Psychologie | Der Himmel so blau: Über die psychologischen Auswirkungen der Drohnensichtungen
Vegard Rabban hatte kaum Zweifel daran, was er sah, als an einem kalten Freitagabend Ende September ein seltsames rotes Licht zwischen seinem Haus und seiner Garage auftauchte. Der dreifache Vater, der an der Westküste Norwegens lebt, ist Lachsfischer und Feuerwehrmann.
Gerade hatte er seinen Sohn vom Fußballtraining nach Hause gefahren, als sie von etwas am klaren norwegischen Himmel aufgehalten wurden. „Wir haben sofort gesehen, dass es sich um eine Drohne handelte“, erzählt er. „Wir standen zwei Minuten lang da und haben die roten Lichter beobachtet.“
1,5 Meter sei das Flugobjekt breit gewesen. Es sei ungewöhnlich, nachts in dieser Gegend eine Drohne fliegen zu sehen, sagt Rabban. Immerhin stünde sein Haus in der Nähe des Flughafens Ørland – einem wichtigen Stützpunkt der NATO und der norwegischen Luftwaffe. Aber erst am nächsten Morgen, als er von den Vorfällen an norwegischen Flughäfen las, begann Rabban, über das Ereignis nachzudenken.
Seine Söhne wurden schnell nervös. Also versuchte er, ihnen die Situation ruhig zu erklären. „Derzeit sind wir weit entfernt von dem Krieg, der gerade stattfindet, aber ich glaube, dass uns jemand beobachtet und versucht herauszufinden, wie wir auf Drohnen reagieren“ – so ungefähr lauteten Rabbans Worte. Er sagt, dass er persönlich noch keine Angst habe, aber die Sichtungen schon eine gewisse psychologische Wirkung auf die Norweger gehabt hätten. Die Lage in Europa könnte sich schnell verschärfen, denkt er. „Je mehr Menschen die Drohnen sehen, desto mehr fragen sie sich, was da los ist. Sie sind neugierig.“
Sichtungen in Skandinavien
Seit im September mehrere Drohnen im polnischen Luftraum abgeschossen wurden und abstürzten, gab es Sichtungen von unbemannten Fluggeräten in ganz Europa – manche davon führten zur Schließung großer Flughäfen. Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen wandte sich nach der Schließung des Flughafens in Kopenhagen an die Nation: „Wir stehen am Anfang eines hybriden Krieges gegen Europa“, sagte sie. Auch ein Vorfall am Flughafen München führte zur Einstellung des Flugbetriebs, was zur Streichung von 17 Flügen und zu Reiseunterbrechungen für fast 3000 Passagiere führte.
Dies sind jedoch nur die öffentlich bekannt gewordenen Sichtungen. Seit Ende vergangenen Jahres tauchen Drohnen auch regelmäßig in der Nähe von zwei großen Energieanlagen in Auvere und Narva im Osten Estlands auf – nahe der russischen Grenze. Die ersten Sichtungen erfolgten einige Monate, bevor die baltischen Staaten ihre Stromnetze mit dem Rest Europas synchronisierten und die Verbindungen zu Russland und Weißrussland trennten.
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Es gibt bis jetzt keine Beweise, dass die Drohnen wirklich auf Befehl des Kremls geschickt wurden. Russland bestreitet jede Beteiligung an den Vorfällen. Als Wladimir Putin diese Woche von einem Moderator gefragt wurde, warum der russische Präsident Drohnen nach Dänemark schicke, antwortete er lachend: „Ich werde es nicht wieder tun.“ Er fügte hinzu, dass die NATO ein „Papiertiger“ sei. Die gängigste Erklärung ist, dass Moskau die Fähigkeiten seiner NATO-Nachbarn testen will. Es gibt jedoch auch eine psychologische Auswirkung, die weniger beachtet wird.
