Prozess gegen Sean „Diddy“ Combs: Das Finale einer amerikanischen Horrorshow

Bevor das Finale beginnt, wird es im holzvertäfelten
Gerichtssaal mit dem blauen Teppich und den großen Lampen an der Decke still
wie im Theater. Die Rangeleien draußen, das Geschrei, der Kampf, wer reindarf,
die zeltenden Platzreservierer („line-sitters“), Journalisten aus der
ganzen Welt, Influencer, die auf TikTok und Instagram ins Handy schreien und
live vom Prozess streamen, eine Frau, die ins Telefon reinerzählt, warum
Sean Combs mit Sicherheit unschuldig ist, diese große Show ändert für ein paar
ehrfürchtige Sekunden ihr Tempo. Die Geschworenenjury kommt durch die Seitentür
herein, der Saal erhebt sich, die Saaldiener in ihren schusssicheren Westen
gucken streng (kein Kaugummi!). Es ist, als würde man sich hier gegenseitig
kurz daran erinnern, dass man noch immer Teil dieser großartigen, heiligen,
amerikanischen Sache ist. Sean Combs sitzt vorne links zwischen seinen Anwälten
in einem hellblauen, großen Pullover (und man denkt sofort an Bill Cosby und
dann an Harvey Weinstein, R. Kelly, Johnny Depp). Beim Reinkommen hat er
zuvor Kusshände in Richtung seiner Mutter, seiner Kinder geworfen, die Hände
vor der Brust zu Herzen geformt. Die Stimmung scheint wirklich gut zu sein, es
wirkt, als empfange er Gäste und kenne sich damit gut aus. Tatsächlich sitzt
Combs seit letztem Herbst im Gefängnis, wo Haarefärben nicht erlaubt ist.
Früher trug er Diamanten, glitzernde Anzüge, meistens Sonnenbrille, jetzt sieht
man, dass er 55 Jahre alt ist, ein 55 Jahre alter, schweigender Mann, der
lebenslänglich kriegen könnte.