Rente und Schulden: Die Jugend hat dasjenige Nachsehen

Wenn es in der Vorlesung um die Rentenversicherung geht, ist die Aufregung vorprogrammiert. Zumindest zu einer Diskussion mit einigen Studenten ist es immer gekommen, berichtet Dominika Langenmayr, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. „Was machen wir denn jetzt?“, lautet eine typische Frage im Hörsaal.

Die Aufregung um die Rente gehört zur Debatte um die Generationengerechtigkeit. Junge Menschen zweifeln daran, dass ihnen die Höhe ihrer Rente im Alter reichen wird. Gleichzeitig dürften die Rentenabgaben im Arbeitsleben steigen, die für die Zahlungen an die heutigen Rentner vorgesehen sind.

Durch die demographische Entwicklung mit einer geringen Geburtenzahl steigt der Anteil der Älteren in der Bevölkerung. In den nächsten Jahren gehen geburtenstarke Jahrgänge in Rente, für die Unternehmen neue Mitarbeiter finden und einstellen müssten. Vor allem wächst dadurch die Zahl der Rentner, und damit nehmen die Zahlungen der Rentenversicherung zu. Schon bisher speist sich das Geld dafür nicht nur aus den Beiträgen der Versicherten und Arbeitgeber. Im Jahr 2023 hat die Rentenversicherung Bundeszuschüsse und weitere Bundesmittel von rund 112 Milliarden Euro erhalten. Rund jeder fünfte Euro des Bundeshaushaltes wurde damit für die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung genutzt.

Demographische Schieflage in Deutschland

Im vergangenen Jahr feierten mehr Menschen in Deutschland ihren 60. Geburtstag, als Kinder geboren wurden. Der Soziologe Aladin El-Mafaalani erkennt darin eine demographische Schieflage. Zum einen verschiebt sich die Kostenverteilung des Sozialstaates. Zum anderen werden Rentner in absehbarer Zeit eine so große Wählergruppe sein, dass sie die Wahlen maßgeblich prägen, sagte er in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Der Soziologe warnt davor, dass Jüngere in einer alternden Gesellschaft keine große Rolle spielen.

Die Folgen davon spürt auch Johannes Winkel, frisch gewählter Bundestagsabgeordneter für die CDU und Vorsitzender der Jungen Union. „Die Demographie ist die Mutter aller Probleme in Deutschland“, sagt er im Gespräch mit der F.A.Z. Die Entwicklung sei seit 20 bis 30 Jahren klar. Das Verhältnis von Beitragszahler zu Rentner sei immer stärker gekippt. Aber noch keine Bundesregierung habe danach gehandelt. „Für die Politik ist es zu einfach, die finanziellen Lasten der nächsten Generation aufzubürden.“

Auch CDU-geführte Bundesregierungen hatten zuletzt die Leistungen der Rentenversicherung ausgeweitet für Mütter und für langjährig Versicherte, die früher in Rente wollen (Rente mit 63). Frühere Rentengeschenke hält Winkel für falsch, jedoch seien diese durch die gute Wirtschaftsleistung noch finanzierbar gewesen. Das hat sich gedreht, dennoch stehen wieder höhere Rentenzahlungen ohne Strukturreformen an. „Wir können uns Rentengeschenke nicht mehr leisten“, sagt Winkel. „Wir müssen aufpassen, dass der Koalitionsvertrag nicht zulasten der jungen Generation geht.“

Er fragt sich, wie viel Spielraum in zehn Jahren noch im Bundeshaushalt steckt und wie viele Mittel dann schon durch Rentenzuschüsse oder Schuldentilgung blockiert sind. „Die junge Generation hat generationengerechte Finanzen einfach abgeschrieben“, sagt er. „Wenn die Regierung fünf Milliarden Euro im Jahr für die neue Mütterrente ausgeben will, sollte sie mindestens diese Summe auch in junge Familien investieren.“ Er fordert, das Elterngeld wieder auszuweiten und das Kindergeld zu erhöhen.

Höne sieht Lage für junge Generation kritisch

Bisher hat die Politik nicht ausreichend auf die Alterung der Gesellschaft reagiert: Das trifft die Rente und viele andere Aspekte. Die Folgen davon zeigen sich erst mit Zeitverzug. Wie für den Klimaschutz und den Infrastrukturausbau sind die Weichen allerdings frühzeitig zu stellen. Je später sich die Regierung um die Rente kümmert, desto teurer dürfte es werden.

