„Polizeiruf 110“ München: Das ist ein Tatort

Immerhin wird es beim letzten ARD-Sonntagabendkrimi im Jahr
2024 dann doch noch einmal sehr schön. Wie toll der Münchner Polizeiruf:
Jenseits des Rechts
(BR-Redaktion: Claudia Simionescu, Tobias Schultze) ist,
zeigt sich schon bei der Wahl der Villa. Das Anwesen, das vor Kurzem in
Dortmund und München Schauplatz zweier Tatort-Folgen war, wusste bereits
zu beeindrucken durch Verwinkelung, Showtreppe und Pool. Was aber in München
als Bude für den Goldhändler Ralph Horschalek (Martin Rapold) und seine beiden
Töchter Mia (Emma Louise Preisendanz) und Sasha (Tochter des Stuttgarter
Bootz-Darstellers: Falka Klare) gefunden wurde (Szenenbild: Claus Jürgen
Pfeiffer, Assistenz und Location Scout: Rebecca Hanke), übertrifft an
Originalität doch vieles. Bestes Feature: der Fahrstuhlschacht, der hinter
Türen versteckt durch das Haus führt.

Regie geführt hat, unübersehbar schon in
der Eröffnung, Dominik Graf, der mit seiner markanten Stimme gleich zweimal einen
akustischen Cameo-Auftritt hat. Es geht los mit einem Standbild, ein älterer
Mann, der sich als Therapeut Martin Weibel (Michael Roll) herausstellt, und die
junge Mia. Dann wird in Splitscreens erzählt (Kamera: Hendrik A. Kley,
Schnitt: Amina Lorenz), was kein ästhetischer Gimmick für die Titelsequenz ist,
sondern elegant Übersicht über die Verhältnisse schafft. Wie in dem Moment, in dem Mia in einem Bild zu sehen ist und im anderen Kekse. Mia schaut die Kekse an, weil ihre verstorbene Mutter diese gerne mochte. Was Therapeut Martin weiß,
der ein alter Freund der Familie ist.

Tot ist wenig später Mias Freund, die große Liebe seit vier
Wochen – Lucky (Florian Geißelmann), ein Pornoregisseur, der Filme gedreht hat
mit sich und Mia. Was in
Köln zuletzt zu moralinsaurer Abwertung von Sexarbeit geführt hat
, wird
hier von Mia aus der Rolle verteidigt als Gefühl von Aufgehobensein im
Kontrollverlust. Auf die Ansicht des Therapeuten verzichtet sie:
„Ich glaub‘, ich hab‘ nicht so Bock auf das, was du sagen wirst.“

Eigentlich ist der Fall ganz einfach. Der Therapeut ist mit
seinen engen Ansichten zum Lucky gelaufen, um das Verhältnis zu beenden und die
bewegten Bilder von Mia sicherzustellen. Er hat Lucky mit einer Spritze
betäubt, woraufhin der schon angedrogte junge Mann unglücklich verstorben ist.
Der zweite Twist am Ende besteht dann darin, dass der Therapeut mit der innigen
Beziehung zu Frau Horschalek der leibliche Vater von Mia ist.

Der Polizeiruf nimmt sich aber die Freiheit, in die
Ermittlung einen schönen Umweg einzubauen. Dafür zeigt der Film Polizeiarbeit,
damit etwa die „Antragung“ unter einem Fingernagel vom Lucky als
entscheidende Spur im Labor die gebührende Aufmerksamkeit bekommt. Denn diese
Spur stellt die Gerichtsmedizinerin Franca Ambacher (Jule Gartzke) vor ein
Problem, das es in Wirklichkeit bis
in die höchsten Instanzen geschafft hat
: Bei einem Massengentest in
Niedersachsen konnte der jugendliche Täter ermittelt werden, weil die DNA, die
Vater und Onkel abgegeben hatten, auf ihn verwies. Diese verwandtschaftliche Beziehung
hätte aber nicht „verdachtsbegründend“ gegen den Täter verwendet werden
dürfen. Wie bei seinem
letzten Polizeiruf
bedient sich der Drehbuchautor, der
SZ-Filmkritiker Tobias Kniebe, bei einem Detail aus dem echten Leben, um
Spannung drumherum aufzubauen. 

Heißt hier: Franca Ambacher würde sich strafbar machen, wenn
sie der Polizei mitteilte, was ihre Untersuchung ergeben hat – die DNA von der
„Antragung“ stimmt mit der von Mia so stark überein, dass der Vater der
Täter sein muss. Also bespricht sich Franca Ambacher zuerst mit ihrem Mann (Jan
Messutat) und ruft dann einen Experten (Lukas Rüppel) herbei, der ihr zum
Stillschweigen rät. Das bricht Ambacher gegenüber der befreundeten Kommissarin
Cris Blohm (Johanna Wokalek) dann doch. Woraufhin die wiederum zum Anwalt Marcel Wössner rennt, den mit gut dosiertem Zug ins Kapriziöse Florian Karlheim spielt, der vor
Monaten ein berückender Strizzi in Nürnberg war
. Wössner legt Blohm nahe, eine andere
DNA-Spur vom Mia-Vater zu finden und damit alles zu beweisen. Und so besteht
das vorgezogene Finale des Films sowie seine Spannung darin, dass Cris Blohm
sich in die Horschalek-Villa einschleicht, als die Sasha-Tochter Geburtstag
feiert, sich versteckt, wartet, um irgendwann untersuchbares Material vom
Horschalek-Vater zu finden.