Pharma- und Chemiekonzern: Ein Urgestein rückt im Rahmen Merck an die Spitze

Kai Beckmann führt vom kommenden Jahr an den Darmstädter Merck -Konzern. Er wird im Mai 2026 den Vorsitz der Geschäftsleitung von Belén Garijo übernehmen, deren Amtszeit endet, wie Merck am Donnerstagmittag mitteilte. Damit hat der Pharma- und Chemiekonzern einen internen Nachfolger mit dreieinhalb Jahrzehnten Zugehörigkeit zum Unternehmen gewählt. Beckmann, der diesen Monat 60 Jahre alt wurde, ist seit 1989 im Konzern, seit 14 Jahren in der Geschäftsleitung und verantwortet momentan den Unternehmensbereich Electronics. Er wird mit sofortiger Wirkung stellvertretender Merck-Chef und bleibt Elektronik-Chef, bis eine Nachfolge gefunden ist.

Für die Personalie ist im Merck’schen Gremiengeflecht der Gesellschafterrat der E. Merck KG zuständig, welche die Anteile der Eignerfamilie bündelt. Ihr gehören mehr als hundert Mitglieder an, etwa 70 Prozent der Aktien sind in ihrer Hand. Mit dieser Mehrheit kann der Dax-Konzern vergleichsweise wenig abhängig von den Moden des Kapitalmarkts agieren, namentlich seine Mischstruktur aufrecht erhalten. Die meisten anderen Pharma- und Chemiekonzerne haben sich aufgespalten, oftmals unter Druck von Investoren. In Darmstadt hält man an der Struktur, welche die Geschäftsrisiken streut, fest. Das Unternehmen hat außer gemeinsamen historischen Wurzeln nichts mit dem US-Namensvetter und Pharmakonzern Merck zu tun.

Johannes Baillou, Vorsitzender des Vorstands der E. Merck KG, erläuterte die Spitzenpersonalie intern auf einer Führungskräftetagung mit etwa 150 Teilnehmern in der Zentrale in Darmstadt. Angesichts Garijos Alters – sie ist 65 Jahre alt – fragten sich Branchenkenner seit langem, wann die Nachfolge geregelt würde. Wenn alles nach Plan läuft, wird Beckmann seinerseits mit 65 abtreten, denn der Vertrag von Mai an läuft fünf Jahre, wie das Unternehmen auf F.A.Z.-Anfrage mitteilte.

Abwechslungsreiche Karriere

Beckmann hat über seine interne Karriere den Konzern in seiner ganzen Breite durchmessen: Er war Landeschef in Singapur und Malaysia und in dieser regionalen Leitung mit allen Unternehmenssparten befasst. Er war IT-Chef, trat 2011 in die Geschäftsleitung ein, übernahm im Jahr 2017 die Leitung des Unternehmensbereichs Performance Materials, der damals noch aus Pigmenten und Elektronikchemie bestand. Die Pigmente sind inzwischen nach China verkauft. Übrig bleibt die Elektronikchemie, die einst in erster Linie ein extrem renditestarkes Geschäft mit Flüssigkristallen umfasste und inzwischen per Zukauf mit einem Halbleitergeschäft ausgebaut ist.

Neben seiner Tätigkeit für Merck ist Beckmann Vorsitzender des Aufsichtsrats der Bundesdruckerei-Gruppe und Vizepräsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Diese Position dürfte ihm gute politische Kontakte in Berlin verschafft haben. Branchenintern ist er eh bestens vernetzt, allein durch seine Merck-Tätigkeit und zusätzlich als Präsident des Chemiearbeitgeberverbands BAVC (von 2017 bis 2024), welcher der Tarifpartner der Gewerkschaft IGBCE und des Führungskräfteverbandes VAA ist.

Beckmann gibt sich – bei aller auch internationaler Konzernerfahrung – bodenständig und verwurzelt in der Region, ist häufig bei den „Lilien“ von Darmstadt 98 im Stadion zu sehen, dessen Sponsor Merck ist. In Hanau geboren, studierte er Informatik an der TU Darmstadt, hat einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften. Im Auftritt ruhig und höflich, konnte er über die Jahre leicht unterschätzt werden. Als Arbeitsdirektor und Verantwortlicher für den Stammstandort Darmstadt ab Anfang des vergangenen Jahrzehnts unternahm er eine Reihe von Maßnahmen, die den Konzernusancen zuwiderliefen. Pläne zur Auslagerung von Dienstleistungseinheiten ließen die Beziehung zu den Arbeitnehmervertretern abkühlen. Schließlich werden so industrieübliche Löhne umgangen, Leistungen billiger extern eingekauft. Arbeitsprozesse zerreißen, Reibungsverluste entstehen. Die Stimmung im bis dato als sehr arbeitnehmerfreundlich geltenden Familienkonzern fiel, der Ton in den Beziehungen mit dem Betriebsrat verschärfte sich zeitweise in für Merck-Verhältnisse nicht gekannter Art.

Viel interner Nachwuchs

„Wir freuen uns, dass mit Kai Beckmann eine hochangesehene Führungspersönlichkeit aus den eigenen Reihen den Vorsitz der Geschäftsleitung von Merck übernimmt“, ließ sich am Donnerstag Baillou zitieren. „Durch die lange und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Belén Garijo und Kai Beckmann sind ein nahtloser Übergang und Kontinuität in der Unternehmensführung sichergestellt.“ Im Februar hatte Merck schon drei Führungskräfte aus den eigenen Reihen in die Geschäftsleitung berufen.

Garijo wird Merck nach 15 Jahren im Unternehmen verlassen, davon sechs Jahren als Leiterin des Unternehmensbereichs Healthcare (Gesundheit) und seit 2021 als Vorsitzende der Geschäftsleitung. In ihre Zeit fallen Portfolioveränderungen, unter anderem die Akquisition von Springworks Therapeutics. Parallel habe sie „eine neue Leistungskultur im Unternehmen“ verankert, befindet Merck. In ihrer Position als Healthcare-Leiterin habe sie die Transformation des Unternehmensbereichs vorangetrieben, etwa durch den Ausbau der Präsenz in China. Unter ihrer Leitung wurde das ­zuvor gescheiterte Multiple-Sklerose-Medikament Mavenclad in einem branchenunüblichen neuen Anlauf zur Zulassung eingereicht und zur Vermarktung gebracht. Garijo habe das Healthcare-Portfolio durch drei strategische Veräußerungen optimiert. „Nach ihrer Amtszeit bei Merck wird Belén Garijo ihre fachliche Expertise weiterhin in die Gesundheitsbranche einbringen“, heißt es von Merck.