Philologie | Welcome, Buddies: Englisch verwandelt sich von der Weltsprache zum Geplapper

Nicht nur an britischen Hochschulen verschwindet das Interesse an englischer Literatur. Daran ist nicht nur die Fixierung auf ökonomische Nützlichkeit Schuld, sagt unser Autor Magnus Klaue

Die englische Sprache ist dabei, von einer Weltsprache zu einer Weltverkehrssprache herabzusinken: unentbehrlich bei der Kommunikation in Beruf und Alltag, aber ohne formbildende Kraft, ohne bereichernde Wirkung auf die Imaginations- und Reflexionsfähigkeit ihrer Sprecher. Tatsächlich beschränken sich die English Studies an den britischen Universitäten schon seit Jahren immer stärker auf die Vermittlung von Kompetenzen des Spracherwerbs und der Kommunikationsfähigkeit und vernachlässigen die Philologie, die Bemühung um sachgemäßes, ihrem Gegenstand angemessenes Lesen und Schreiben.

Eine Sprache jedoch, die von ihren Verwendern bestenfalls noch gemäß objektivierten fachdidaktischen Regeln „beherrscht“, aber nicht reflexiv durchdrungen wird, entwickelt sich kaum mehr weiter. Lebendig ist eine Sprache nur, wenn sie diejenigen, die sich ihrer bedienen, immer wieder überrascht, statt bloß von ihnen benutzt zu werden. Die Sphäre, in der sich solche inkommensurablen Impulse von Sprache bevorzugt Geltung verschaffen, ist die Literatur. Deshalb ist die Marginalisierung der Englischen Philologie innerhalb der English Studies ein Index für deren Selbstdemontage.

Werke „entkolonialisieren“

Dass die English Language Studies in Großbritannien weiter stark nachgefragt sind, während die Beschäftigung mit englischer Literatur immer unbeliebter wird, ist auch ein Ergebnis der auf ökonomische Nützlichkeit fixierten Hochschulpolitik der vergangenen Jahre, auf die die Universitätsleitungen mit Stellenstreichungen und politisch opportunen Modernisierungen ihrer Lehrpläne reagieren. Jüngst hat die Hallam University in Sheffield bekanntgegeben, dass sie den Studiengang Englische Literatur mit Beginn des Herbstes streichen wird. Auch andere Hochschulen, etwa die University of Wolverhampton und die University of Roehampton in London, haben den Rückbau der Studiengänge Englische Literatur und Philosophie angekündigt.

Mary Peace, Englisch-Dozentin in Sheffield, kommentierte den Beschluss der Hochschule, den Studiengang abzuschaffen, mit den Worten, es handele sich um eine Reaktion auf die Entscheidung des britischen Bildungsministeriums, künftig keine Studiengänge zu finanzieren, bei denen 60 Prozent der Studenten oder mehr im Anschluss an ihr Examen mit keiner Festanstellung oder weiterführenden Ausbildung rechnen könnten. Bildungsminister Nadhim Zahawi hatte anlässlich der Verkündung der Kürzungspläne, die mit einer verstärkten Repräsentation von People of Colour bei der Auswahl des Curriculums einhergehen sollen, zwar ein Plädoyer für John Keats, Lord Byron, Thomas Hardy und andere „weiße alte Männer“ des Kanons gehalten. Zugleich beharrte er aber darauf, dass nur noch Studiengänge staatlich gefördert werden dürften, die zum Berufseinstieg oder zur Aufnahme eines weiterführenden Studiums führten.

An bedeutenden Universitäten des Landes, in Oxford und Cambridge, aber auch in Exeter wird weiter Englische Literatur gelehrt werden. Die Dekonstruktion des Kanons durch Repräsentation diverser ethnischer Gruppen und Geschlechter wird aber auch ihnen durch hochschulpolitische Rahmenpläne verordnet oder zumindest nahegelegt. Die Tendenz zur Implementierung ideologischer Grundannahmen der Critical Whiteness und Gender Studies betrifft ebenso Elite- wie Provinz-Universitäten. Die schottische Stirling University hat im vergangenen März angekündigt, das Werk von Jane Austen aus den Lehrplänen zu tilgen, um sich zu „entkolonialisieren“. Immer mehr Weltliteratur verschwindet so von den Leselisten.

Bildungswesens nach Kriterien des Woke Capitalism

Im Fachmagazin The Conversation traten zuletzt Linguisten von der University of Essex mit der Behauptung an die Öffentlichkeit, Standard English sei eine Form von „racial oppression“. So etwas wie die korrekte Aussprache von Worten gebe es nicht, nur verschiedene Formen von „alternative pronunciation“. Deshalb sei der Versuch, die Regeln des Standard English zu vermitteln, diskriminierend.