Anfang dieses Jahres zeigte das Imperial War Museum in London eine Installation mit dem Titel Beware Blue Skies, die die Erfahrung der Überwachung durch Drohnen veranschaulichen sollte. Der Titel stammt von einem 13-jährigen Jungen, der in Washington über die psychologischen Auswirkungen des Lebens unter Drohnen in Pakistan aussagte. „Ich liebe den blauen Himmel nicht mehr … tatsächlich bevorzuge ich jetzt den grauen Himmel. Die Drohnen fliegen nicht, wenn der Himmel grau ist“, sagte er.
Die Geschichte reimt sich: Schon zuvor gab es in der Region UFO-Paniken
Beryl Pong, die das Projekt „Centre for Drones and Culture“ an der Universität Cambridge leitet, findet, dass sich ein Großteil der akademischen Forschung zu Drohnen auf Angriffe und Gemetzel konzentriere und die psychologischen Auswirkungen auf Menschen zu kurz kämen. „Ich denke, die Übergriffe sind eine Art Einschüchterung und Provokation. Drohnen operieren also in einer Grauzone, in der sie ihre Präsenz und ihre Fähigkeiten demonstrieren und zeigen, dass man verwundbar ist, aber sie gehen noch nicht so weit, dass sie zu einer vollständigen Aggression eskalieren, wie wir sie in der Ukraine und in Russland sehen.
Es gibt diese Andeutung und diesen Hinweis. Wir wissen bisher nicht, ob es Russland ist, wir haben das Gefühl, dass es so ist, aber noch kann es Moskau plausibel leugnen. Man weiß nicht, was die Motive sind, oder? Es könnte harmlos sein oder es könnte einfach das Ende deines Lebens bedeuten.“
Richard Carter, der mit Pong an dem Projekt gearbeitet hat, sieht eine der Folgen der Nutzung der Luftfahrt im Krieg darin, „den friedlichen Himmel zu einer Quelle ständiger Bedrohung zu machen“. Es sei „sicherlich sinnvoll, zu untersuchen, wie die Sicherheitsbehörden darauf reagieren können“. Aber auch, wie dies die Sicht der Menschen auf ihren Alltag verändert, „wenn sie plötzlich sehen, dass diese durch die unbekannten Objekte bedroht wird“.
Die Sichtungen in Skandinavien haben einen historischen Kontext, meint Robert Bartholomew, Dozent am Institut für Psychologische Medizin der Universität Auckland. „Man sagt, dass sich Geschichte nicht wiederholt, sondern reimt – und was wir derzeit über Nordeuropa beobachten, ist das Reimen der Geschichte“, sagt er. „Es gibt eine lange Geschichte von UFO-Paniken in dieser Region, bei denen man glaubte, dass Russland oder die ehemalige Sowjetunion dafür verantwortlich waren.“
1946: Angst vor Geisterraketen
In den 1930er Jahren waren es „Geisterflugzeuge“, die Furcht auslösten. Von denen glaubte man, dass es sich um feindliche sowjetische Flugzeuge auf Aufklärungsmissionen handelte, als Vorstufe einer Invasion. „Viele dieser Berichte stimmen mit bekannten astronomischen Objekten wie der tief am Horizont stehenden Venus überein“, erklärt Bartholomew. „Kein Flugzeug dieser Zeit hätte so lange in der Luft bleiben können, wie es oft beobachtet wurde.“
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es dann im Jahr 1946 in nordeuropäischen Ländern massenhafte Sichtungen von sogenannten Geisterraketen. Russische Truppen hatten Peenemünde besetzt, das Zentrum der Raketenwissenschaft der Nazis. Die Sichtungen wurden damals damit erklärt, dass die Sowjets angeblich Raketen abfeuerten, um Nachbarländer einzuschüchtern. „Wir wissen heute, dass die ‚Geisterraketen‘-Welle mit einem seltenen Zusammentreffen zweier Ereignisse zusammenfiel: Kometenbeobachtungen und ungewöhnlich hohe Sonnenaktivität, die eine Reihe spektakulärer Polarlichter erzeugte und das Auftreten von Meteoren, die über den Himmel schossen, verstärkte“, sagt Bartholomew.