Der FDP-Politiker Henning Höne merkt, wie die Parteien auf ältere Zielgruppen schielen. Von Jahr zu Jahr werde es schwerer, das Rentensystem zu verändern. „Bleibt alles so, wird das Rentensystem kollabieren“, sagt der Landes- und Fraktionsvorsitzende der liberalen Partei in Nordrhein-Westfalen. Dass die Rentenzahlungen nicht nur aus den Beiträgen stammen, hält er für ein Alarmsignal. Die durchschnittliche Bezugsdauer der Rente hat in den vergangenen 50 Jahren immer zugenommen.

Höne sieht die Lage für die junge Generation kritisch: Junge Menschen zahlen auch Steuern für die Zahlungen an heutige Rentner und höhere Sozialbeiträge, als es die heutigen Rentner getan haben. Dazu müssen sie privat zurücklegen, um Lücken im Alter auszugleichen. „Junge Menschen machen sich wenig Illusionen darüber, was sie selbst aus der gesetzlichen Rente eines Tages erhalten werden“, sagt er.

Gefahr durch die Staatsverschuldung

Nach dem, was Union und SPD planen, werden die Ausgaben der Rente weiter steigen. Im Koalitionsvertrag wird unter anderem eine weitere Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters ausgeschlossen. Ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren soll bestehen bleiben. Die Mütterrente mit drei zusätzlichen Rentenpunkten soll unabhängig vom Geburtsjahr jede Mutter erhalten, was schätzungsweise Mehrausgaben von rund 4,5 Milliarden Euro im Jahr mit sich bringt. Immerhin soll sich das Arbeiten im Rentenalter mehr lohnen und ein Gehalt von bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei werden.

Nach der Bundestagswahl im Februar zeigten sich die Koalitionspläne von CDU, CSU und SPD vor allem als teuer. Die drei möglichen Parteien der künftigen Bundesregierung haben mit Stimmen der Grünen die Schuldenbremse gelockert. Im ersten Schritt hat das den Spielraum für Verteidigungsausgaben deutlich erhöht: Das leuchtet vielen ein – gerade angesichts der Bedrohung durch Russland nach dem Angriff auf die Ukraine und der Unsicherheit über das Verhalten Amerikas. In Umfragen findet eine Mehrheit dies richtig.

Im zweiten Schritt hat der Bundestag den Weg frei gemacht, damit der Staat in den nächsten zwölf Jahren Schulden von bis zu 500 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz aufnehmen darf. Das befürwortet rund die Hälfte der Befragten. Im dritten Schritt wollen Union und SPD mehr Geld jenseits dieser beiden Punkte ausgeben: Der Koalitionsvertrag sieht wie schon das Sondierungspapier die zusätzlichen Ausgaben für die Mütterrente vor sowie eine höhere Pendlerpauschale und eine Senkung der Umsatzsteuer in der Gastronomie.

Eine Gefahr durch die Staatsverschuldung sieht Achim Wambach, Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Solange das Wirtschaftswachstum höher ist als die Zinszahlungen für die Schuldentilgung, wachsen sich die Schulden aus. „Aber wenn das nicht so ist und keine weiteren Maßnahmen ergriffen werden, explodieren die Schulden“, sagt er.

Bürokratie hemmt an vielen Stellen

Allerdings trifft das gerade auf Deutschland zu: Das Land steckt in einer Lage mit geringem Wachstum. Wenn die Wachstumsrate steigt, nimmt der finanzielle Spielraum wieder zu. Wenn nicht, muss die Regierung künftig drastisch sparen, um das auszugleichen. Daher hofft Wambach auf sinnvolle Investitionen: „Wenn wir die Infrastruktur und das Energiesystem wieder in Schuss bekommen, wächst die Wirtschaft stärker, und wir überlassen der nächsten Generation mehr Wohlstand.“ Mit Geldausgeben allein sei das nicht getan. Für den Infrastrukturausbau müssten Genehmigungsverfahren deutlich schneller ablaufen.

Die Schwierigkeiten der staatlichen Ausgabenprogramme sieht Ökonomin Langenmayr ähnlich. Solange das Wirtschaftswachstum höher ist als der Zinssatz zur Kredittilgung, ist die Staatsverschuldung aus ihrer Sicht wenig kritisch für die Generationengerechtigkeit. „Entscheidend ist, was der Staat mit seinen Ausgaben macht und wofür er die Schulden verwendet“, sagt sie. „Wir wollen der jüngeren Generation auch nicht eine marode Infrastruktur übergeben.“

Die künftige Bundesregierung sollte daher in Infrastruktur investieren, aber nicht in staatlichen Konsum für die Rente oder Soziales. Steuergeschenke für die Gastronomie und Rentenerhöhungen auf Pump erhöhten die Zinszahlungen und belasteten die spätere Generation, sagt die Professorin aus Eichstätt-Ingolstadt: „Wenn die Verschuldung nur dazu dient, die Schwierigkeiten in Deutschland für ein paar Jahre zu übertünchen, bringt das nichts.“

