Reaktion auf USA und China: Brüssel plant die Zukunft der Industrieproduktion

Kurz sah es aus, als müsse die EU-Kommission die geplante Verabschiedung ihrer Gesetzesvorhaben zur Bergbauoffensive und der Zukunft grüner Technologien in Europa verschieben. Es waren zu wenige Kommissare da. Nur wenn zwölf anwesend sind, ist die Behörde laut Satzung beschlussfähig. Weil aber viele wegen des ungewöhnlichen Termins am Donnerstag nicht in Brüssel waren, war die Nervosität groß, als nur elf Platz nahmen – bis die verspätete Verkehrskommissarin Adina Vălean doch eintrudelte. Dabei hätte es auch inhaltlich noch Diskussionsbedarf gegeben. Einige Kommissare seien alles andere als glücklich. „Zu viele alte Rezepte, zu viel Planwirtschaft“, hieß es später. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe beide Vorhaben aber durchgedrückt.

Tatsächlich schlägt die Kommission mit dem „Critical Raw Materials Act“, der Abbau, Veredelung und Recycling von 18 strategisch wichtigen Rohstoffen fördern soll, sowie dem „Net Zero Industry Act“, der die Ansiedlung zukunftsweisender grüner Technologien unterstützen soll, ein neues Kapital in der Industriepolitik auf. Ein Schritt weg von alten Idealen wie freiem Welthandel und Wettbewerb. Die beiden Gesetze sollen die EU unabhängiger von China machen und verhindern, dass sie im Wettbewerb mit den USA und China zurückfällt. Sie sind eine Antwort auf das Programm „Made in China 2025“ und den „Inflation Reduc­tion Act“ (IRA), mit dem die USA rund 369 Milliarden Dollar für grüne Technologien bereitstellen, gleichermaßen.

Von 0 auf 40 in 7 Jahren

Die Kommission will darauf vor allem reagieren, indem sie Quoten für die Förderung und Produktion ausruft. Das Rohstoffgesetz sieht vor, dass Ende des Jahrzehnts 10 Prozent der benötigten wich­tigen Rohstoffe in Europa abgebaut werden. Dabei geht es etwa um das auch als „weißes Gold“ bezeichnete Lithium oder um seltene Erden, die für die Herstellung von Smartphones, Windrädern oder Au­tobatterien unverzichtbar sind. 40 Prozent dieser Rohstoffe sollen in der EU weiterverarbeitet oder veredelt werden, 15 Prozent durch Recycling gewonnen werden. Das ist ehrgeizig. Derzeit liegt der Anteil der eigenen Förderung am Verbrauch gerade einmal bei 3 Prozent. Die Zahl der Raffinieren, in denen die Rohstoffe weiterverarbeitet und veredelt werden, tendiere eher gegen null, sagte Binnenmarktkommissar Thierry Breton.

Für die EU ist vor allem ein Problem, dass einzelne Länder – allen voran China – faktisch ein Monopol besitzen. „99 Prozent der Borate, die für Windkraft, Ma­gneten und Halbleiter gebraucht werden, kommen aus der Türkei, 97 Prozent des Magnesiums aus China, 63 Prozent des Kobalts für Batterien und für hochfeste Leichtmetalllegierungen für die Vertei­digung und Luft- und Raumfahrt kommen aus der Demokratischen Republik Kongo“, listet Breton auf. Zudem würden 60 Prozent in China weiterverarbeitet. Vor allem durch den gezielten Aufbau ei­gener Raffinerien hat Peking sich eine einmaligen Position verschafft. „Mit seinem Quasimonopol auf seltene Erden und Dauermagnete hat Peking ein geopolitisches Instrument in der Hand.“ warnt er.

