Prügel, Dornen, Chilischoten: Welche Strafen für Kinder überliefert sind – WELT

Ein Krug im Alten Museum Berlin zeigt einen sehr pummeligen Knaben mit einem ebenso breiten Grinsen auf dem Gesicht vor einem Krüglein. Es ist das Jahr 420 v. Chr. in Athen, und das dicke Kind hat einen ersten Schritt zum Erwachsenwerden geschafft: Zum Choenfest am Frühlingsanfang bekamen die dreijährigen Knaben ihre erste, sehr kleine Kanne Wein. Und Kuchen! Andere Exponate zeigen einen Jungen, der mit einem Jo-Jo spielt, ein junges Mädchen auf der Schaukel. Fröhliche Kinder.

Denkt man an Erziehung in alten Gesellschaften, denkt man an Härte. An Jünglinge, die im Gymnasium fit gemacht wurden für den Kampf, oder an die ganz Harten, die Spartaner: Sie nahmen Jungen, sobald sie sieben Jahre alt geworden waren, den Eltern weg zur Abhärtung und militärischen Ausbildung. Und tatsächlich: „Die Idee, den Nachwuchs mithilfe körperlicher Züchtigungen zu erziehen, (zieht sich) durch die gesamte Geschichte der Pädagogik (bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts)“, schreiben Norbert Seel und Ulrike Hanke in ihrem Buch „Historische Pädagogik“.

Doch schon Ptahhotep, als Wesir um 2400 v. Chr. der zweitmächtigste Mann am Nil nach dem Pharao, sagte nachsichtig: „Kein Mensch wird weise geboren.“ Seine Lebensmaximen wurden immer wieder abgeschrieben, auch von Ägyptens Schülern.

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Natürlich gab es körperliche Strafen trotzdem, für künftige Schreiber auch Strafarbeiten: In der Tempelanlage Athribis fanden im vergangenen Jahr Tübinger Archäologen mehr als 18.000 Ostraka, beschriftete Tonscherben, rund 2000 Jahre alt. Listen und Abrechnungen – und Scherben, die mit immer derselben Hieroglyphe bemalt waren, man hört den Lehrer fast über die Jahrtausende „Du schreibst jetzt 100 Mal den Löwenhintern!“ (Anmerkung: „Der Löwenhintern“ war ein Zeichen für ph oder für das Hinterteil oder Ende).

„Wer Vater oder Mutter schlägt, soll des Todes sterben“

Babylons König Hammurapi dekretierte vor 1750 v. Chr. auf seiner Diorit-Stele mit der ältesten vollständig erhaltenen Gesetzessammlung der Welt sogar: „Gesetzt, ein Kind hat seinen Vater geschlagen, so wird man ihm die Hände abschneiden“; im zweiten Buch Moses steht: „Wer Vater oder Mutter schlägt, soll des Todes sterben.“

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Nur, wie viele Väter werden unter diesen Umständen ihr Kind verraten und der Strafe ausgesetzt haben? Und neben den brutalen Strafen, die überliefert sind, stehen immer auch Funde wie Spielzeug, Murmeln und Püppchen. Es gibt Darstellungen von Zuneigung und auch viele Zeichen der Trauer um ein verstorbenes Kind. So fand man die Choenkännchen der dicken Knaben Athens oft in Kindergräbern; zumindest im Jenseits, so hofften die Eltern, sollten die Kinder weiter vergnügt sein.

Der Azteken-Codex

Am anderen Ende der Welt, in Mesoamerika, zeigen die Azteken den Spartaner, was wirklich hart macht. Stefan Rinke, Professor an der Freien Universität Berlin, ist Herausgeber der ersten vollständigen deutschen Ausgabe des Codex Mendoza, 2021 erschienen. Nach der verheerenden Niederlage gegen Hernán Cortés 1521 wurde die Geschichte und das Leben der Azteken in farbigen Zeichnungen und aztekischer Glyphenschrift auf Anregung von Vizekönig Antonio de Mendoza 1542 für Kaiser und König Karl V. aufgezeichnet.

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Zur Kindererziehung zählt Rinke gestaffelte Strafen im Codex auf; unartige Mädchen wurden von der Mutter gezüchtigt, Jungen vom Vater; im Alter von acht Jahren wurden sie mit Agavendornen gestochen. Mit neun Jahren wurden Jungen gefesselt und am ganzen Körper mit Dornen gestochen, Mädchen in die Hand. Mit zehn Jahren bekamen Kinder Stockschläge. Waren sie elf, hielt man sie über den beißenden Rauch gegrillter Chilischoten. Ein Junge von zwölf Jahren wurde vom Vater gefesselt und musste einen Tag auf feuchtem Boden liegen, ein Mädchen nachts fegen.

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„Wie groß der Ungehorsam und die Verfehlungen gewesen sein mussten, um derart bestraft zu werden, wissen wir nicht. Grundsätzlich galten aber Gehorsam gegenüber den Älteren und die Beachtung der religiösen Bestimmungen als wichtige Faktoren“, sagt Rinke. Nur: Ob es wirklich so streng zuging – man kann es auch bei den Azteken bezweifeln.

Schließlich, so Rinke, sei das Buch für den spanischen König bestimmt gewesen, und die Azteken wollten sich als „streng reglementierte Gesellschaft“ darstellen, als „zivilisiert“ und „diszipliniert“. Im wahren Leben hat die Mutter die Chilischoten vielleicht doch eher in den Kochtopf geworfen.

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Source: welt.de