Reparationen | Verbrannte Erde: Polen will 1,3 Billionen Euro von Berlin
Eine Studie bilanziert die während des deutschen Überfalls auf Polen angerichteten Schäden. Mit den Reparationsforderungen setzt die Regierung in Warschau nun ein Zeichen

Man muss kein Anhänger der rechtskonservativen PiS-Partei sein, um angesichts des Tenors deutscher Reaktionen auf die vor Tagen erhobene Reparationsforderung den Kopf zu schütteln. Am 1. September, dem 83. Jahrestag des deutschen Überfalls, lag ein umfassender, dreibändiger Bericht zu den zwischen 1939 und 1945 angerichteten Zerstörungen vor. Dazu wurde jahrelang geforscht, um Verluste an Menschenleben, an Infrastruktur und Kulturgütern minutiös zu rekonstruieren. Zudem wurde bilanziert, was Staat und Gesellschaft an Einnahmen entgangen ist. Die Autoren führen an, dass mit jedem der durch Krieg und Besatzung getöteten etwa sechs Millionen Polen die eigene Ökonomie 166.000 Euro verloren habe. Allein ein Querlesen der auf über 1.200 Seiten detailliert dargestellten Verbrechen veranschaulicht das Ausmaß der polnischen und polnisch-jüdischen Tragödie.
Von den Reaktionen seien zwei herausgegriffen, die exemplarisch zeigen, woran es in Deutschland mangelt. So sagte Thomas Bagger, deutscher Botschafter in Warschau, der Zeitung Rzeczpospolita: „Indem die polnischen Behörden die Frage der Reparationen in unseren bilateralen Beziehungen an die erste Stelle setzen, stellen sie die friedliche Ordnung in Frage, die wir in der Europäischen Union aufgebaut haben. Das ist ein Weg, der ins Nirgendwo führt. (…) Ich erinnere mich sehr gut daran, dass die Erweiterung der Union für Deutschland von Anfang an vor allem auf Polen gerichtet war, um gemeinsam eine bessere Zukunft gestalten zu können. Das war die Verantwortung für die tragische Geschichte, die Deutschland empfand.“ Eine weniger diplomatische Stimme aus Regierungskreisen in Berlin, die Rzeczpospolita anonym zitiert, klingt noch deutlicher: „Die polnischen Behörden stoßen dort hinein, wo es keine Türen gibt, sondern nur eine Mauer. Deutschland wäre bereit, seiner historischen Verantwortung für das Unrecht, das Polen zugefügt wurde, durch symbolische Gesten wie ein Berliner Denkmal für die polnischen Kriegsopfer, die humanitäre Unterstützung der noch lebenden Opfer der deutschen Besatzung oder die Teilnahme an geplanten oder umgesetzten Wiederaufbauprojekten wie den Warschauer Schlössern (…) zu zeigen. Aber das ist in der gegenwärtigen Atmosphäre nicht möglich.“
Bei diesen Stimmen bleibt die polnische Perspektive außen vor. Botschafter Bagger setzt die Reparationsforderungen mit einer Aufkündigung der europäischen Friedensordnung gleich – ein fragwürdiger, fast zynischer Vergleich, bedenkt man, dass es die Regierung von Helmut Kohl war, die 1989/90 bewusst einen Friedensvertrag mied, um keine Reparationsbegehren von Polen und andere Staaten fürchten zu müssen. Bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen damals saß Polen nicht mit am Tisch.
Reparationsfrage verschärft Konflikt mit Polen
Zudem stellt Bagger die EU-Osterweiterung als eine Art Geschenk an Polen dar – quasi als Ersatzentschädigung für die Gräuel der Deutschen. Ein Argument, bei dem vor allem die Polen (51 Prozent) den Kopf schütteln dürften, die sich laut Umfragen für eine Wiedergutmachung aussprechen. Im Übrigen hat Deutschland von den neuen EU-Mitgliedern in Osteuropa massiv profitiert, geopolitisch und ökonomisch. Wäre dieser „Profit“ nicht absehbar gewesen, wäre dann die EU wie gehabt erweitert worden?
Die zweite zitierte Aussage bringt zugespitzt zum Ausdruck: Hättet ihr stillgehalten, wäre für euch ein bisschen mehr von uns möglich gewesen: mehr Symbolik, mehr Geld. So aber gibt es nichts, weil ihr so laut poltert. Abgesehen davon, dass jahrzehntelang wenig entgegenstand, dass Deutschland die besagte „humanitäre Unterstützung“ leisten konnte, es jedoch nicht tat, spiegeln die Worte einen Blick auf Polen, wie er nach wie vor dominiert. Er zeugt davon, dass man sich des Ausmaßes der Kriegsleiden nur in Maßen bewusst sein will. Diese Form des Umgangs zeigt sich in ähnlicher Weise, wenn es um bisher nicht ausgezahlte Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds geht. Die EU-Kommission blockiert für Polen nicht rückzahlbare Fördermittel wie vergünstigte Kredite in Höhe von 35 Milliarden Euro. Auch Kanzler Olaf Scholz sprach sich zuletzt indirekt dafür aus, die Vergabe dieser Mittel an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu binden.
Polen erfüllt nach Ansicht der Brüsseler Kommission die vor Monaten ausgehandelten Bedingungen zum Verzicht auf eine umstrittene Disziplinarkammer für Richter nicht. Tatsächlich bewegt sich Warschau hier nur zum Teil und will allein aus koalitionsinternen Gründen nicht mehr tun, um die Regierung stabil zu halten. Was auch dazu führt, dass die PiS weiter am Rechtsstaat sägt. Sollte Brüssel die EU-Mittel weiterhin blockieren, wird die Regierung dies mit ziemlicher Sicherheit in eine Kausalität mit sich anbahnenden ökonomischen Verwerfungen bringen. Fest steht, sollte Deutschland auf die Reparationsfrage keine besseren Antworten finden als die hier zitierten, wird der Konflikt an verbaler Schärfe gewinnen und die polnische Opposition bei den im Herbst 2023 anstehenden Wahlen nicht zu den Gewinnern zählen.
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