Diese Beispiele zeigen, dass zwischen dem regierungsamtlichen Pochen auf ökonomische Nützlichkeit und der Expansion postmoderner Sprach- und Geschlechtertheorien in den philologischen Fächern kein Widerspruch, sondern ein Zusammenhang besteht. In der Beschäftigung mit dem vermeintlich diskriminierenden Gehalt bestimmter Worte und Metaphern artikuliert sich kaum Interesse an der Widersprüchlichkeit historischer und politischer Implikationen literarischer Texte. Statt um Eruierung sozialer Gehalte von Literatur geht es vielmehr um Oktroyierung eines sprachpolitischen Regelkatalogs, der die Neuformatierung des Bildungswesens nach Kriterien des Woke Capitalism (2020) implementieren helfen soll.

Diese hat der in Sydney lehrende Sozialökonom Carl Rhodes in seinem gleichnamigen Buch beschrieben. Im nachbürgerlichen Kapitalismus tritt Rhodes zufolge an die Stelle der liberalen Logik des Marktes, der Konkurrenz der Fähigkeiten und Argumente, ein Verdrängungswettbewerb der Identitäten, ethnischen Zugehörigkeiten, geschlechtlichen Selbstdefinitionen und Befindlichkeiten, der diese zu Einsätzen im Existenzkampf macht und der freien Diskussion entzieht.

Wie Hochschulbürokratie

Der differenzierte Gebrauch einer Standardsprache wird dabei zunehmend zu störendem Firlefanz, der den akademischen Vollzug behindert. Der Kult um triggernde Worte nimmt die Worte und die Sprache nicht als Ausdrucksform ernst, sondern bringt sie herunter auf das Niveau von Verkehrszeichen. Darin besteht die Verwandtschaft dieser Sprachauffassung mit der Sphäre von Verwaltung und Administration und damit zu jener Hochschulbürokratie, die ihre Implementierung fördert.

Gleichzeitig steht diese Sprachauffassung in scharfem Gegensatz zum Begriff von Sprache, wie er den Philologien zugrunde liegt. Der philologische Blick auf die Literatursprachen ignoriert nicht die Bedeutung der Sprachen als Verkehrsmittel, aber er erinnert daran, dass in keiner Sprache die Worte und Sätze in ihrer Signalfunktion aufgehen. Die Sprachobsession der Gender und Postcolonial Studies dagegen vergleichgültigt die Worte, indem sie sie lediglich als Auslöser oder Vermeider unbotmäßigen Denkens und Handelns in Betracht zieht. Der berechtigte Impuls, den politischen und sozialen Gehalt von Sprache kritisch zu beleuchten, wird genau dadurch torpediert, denn er setzt voraus, in Sprache mehr als ein Repertoire von Signalwörtern zu sehen.

Und was an britischen Universitäten geschieht, setzt sich inzwischen auch in Deutschland durch. Hier verordnen sich immer mehr Hochschulen selbst dann, wenn keine pragmatische Notwendigkeit besteht, das Englische als erste Konferenz-, Vortrags- und Seminarsprache. Das wachsende Interesse ausländischer Studenten an Gastaufenthalten in Deutschland – vor allem aus China, Russland sowie aus arabischen Staaten – hat nicht nur die Funktion der Studiengänge Deutsch als Fremdsprache aufgeweicht, diese Entwicklung hat zudem einen Pseudokosmopolitismus genährt, der den Verzicht auf Pflege der jeweiligen Literatursprachen zugunsten eines omnipräsenten Gebrauchs des Englischen vernachlässigt. Was früher auf Fachhochschulen beschränkt blieb, erfasst inzwischen alle Fakultäten: Allein die Ludwig-Maximilians-Universität München bietet mehr als 20 Masterstudiengänge mit Englisch als Verkehrssprache an. Viele universitäre Sonderforschungsbereiche in Berlin, München, Leipzig, Köln kommunizieren intern und öffentlich primär auf Englisch.

Das Englische verliert dadurch die Qualitäten und Nuancierungen, die einer Sprache durch die Unterscheidung von Hoch- und Alltagssprache, von Literatur- und Verkehrssprache zukommen, und sinkt auf die Funktion eines allgemeinen Äquivalents, eines kleinsten allgemeinen Nenners herab. Es ist nicht mehr die Weltsprache par excellence und Medium eines kosmopolitischen Universalismus, sondern nur noch allgemeinste Gebrauchssprache: Weil jeder es irgendwie ein bisschen versteht, entlastet der Gebrauch des Englischen vom exakteren Verständnis der jeweiligen Literatursprachen. Dadurch verliert auch das Englische selbst an Nuanciertheit. Die Welcome- und Buddy-Seminare, mit denen deutsche Universitäten ausländischen Studenten Weltoffenheit simulieren, betrügen ihre Adressaten, indem sie die Sprache, in der sie sich an sie wenden, nur noch als Kommunikationsmittel statt als Ausdrucksform kennen.

Magnus Klaue ist Germanist, schreibt regelmäßig u. a. für die Welt und arbeitet derzeit an einer Studie zu Max Horkheimer

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