Große Rohstoffvorhaben in EU

Die EU soll deshalb 2030 von keinem Drittstaat bei einem Rohstoff zu mehr als 65 Prozent abhängen, lautet ein weiteres Ziel des Gesetzes. Allein kann die EU das kaum stemmen. Die eigenen Rohstoffvorkommen könnten 20, 30, vielleicht 40 Prozent des in den nächsten Jahren stark wachsenden Bedarfs wecken, schätzt die Kommission. Es gibt Lithium in Portugal, Frankreich, Tschechien oder Österreich oder seltene Erden in Schweden (etwa die gerade präsentierten Vorhaben in Kiruna), Finnland oder auch Deutschland. Deren Förderung soll vor allem dadurch erleichtert werden, dass die Genehmigungsverfahren von heute 10 bis 15 Jahren auf zwölf bis 24 Monate verkürzt werden, vor allem durch schneller Umweltprüfungen. Den Rest des Bedarfs soll die Europäische Union decken, indem sie mit Ländern in Afrika oder Südamerika enger kooperiert und dort auch den Bau von Raffinieren investiert.

Auch bei der Ansiedlung von grünen Technologien setzt die Kommission auf klare Ziele – ganz nach dem Vorbild des Chips Act für die Ausbau der heimischen Halbleiterfertigung. Zum verpflichtenden übergeordneten Ziel erklärt die Kommission einen Anteil von 40 Prozent an der jährlichen Installation von Wind- und Sonnenanlagen, Batterien und Wärmepumpen oder auch Elektrolyseuren und Biogasanlagen. Aus der Liste gefallen ist – anders als in ersten Entwürfen – dabei die Atomkraft. Hier sieht der Vorschlag nur noch vor, dass sogenannte kleine modulare Reaktoren gefördert werden können.

Maximal 12 Monate Genehmigungszeit

Auch hier setzt die Kommission auf eine drastische Verkürzung der Genehmigungszeiten. Für wichtige Projekte soll sie maximal 12 Monate betragen. Die Staaten sollen bei öffentliche Ausschreibungen die Frage der Versorgungssicherheit berücksichtigen, was in Richtung der gezielten Bevorzugung europäischer Produkte („Buy European“) geht. Um den Ausbau zu finanzieren, verweist die EU-Kommission auf die in der vergangenen Woche stark gelockerten Regeln für Beihilfen – und den „Europäischen Souveränitätsfonds“, für den die Kommission bis zum Sommer Vorschläge vorlegen will.

In den Ausbau der Wasserstoffförderung will die EU-Kommission dagegen sofort neues Geld schleusen. Sie schlägt dafür eine neue Wasserstoffbank vor. Mit ihrer Hilfe will sie erreichen, dass die EU im Jahr 2030 10 Millionen Tonnen Wasserstoff selbst herstellen und weitere 10 Millionen importieren kann. Sie will private Investitionen anstoßen, indem sie die Differenz zwischen Herstellungskosten und Marktpreis übernimmt. Die Verteilung der dafür vorgesehenen 800 Millionen Euro soll im Herbst diese Jahres per Auktion geschehen.

Höhere Kosten für Energiewende

Mit Protektionismus oder Planwirtschaft habe all das nichts zu tun, sagte EU-Kommissar Breton gleich mehrfach. Ökonomen sehen das anders. Von einem Rückschritt in die Industriepolitik der sechziger Jahre, warnt etwa die Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Die Gesetzesvorschläge könnten dazu führen, dass die EU die wahren Probleme wie die Energiepreise und die nach wie vor bestehenden Hürden im Binnenmarkt aus dem Blick verlören. Die EU signalisiere ihren Partnern jenseits von China und den USA, dass sie kein Interesse an der Einfuhr von grünen Technologien habe, selbst zu niedrigeren Preisen.

Sie schlage damit denselben protektionistschen Weg ein wie die USA mit dem IRA. Das treibe die Kosten für die Energiewende nach oben. Von einer Kampfansage an den offenen Welthandel, spricht Hauptgeschäftsführer des Verbands Gesamtmetall, Oliver Zander. Dass die EU ausgerechnet am Donnerstag mit einem Bericht auch „30 Jahre EU-Binnenmarkt gefeiert habe – immerhin einer der wichtigsten Erfolge der Geschichte der EU –, wirkt angesichts der Kommissionspläne wie eine Satire“, sagte Zander weiter.

Der Ministerrat der Staaten und das Europaparlament müssen den Gesetzesvorschlägen noch zustimmen, damit sie in Kraft treten können.