Qatar kurzfristig in Venedig präsent: Das Morgenland fasst Fuß im Abendland

Selbst die U-Bahn-Stationen sind Kunst in Doha, der Hauptstadt des immens erdgasreichen Qatar. Gestaltet wurden die mehr als dreißig markanten, in die Stadt hineinragenden Ausgänge für die Fußball-WM 2022 vom UNStudio des renommierten niederländischen Architekten Ben van Berkel, der unter anderem für das ikonische Mercedes Benz-Museum in Stuttgart verantwortlich zeichnet. Auch ansonsten steht in Doha, auf das sich in dem kleinen Wüstenstaat an der Nordosttküste der arabischen Halbinsel alles konzentriert, wie in einem Open-Air-Museum eine Skulptur von so ziemlich jedem bedeutenden und sündteuren lebenden Künstler herum.

Schon am Flughafen von Doha wird man von der mehrere Meter hohen honiggelben Skulptur „Lampen-Bär“ des gefeierten Schweizer Künstlers Urs Fischer begrüßt, die eine pfeilschnelle Reise zurück in die eigene Kindheit verheißt. Die Spinnenskulptur „Maman“ von Louise Bourgeois steht ebenso monumental im Qatar National Convention Centre wie Olafur Eliassons ätherische Skulptur „Shadows Travelling on the Sea of the Day“ den Umraum beherrscht. Und selbst in der Wüste von Qatar ragen einsam Richard Serras enigmatische Eisenstelen „East-West/West-East“ auf.

Vor der Klinik „Sidra Medical and Research Centre„ am Rande der Stadt stehen vierzehn meterhohe Bronze-Uteri mit der Entwicklung eines Fötus von Damian Hirst, von denen jeder nicht nur tonnen-, sondern auch millionenschwer ist. Qatar besitzt die wohl teuerste Kollektion von Kunst am Bau in der Welt. Doch auch die Bauten selbst sind Zimelien der Architektur, auch hier wurden ebenfalls nur die größten Namen eingekauft: I.M. Pei für die arabisierende Zikkurat-Stufenpyramide des Museum of Islamic Art, Jean Nouvel für das National Museum in Form einer gigantischen Sandrose, Rem Koolhaas für die lichtdurchflutete Nationalbibliothek in Gestalt zweier gefalteter und auseinandergezogener Papierblätter, oder auch die Schweizer Herzog & de Meuron für die Kunst-Mühle „Art Mill“, umgebaute Getreidesilos für das Museum der modernen Kunst – die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Auf den Kunstmessen der Welt ist die qatarische Scheika Al Mayassa bint Hamad bin Khalifa Al Thani, Schwester von Katars Herrscher Emir Tamim bin Hamad Al Thani, die beliebteste Sammlerin und Einkäuferin, weil sie teils ganze Messekojen en bloc erwirbt.

Ein Staat kauft sich in die Kunstwelt ein

So war es nur eine Frage der Zeit, dass das sich über Kunst und Kultur repräsentierende Qatar auf der neben der Kasseler Documenta wichtigsten Weltkunstschau, der alle zwei Jahre stattfindenden Biennale di Venezia, eine seinem Anspruch als „Kunst-Staat“ angemessene Vertretung anstreben würde. Nun kam die überraschende Meldung eines eigenen und permanenten Pavillons in den venezianischen Giardini. Sheikha Al Mayassa Al Thani, die als Vorsitzende aller „Qatar Museums“ auch Beauftragte für den künftigen Pavillon Qatars ist, erklärte zu diesem ersten neuen Länderpavillon seit mehr als dreißig Jahren folgendes: „Qatar ist stolz darauf, seinen Platz in dieser internationalen Versammlung einzunehmen, unsere Rolle als weltweit führende Unternehmung in der Kulturdiplomatie auszubauen und eine beispiellose Plattform zu bieten, um den kreativen Talenten unseres Landes und des Nahen Ostens, Nordafrikas und Südasiens eine Stimme zu geben.“

Das Konzept der Nationenpavillons in Venedig wurde erkennbar im neunzehnten Jahrhundert als Säkulum des forcierten „Nation Building“ ersonnen. Seither drängten nur immer noch mehr Nationen – auch durch historische Zersplitterung mancher Großreiche nach dem Ersten Weltkrieg wie das habsburgische Österreich-Ungarn in je einen Länderpavillon für Österreich, für Ungarn, für Serbien und so weiter – auf die Biennale in Venedig und verlangten nach eigenen Pavillonrepräsentationen auf dem ohnehin schon sehr dicht bebauten Gelände.

