelte Palmfarne und Sagopalmen, Mango- und Papayabäume, exotische Orchideen und jahrhundertealte Yuccas. Das Ergebnis sieht aus wie ein balinesisches Refugium, umrahmt von ornamentalen Holzpaneelen, die aus thailändischen Tempeln stammen, und einer Freiluft-Bar, die mit einer 250 Jahre alten Decke aus einem birmanischen Kloster überdacht ist – die hier anderen spirituellen Zweck dient.

In den Regalen stehen mundgeblasene Glasbongs, Bubbler und elektronische „Dab Rigs“, dazu Becher, aus denen man den Dampf wie einen Hexentrank inhaliert. Eine Bar mit Alkoholausschank wird demnächst in der Einheit nebenan eingerichtet, verbunden durch „Guck-guck-Fenster“, wie Schoos sie nennt. Gesetzesauflage, die Räume müssen getrennt bleiben.

Die andere Konsum-Lounge in West Hollywood orientiert sich am Look einer zeitgenössischen Kunstgalerie. The Artist Tree mutet wie eine konzeptionelle Installation an. Ein freistehender, mit ultraviolettem Licht beleuchteter Glaskasten beherbergt Cannabis-Pflanzen, die zum Verkauf angeboten werden, dahinter erstrecken sich Ausstellungswände mit Gemälden und Drucken. „Wir wollten nicht wie ein dunkler, schäbiger Coffeeshop in Amsterdam wirken“, sagt Mitbegründerin Lauren Fontein. Weil sich Passanten allerdings nicht erschloss, dass es sich um einen Cannabis-Laden handelt, entschieden sie sich schließlich, zwei riesige Neon-Cannabisblätter an die Fassade zu kleben.

Ein paar Blocks weiter nördlich, auf dem Sunset Strip, kämpfte das Urbn Leaf mit ähnlichen Problemen. „Die Leute dachten, wir wären eine Parfümerie“, sagt der Geschäftsleiter, „also mussten wir ein großes „Weed here“-Schild aufhängen. Aber auch die Kundschaft entspricht nicht den Stereotypen: „Wir haben eine Menge Fitness-Leute, die sich bekiffen und wandern gehen wollen oder Cannabis für ihr Training verwenden. Es geht nicht mehr nur darum, auf der Couch zu sitzen und zu futtern.“

In Downtown LA besuche ich Green Qween, eine ehemalige Art-déco-Bank, die in den Farben der Trans-Flagge gestrichen ein Dispensarium für Marken queerer Produzenten beherbergt. „Wir möchten die queere Geschichte der Legalisierung von Cannabis würdigen“, sagt Gründer Andrés Rigal. „Sie reicht zurück bis zur Aids-Krise und Dennis Peron, der das erste öffentliche Dispensarium in San Francisco gründete.“

Und dann ist da in einem Industriegebiet südlich von Downtown noch das Traditional. Drinnen wirkt das anonyme Lagerhaus wie ein High-End-Streetwear-Outlet, Marken-T-Shirts, Hoodies und Jogginghosen hängen an Stangen, nur stehen hier auf Sockeln nicht die neuesten Sneaker, sondern die Blüten des Monats in Cannabis-Gläsern. Und es gibt hier etwas, womit nur wenige andere Geschäfte aufwarten können: Fenster, die den Blick auf eine 70.000 Quadratmeter große Anbaufläche freigeben, auf der monatlich 360 Kilogramm Cannabis produziert werden. „Wir bauen erstklassige Pflanzen an, alles unsere eigenen Sorten“, sagt Traditional-Vorstand Alex Freedman, der zuvor als Anwalt für die Stadt Los Angeles arbeitete und in dieser Funktion Cannabis-Lizenzierungsrichtlinien entwarf. „Aber unser Produkt kann 50 Prozent billiger sein, weil es hier vor Ort angebaut, getrocknet und verpackt wird.“

Er führt mich in den „Mamaraum“, wo Stecklinge von Mutterpflanzen entnommen werden, die dann in einem feuchten „Klonraum“ vermehrt werden, bevor sie schließlich in einen der riesigen „Blütenräume“ gelangen, wo Hunderte von Pflanzen weitere zwölf Wochen lang unter künstlichem Licht gezüchtet werden, bis sie die perfekten prallen, klebrigen Knospen hervorbringen, die mit haarigen Stempeln und kristallinen Trichomen besetzt sind.

Vor Kurzem, erzählt Freedman, war ein anderer Brite zu Besuch: kein Geringerer als Londons Bürgermeister Sadiq Khan, der sich in L.A. darüber informierte, wie die Legalisierung von Cannabis die Sicherheit und Qualität verbessert und – das Wichtigste – hohe Steuereinnahmen generiert hat.

Oliver Wainwright ist Architekturkritiker des Guardian