Regierungskrise in Frankreich: Déjà-Lecornu

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fehlen offenbar die
Freiwilligen: Nach Tagen der Krise ernannte er am späten Freitagabend Sébastien
Lecornu erneut zum Premierminister – nur vier Tage, nachdem dieser
zurückgetreten war. „Diese Krise muss ein Ende haben“, schrieb Lecornu ohne
große Begeisterung auf X. Er übernehme das Amt aus „Pflichtgefühl“. Noch am
Mittwoch hatte er vor einem Millionenpublikum im Fernsehen erklärt, seine
Mission sei beendet.

Wie lange er diesmal bleibt, ist unklar: Der 41-Jährige
könnte schon am Montag an einem Misstrauensvotum scheitern. Satireportale
witzelten, Macron habe extra eine übergroße Katzenklappe in die Tür des Élysée-Palasts einbauen lassen – damit Premierminister leichter kommen und
gehen können. Macron hat bereits acht Regierungschefs verschlissen, und nun ist
Lecornu zum zweiten Mal dran. „Unglaublich“, sagte die Grünen-Vorsitzende
Marine Tondelier.

Viele Kommentatoren sehen in der Wiederernennung eines der
treusten Macron-Anhänger ein absurdes Schauspiel. Vier Wochen lang hatte er
vergeblich versucht, eine Regierung zu bilden. Nur zwölf Stunden, nachdem er am
vergangenen Sonntag ein Kabinett vorgestellt hatte, trat er zurück. Jetzt übernimmt
er die Aufgabe trotz seines Scheiterns erneut. Bis Montagabend soll er
theoretisch einen Haushaltsentwurf vorlegen – eine ohnehin heikle Aufgabe in
dem hoch verschuldeten Land. Auch sein Kabinett müsste bis dahin stehen.

Das politische Drama in Paris versteht nur, wer das
französische System kennt: Der Präsident bestimmt den Premierminister allein.
Es kann ein gewählter Abgeordneter sein oder jemand anderes – die Partei der
Person muss nicht einmal die Parlamentswahlen gewonnen haben. So kam es, dass
bereits drei konservative Premierminister amtierten, obwohl ihre Parteien
weniger als ein Zehntel der Abgeordneten stellen. Macron ernennt, wen er will –
das Parlament kann den Premier jedoch per Misstrauensvotum stürzen. Und genau das
droht Lecornu.

Noch am Freitagabend verkündete Édouard Philippe, Macrons
erster Premier im Jahr 2017, seine Partei könnte der Regierung nicht zustimmen.
Die radikal linken Insoumises wollen bereits am Montag einen Misstrauensantrag
stellen, den wiederum die rechtsextreme Marine Le Pen unterstützen will. Nun
kommt es auf die Sozialisten (die Schwesterpartei der SPD) und die Grünen an. Die Frage ist inzwischen nur noch:
Wer unterstützt den Premier – und verhindert damit Neuwahlen?

Macron wirbt um die Unterstützung der Sozialisten

Am Freitagnachmittag, in einer Krisensitzung mit allen
Parteien, machte Macron ein erstes Zugeständnis an die Sozialdemokraten: Er
versprach, die umstrittene Rentenreform bis zur Präsidentschaftswahl 2027
teilweise auszusetzen. Damit reicht er den Linken eine bedeutende Trophäe: Die
Anhebung des Renteneintrittsalters auf 64 Jahre ist Macrons einzige
nennenswerte Reform seit seiner Wiederwahl 2023. Millionen Menschen
protestierten monatelang gegen dieses Gesetz. Sollte die Reform ruhen, hätte
die links-grüne Volksfront einen großen politischen Erfolg errungen – manche
Kommentatoren sprechen sogar von einem „Skalp“.

Von der Bedeutung dieses Skalps wird abhängen, ob die Sozialisten zustimmen werden. Ihr Generalsekretär Olivier Faure warnte, Macron
habe keine Antworten geliefert. Der kommende Premier werde bei der Rentenreform
mehr anbieten müssen. Die
Volksfront aus Sozialisten, radikalen Linken, Grünen und Kommunisten hatte im
vergangenen Jahr die meisten Abgeordneten gewonnen, allerdings keine eigene
Mehrheit gebildet. Seitdem ernennt Macron konservative Premierminister, die mal
an dem Votum der Volksfront mit Marine Le Pen und zuletzt sogar an den eigenen
Reihen scheiterten.

Die Links-Grünen stehen vor der heiklen Frage, ob sie den
Premier im Amt belassen oder stürzen sollen. Sie hatten angekündigt, jeden
Premierminister abzusetzen, der nicht aus ihren Reihen stammt. Doch ein solcher
Schritt – mit Unterstützung der Fraktion von Le Pen – würde den Premier erneut
zu Fall bringen und Neuwahlen auslösen. Dabei könnten sie selbst Mandate
verlieren, ebenso wie das Bündnis um Emmanuel Macron. Die einzige Gewinnerin
wäre Le Pen
. Laut aktuellen Umfragen käme sie auf mehr als 35 Prozent und liegt damit deutlich vor allen anderen Parteien.

Und Marine Le Pen feiert mit der Feuerwehr

In Frankreich geht eine chaotische Woche zu Ende: Der loyale
Lecornu
, seit acht Jahren in verschiedenen Ämtern der Macron-Regierungen tätig,
verhandelt erneut mit denselben Parteikadern wie in den vier Wochen zuvor.
Seine Hauptaufgabe sei das Budget, sagte er am Abend. Doch genau hier
scheiden sich die Geister: Macronisten und Konservative wollen sparen – etwa
durch weniger Feiertage oder den Abbau von E-Auto-Prämien. Das links-grüne
Lager hingegen setzt auf höhere Steuern für Multimillionäre, um die Schulden zu
senken.

Marine Le Pen spielt derzeit die entspannteste Rolle –
wieder einmal. Sie blieb dem Élysée-Palast fern, weil sie laut Macrons Sprecher
eine Parlamentsauflösung fordert. Also gar nicht erst für Regierungsgespräche
zur Verfügung steht. Während also die Vertreter der traditionellen Parteien bei
Macron saßen
und ihre Handys abgeben mussten, weilte Le Pen bei einem Fest der
Feuerwehr. Vor zwei Tagen, als ganz Paris an den Lippen von Lecornu hing,
besuchte Le Pen ein Fest von Landwirten. Beide Male nutzte sie die Gelegenheit,
in die Mikrofone zu erklären, dass sie jeder Regierung ihr Misstrauen
aussprechen werde. „Die Zeit des lächerlichen Schauspiels ist vorbei“, sagte
sie. Die hohe Politik sei zu einem „Kuhhandel“ verkommen. Das Schauspiel, das
Le Pen beschwört, könnte tatsächlich bald beendet sein.