Bessere Anreize zum Arbeiten und für private Investitionen können hingegen die Standortbedingungen verbessern und das Potentialwachstum erhöhen. Langenmayr hofft, dass Deutschland bald optimistischer in die Zukunft schaut. „Der Staat sollte sich nicht als Lösung für jede Schwierigkeit sehen, sondern Menschen zutrauen, selbst Lösungen zu finden“, sagt sie. Die Bürokratie hemmt an vielen Stellen. So lasse sich das Steuersystem vereinfachen und manche Ausnahme streichen. Fast kein Land hat so viele Abzugsmöglichkeiten für die Einkommensteuer wie Deutschland. „Bei jedem Beleg müssen wir überlegen, ob sich das von der Steuer absetzen lässt“, sagt sie. Wenn diese wegfielen, würde das die Steuererklärung leichter machen – und diese könnte digital und vorausgefüllt erfolgen.

Renteneintrittsalter an Lebenserwartung koppeln

Wie lässt sich nun die gesetzliche Rentenversicherung mit der Alterung der Gesellschaft verbinden? Dazu liegen die Konzepte schon länger auf dem Tisch. Naheliegend ist es, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Dafür sind die Ökonomen Langenmayr und Wambach wie auch die jüngeren Politiker Winkel und Höne – aber bislang nicht die Bundesregierung.

CDU-Politiker Winkel lobt, dass laut dem CDU-Grundsatzprogramm das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung gekoppelt werden soll. Aber im Wahlprogramm stand davon nichts. „Dafür hat der Partei der Mut leider gefehlt“, sagt er.

Länger arbeiten

Der nächste Punkt ist die Möglichkeit, länger oder kürzer als bis zum berechneten Renteneintrittsalter zu arbeiten. Jeder sollte selbst über den Rentenbeginn entscheiden. Wer früher geht, erhält dafür eine geringere Rentenzahlung.

Langenmayr rät zu dieser flexiblen Gestaltung. „Wenn wir das Rentenniveau auch nur annähernd halten wollen, dann müssen wir länger arbeiten“, sagt sie. Die Menschen sollten die Wahl haben, wann sie in Rente gehen – und dann entsprechend mehr oder weniger Rente bekommen. „Wenn das fair gerechnet ist, sollte das gute Anreize setzen, später in Rente zu gehen, ohne jemanden zu zwingen, im Alter von 70 Jahren arbeiten zu müssen.“ FDP-Politiker Höne fordert überdies Anreize, damit Menschen länger arbeiten. Er lobt den Vorschlag seiner Partei zur Aktienrente, um die Kapitalmärkte für die Altersvorsorge zu nutzen.

Der Mannheimer Professor Wambach sieht noch einen weiteren Hebel, um das Rentensystem zu verbessern. Neben einer längeren Lebensarbeitszeit rückt er die Erwerbstätigkeit von Frauen in den Fokus. Oft wollen Mütter mehr arbeiten, aber können sich auf die Kinderbetreuung nicht verlassen. „Wenn ich sehe, dass meine Mitarbeiterinnen immer noch Termine absagen müssen, weil der Kindergarten wieder zumacht, dann nehmen wir das nicht ernst genug“, sagt er.

Studenten weiter unzufrieden mit Rentensystem

In der Vorlesung von Dominika Lan­genmayr hat sich der Wind gedreht. Die Studenten wirken weiter unzufrieden mit dem Rentensystem und fühlen sich benachteiligt, aber äußern sich seit der Corona-Pandemie weniger. „Vor ein paar Jahren haben sie da immer noch geschimpft, und jetzt wirken viele resi­gniert“, sagt Langenmayr. Ihr Eindruck: Die junge Generation denkt, dass sie Pech hat und zahlen muss, aber im Alter nicht mehr genug bekommen wird.

Was bleibt mehr übrig, als aufzugeben? Wer jung ist, sollte sich über das Rentensystem informieren, aber nicht darauf verlassen. Nach Möglichkeit sollte jeder im Berufsleben Geld zurücklegen und über lange Zeit anlegen.

Das ist im Übrigen ein Vorteil der späten Geburt: Mittlerweile lassen sich Aktien und ETF-Sparpläne auf dem Smartphone kaufen. Vor längerer Zeit brauchte das meist noch einen Anruf beim Bankberater. Da hilft der technologische Fortschritt. Früher war eben auch nicht alles besser.

1. Wie hoch sind Bundeszuschüsse und weitere Bundesmittel für die Rentenversicherung?

A: 79 Milliarden Euro
B: 112 Milliarden Euro