Allerdings galt das Hauptgelände der „Giardini“ („Gärten“) mit zuletzt 29 Pavillons als mehr als gut gefüllt. Die letzten Neuzugänge waren vor bald vierzig Jahren Australien (1987), das mit seinem komplett verdunkelten und damit das düstere Schicksal der Aborigines in der Vergangenheit mit einem Stammbaum der Repression an den Wänden umher repräsentierenden Gebäude den ersten Preis der Länderpavillons auf der vergangenen Biennale di Venezia 2024 gewann, sowie Südkorea im Jahr 1994.

Warum macht Italien für Qatar plötzlich eine Ausnahme?

Ein Schelm, der Böses dabei denkt, etwa an für die Entscheidung hilfreiche Finanzspritzen aus Qatar als einem der reichsten Länder der Erde. Von offizieller qatarischer Seite heißt es dazu nur, man habe im Juni 2024 in Venedig ein Kooperationsprotokoll zwischen den „Qatar Museums“, mithin der Schwester des regierenden Emirs – es bleibt somit in der Familie, und dem italienischen Staat unterzeichnet, das „die kulturelle und sozio-ökonomische Zusammenarbeit zwischen Qatar und Italien stärkt“. Mit den Worten „sozio-ökonomische Zusammenarbeit“ wird zumindest ein indirekter wirtschaftlicher Nutzen für Italien bestätigt.

So wenige Besucher sind auf der Venedigbiennale äußerst selten: Dicht an dicht reihen sich die Gebäude der Länderpavillions in den Giardini. Nun kommt nach mehr als dreißig Jahren ein neuer hinzu.
So wenige Besucher sind auf der Venedigbiennale äußerst selten: Dicht an dicht reihen sich die Gebäude der Länderpavillions in den Giardini. Nun kommt nach mehr als dreißig Jahren ein neuer hinzu.Picture Alliance

Der Präsident der Venedigbiennale Pietrangelo Buttafuoco hingegen erklärt die überraschende Entscheidung einer weiteren Verdichtung der Giardini-Pavillons blumig metaphorisch: „Venedig ist die einzige europäische Stadt, die seit dem Jahr 1000 nach Christus einen arabischen Namen besitzt: ,Bunduqiyyah’. Eine Tatsache, die von der wimmelnden Mischung von Sprachen und Ethnien zeugt, die hier seit langem Zuflucht suchen. Im Geist der Neugier, der Erkundung und des aufrichtigen menschlichen Austauschs, der Venedig und seine Biennale auszeichnet, heiße ich Qatar in den Giardini willkommen, als eine mächtige globale Quelle der Kreativität und des interkulturellen Verständnisses.“ Die zitierte Verbindung zur Lagunenstadt über den arabischen Namen trifft freilich nicht nur für Qatar, sondern für alle arabischsprachigen Länder etwa im Nahen Osten oder in Nordafrika zu, von denen die allerwenigsten eigene Länderpavillons in Venedig bespielen.

Jedenfalls soll der neue Qatar-Pavillon im Zentrum des Giardini-Geländes nahe der Architekturikone des einst von Carlos Scarpa entworfenen Padiglione del Libro-Buchpavillons stehen. Errichtet werden müsste er recht rasch, denn bereits im Mai zur 19. Ausgabe der Architektur-Biennale soll der geplante Pavillon mit der Präsentation „Community Centre“ der pakistanischen Architektin Yasmeen Lari in Betrieb genommen werden, einer so einfachen wie überzeugenden Konstruktion aus ornamentalem Rattangeflecht, das durch seine Eingänge an allen Seiten sowohl offen und einladend für Kommunikation als auch ohne zusätzlichen Energieaufwand allein mittels des durchziehenden Windes zu kühlen ist. Die 19. Internationale Architektur- Biennale Venedig findet vom 10. Mai bis zum 23. November statt.

Source: faz.net