Platz jener Republik: Wir zu tun sein unseren Garten reservieren

Was die deutsche Seele ersehnt im Leben, so kennt uns die Welt, sind Haus und Garten. Vier Wände, drumherum ein paar Quadratmeter Muttererde zum Bestellen und Begießen, und das Ich ist bei sich.

Es hat also etwas grundsätzlich Verständliches, grundbodenständig, wenn Julia Klöckner, Präsidentin des Bundestages, bei einem Sommerempfang ausgerechnet über die Wiese vor dem Reichstag zu sinnieren beginnt. Denn der Platz der Republik, wie diese Wiese bürgerlich heißt, gefällt Klöckner ganz und gar nicht, sie sei des hohen Hauses unwürdig. Am liebsten würde sie die Grünfläche für den Bundestag erwerben. Warum? Um mehr „gärtnerische Macht“ auszuüben, wie sie sagt.

Der Platz der Republik, ein Garten? An diese Umdeutung muss man sich erst mal gewöhnen. Denn was könnte das heißen: einen öffentlichen Ort wie diesen als großes Gärtchen zu betrachten? Wann immer es ums Gärtnern geht, um Tomaten- oder Rosenzucht, wird das Grün als privates Glück gedeutet, und keineswegs nur im Land der deutschen Gartenprivatiers.  Schon vor 266 Jahren, in Voltaires Candide, oder: Der Optimismus enden die langen Reisen des Protagonisten, seine ernüchternden Begegnungen mit dem Gleichgültigen und Grausamen, genau dort, im privaten Refugium des Glücks: „Il faut cultiver notre jardin„, schließt er, wir müssen unseren eigenen Garten bestellen.

Ein Mikrokosmos der Kontrollierbarkeit

So ist der Garten schon zu Beginn der Moderne eine Allegorie der Spannung zwischen dem Privaten und der hässlichen Wirklichkeit. Durch das Internet weht seit Jahren der immerselbe Tweet: Ein Bild der Kinderbuchhelden Petterson und Findus, im Garten sitzend, wie sie Pfannkuchentorte essen, Blumen, Obstbäume, Vögel, ein altes Grammofon. Darüber hat eine Userin geschrieben „stop glamorizing „the grind“ and start glamorizing whatever this is„. Ein Post gegen den Leistungswahn und für mehr Muße, ein Schnipsel Utopie: Schön grün, schön behaglich. Wie die Welt eben sein könnte, wenn nur der Rest nicht wäre.

Was den Garten als Platz der Behaglichkeit ermöglichen soll, ist die strenge Abgrenzung qua Eigentum. Der Garten ist ein Mikrokosmos der privaten Macht und der Kontrollierbarkeit, säuberlich abgesteckt durch die Latten des Gartenzauns. Man gönnt ihn Voltaire oder dem weltmüden Candide, und Pettersson und Findus sowieso. Doch selbst in einem so eingehegten Ökosystem ist die Spezies moderner Mensch der Elefant im Porzellanladen, und seine Macht- und Kontrollfantasien scheitern üblicherweise einmal mehr: Denn zwischen dem gemähten Rasen und einem totgeteerten Parkplatz besteht für Bienen wenig Unterschied. Der Rindenmulch kommt aus Übersee getuckert, die Pestizide tun das ihre, und wo einst Wildblumen an Brennnesseln blühten, wo das Totholz lag, da steht nun bevorzugt der Kirschlorbeer in Reih und Glied – ökologisch wertlos, aber immergrün.

Gärtnerische Macht, das war für über 250 Jahre die hauptsächliche Machtform: die Idee, die Welt wie einen Garten zu bestellen und zu begießen, aufzuziehen und zurückzuschneiden. Und das galt natürlich auch für den Englischen Garten, mit seiner mühsam gefakten Natürlichkeit.