In den 1970er und 80er Jahren gab es dann die „USO-Berichte“ über Unidentified Submerged Objects. Zu Deutsch: unbekannte untergetauchte Objekte, die angeblich sowjetische U-Boote sein sollten. „Allerdings waren sie allgegenwärtig, die überwiegende Mehrheit konnte unmöglich sowjetische U-Boote gewesen sein – es gab einfach zu viele Berichte; die Menschen sahen sie überall“, erklärt Bartholomew die Situation damals.
Die Drohnensichtungen von 2025 sind wohl nicht sämtlich oder auch nicht überwiegend Ausgeburten der Fantasie. Aber zur Wahrheit gehört: Sie treten inmitten eines „perfekten Sturms geopolitischer Spannungen“ auf, wie es Bartholomew formuliert. Dieser werde durch die russische Aggression und die Ängste über die Unberechenbarkeit des langjährigen NATO-Verbündeten USA unter Donald Trump angeheizt.
„Plötzlich fühlen sich viele europäische Länder wie Dänemark verletzlicher als jemals zuvor in der jüngeren Vergangenheit.“ Die Folge: eine kollektive Angstattacke, bei der der Himmel zu einem sozialen Barometer unserer Zeit geworden ist. Angetrieben von der Fehlbarkeit der menschlichen Wahrnehmung. Und von Angst.
„Es ist fast Herbst und die Tage werden kürzer“, sagt Bartholomew. Das bedeutet auch: mehr Dunkelheit. Dieser Faktor sei nicht zu unterschätzen, und gerade für Menschen mit einer Angststörung nicht einfach.
Waren es die Russen?
Im September gelangte das Ehepaar Wesolowscy in den Strudel der internationalen Berichterstattung. „Trümmer einer Russen-Drohne“ seien auf ihr Haus im ostpolnischen Dorf Wyryki gestürzt, so die Bild. Bei genauem Hinsehen stellte sich das als Falschmeldung heraus. Wie die Zeitung Rzeczpospolita herausfand, steckte vielmehr die fehlgeleitete Rakete eines F-16-Kampfjets der polnischen Armee dahinter. Dennoch sprach sich Manfred Weber (CSU) Tage später in der ZDF-Sendung Markus Lanz dafür aus, im Gegenzug für die russischen Drohnenangriffe auf Europa einen Gegenschlag auf Moskau zu erwägen: „Wie wäre es da, mal die Moskauer U-Bahn lahmzulegen?“
Dabei können wir davon ausgehen, dass nicht wenige der Drohnensichtungen der vergangenen Wochen mit Russland nichts zu tun haben. Der Flughafen der litauischen Hauptstadt Vilnius etwa musste gesperrt werden, weil 25 Heißluftballons von Zigarettenschmugglern den Luftverkehr lahmlegten. Dann war da noch das Chaos am Osloer Flughafen. Schwedens Premier Ulf Kristersson hatte auch hier schnell den Kreml als Schuldigen identifiziert. Russland wolle „eine Botschaft an Länder senden, welche die Ukraine unterstützen“, sagte er.
Allerdings stellte sich die stundenlange Sperrung des Osloer Airports hinterher ebenfalls als Fehlalarm heraus.Da wundert es einen, mit welcher Gewissheit Kanzler Friedrich Merz (CDU) in der ARD-Sendung Miosga über die Drohnensichtungen spekulierte: „Wahrscheinlich wird jedenfalls ein wesentlicher Teil davon aus Russland gesteuert.“ Ach ja? Das sollte er dann besser auch der Bundeswehrsprecherin sagen, die Meldungen des Spiegel über den Standort Sanitz dementierte „Entgegen der Medienberichte“ habe es dort „keine registrierten Drohnenüberflüge“ gegeben.
Zur Wahrheit gehört: Drohnen über Flughäfen sind nichts Neues. Die Deutsche Flugsicherung (DFS) vermerkte schon 2018 – lange vor dem Ukrainekrieg – 158. Ob da auch die Russen dahintersteckten? Dorian Baganz