Porträt | Nachwahl: Mit Herschel Walker beginnt Donald Trumps Kampf um die Präsidentschaft 2024
Herschel Walker soll bei der Nachwahl den Senatssitz für die Republikaner holen: Der Ex-Footballspieler tritt in Georgia gegen den Demokraten Raphael Warnock an. Er hat einen zweifelhaften Leumund und vertraut auf die Bibel
Die US-Midterms gehen dramatisch zu Ende. Bei der Stichwahl im Staat Georgia am 6. Dezember tritt der Donald Trump ähnliche und bei manchen Unarten das Muster Trump übertrumpfende Ex-Footballspieler Herschel Walker gegen den Demokraten Raphael Warnock an, seines Zeichens Baptistenpastor. Es geht um einen Sitz im Senat. Der 60-jährige Walker kommt mit viel „Gepäck“, wie man so sagt: Einem schweren, angeblich geheilten psychischen Leiden und Vorwürfen der häuslichen Gewalt. Walkers Ex-Frau Cindy sagte 2008 in einem TV-Interview, Walker habe ihr eine Schusswaffe an den Kopf gehalten. Der Clip läuft nun in der Anti-Walker-Fernsehwerbung neben Aussagen von zwei Ex-Freundinnen, der Befürworter eines Abtreibungsverbots habe ihnen Geld gegeben für Schwangerschaftsabbrüche.
Gewinnt Warnock, haben die Demokraten eine 51 : 49-Mehrheit im Senat. Gewinnt Walker, steht es weiterhin 50 : 50, und Vizepräsidentin Kamala Harris gibt beim Patt den Ausschlag. Für das innerparteiliche Gerangel der Demokraten bedeutet der Ausgang viel: Die gegenwärtige 50 : 50-Konstellation hat es Senator Joe Manchin, einem Freund der Kohleindustrie, ermöglicht, Joe Biden auszubremsen. Bei 51 : 49 wäre wenigstens ein bisschen Luft. Jedenfalls ist die Kandidatur Walkers erster Einstieg in die große Politik. Er ist gut beim Umgang mit Medien. Donald Trump hatte ihn bei den Vorwahlen unterstützt „als Freund, Patriot und außerordentlichen Amerikaner“. Inhaltlich geht Walker nicht ins Detail. Er sei kein Politiker, wolle lieber Menschen helfen. Er stehe für Familienwerte und niedrige Steuern. Sein Widersacher sei ein Pastor, doch in Wirklichkeit sei Warnock „der Wokeness und der Regierung mehr verpflichtet als Gott und unserer Heiligen Bibel“, verkündet Walkers Kampagne.
Es ist ein ungewöhnlicher Clash in dem elf Millionen Einwohner zählenden Staat im Südosten der USA. Beide Kandidaten sind schwarze Männer. Weiße republikanische Wählerinnen und Wähler haben sich mit Walker arrangiert, berühmt seit seiner Zeit als Football-Star an der University of Georgia 1980 bis 1982 und als Profi bis 1997. In Georgia muss ein Wahlgewinner mehr als 50 Prozent der Stimmen haben. Bei der Hauptwahl am 8. November bekam Walker 48,5 Prozent und Warnock 49,4 Prozent oder 37.600 Stimmen mehr. Eine Nachwahlbefragung zeigte: 70 Prozent der Weißen und acht Prozent der Schwarzen stimmten für Walker, ebenso 95 Prozent der Republikaner und 88 Prozent der weißen Evangelikalen. Die Gläubigen sind über die Jahre pragmatischer geworden. Es zählt weniger der moralische Charakter eines Anwärters als sein erwartetes Stimmverhalten im Senat. Da verlässt man sich auf den rechten Walker. Verfehlungen, die es in der Vergangenheit eines Kandidaten gab, werden mit dem Hinweis bewältigt, der Gott der christlichen Bibel verzeihe Sündern. Oder es wird nicht geglaubt, was man nicht hören will.
Demokraten versuchten, Walker „zu zerstören“, um Schwarze von der Republikanischen Partei fernzuhalten, befand der republikanische Senator Lindsey Graham bei Fox News. Und Tony Perkins, Präsident der konservativen Lobby Family Research Council, erklärte, Walker werde „die Werte von Glauben, Familie und Freiheit“ verteidigen. Seine Lebensgeschichte erzähle von der „Macht der Gnade, von Erlösung und den Chancen, die Amerika gibt“. In seiner Autobiografie Breaking Free: My Life with Dissociative Identity Disorder, erschienen 2008, schrieb Walker über seine „dissoziative Identitätsstörung“, die jedoch überwunden sei. Er habe während dieser Erkrankung verschiedene Persönlichkeiten angenommen, 2001 beim Streit um einen Pkw einen Bekannten mit seiner Beretta verfolgt und sich darauf gefreut, „die kleine Einschusswunde zu sehen und das Spray von Gehirnmasse und Blut“. Als gläubiger Christ habe er dann aber zu Gott gebetet, einen „Jesus-liebt- Dich“-Aufkleber gesehen und professionelle Hilfe gesucht.
Trump und Walker kennen sich seit Walkers Football-Zeit. „In vieler Hinsicht wurde Mr. Trump für mich ein Mentor. Ich habe ihn als Modell gesehen“, so Walker in seiner Autobiografie. Seinen ersten Profi-Vertrag hatte Walker 1983 mit dem Football-Team New Jersey Generals in der kurzlebigen United States Football Liga (1983 bis 1985), die mit der National Football Liga konkurrieren wollte. Trump hat die Generals Ende 1983 gekauft. Walker erzählt, er habe viel Zeit mit Trump und dessen Familie verbracht und Trumps Familiensinn bewundert.
Trump und Walker schaffen alternative Realitäten. Walker übertreibt seine Errungenschaften als Unternehmer nach dem Football oder wenn er, wie in einem Videointerview mit der Newssite rollingout.com, seine Karriere im Militär erwähnt. Doch Walker war nie in Uniform. Im September verkündete er, in Wirklichkeit „Native American“ zu sein, ein amerikanischer Ureinwohner. Seine Mutter habe ihm gesagt, die Großmutter sei „eine Vollblut-Cherokee“ gewesen. Was stimmt, weiß man nicht. Walker erwähnte die Geschichte schon früher mit abweichenden Details.
Demokraten und Republikaner mobilisieren ihre Wähler für den 6. Dezember. Walker ging an die Basis mit einem Werbespot gegen Transfrauen im Frauensport, ein Kulturkampfthema, an dem sich viele Republikaner abarbeiten. Beide Parteien suchen nach den wenigen Unentschlossenen. Warnock betont Walkers Nähe zu Trump in der Hoffnung, Wähler in der Mitte hätten genug vom Ex-Präsidenten. 2009 machte Walker mit bei Trumps Reality Show The Celebrity Apprentice. Es ging nicht gut. „Ich bin nicht schwul, und ich liebe dich“, sagte Trump in der Show zu Walker. Doch: „Herschel, you are fired.“
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