Pflegehelfer im Gespräch: „Viele Pflegebedürftige sind sehr trostlos“

Herr Abderrahmane, Sie sind 26 Jahre alt und Unternehmer. Wie kam das?
Schon als Jugendlicher im Berliner Wedding habe ich ein Projekt namens „Schüler helfen Senioren“ über Ebay-Kleinanzeigen angeboten. Mein heutiger Geschäftspartner Burak Erkovan und ich kennen uns seit der achten Klasse. Unser Abitur fiel 2017 zufälligerweise mit der Einführung der neuen Pflegegrade zusammen, daraus ist dann die Geschäftsidee entstanden.
Wie sieht die aus?
Schon Personen in dem leichten Pflegegrad 1, den es früher nicht gab, haben Anspruch auf den sogenannten Entlastungsbetrag. Derzeit sind das 131 Euro im Monat. Dieses Geld darf auch für Helfer ausgegeben werden, die putzen, kochen oder einkaufen gehen. Für ältere Leute ist es aber oft zu kompliziert, jemand Passenden zu finden und die Abrechnung mit der Pflegekasse hinzubekommen. Das ist unsere Nische: Wir vermitteln verlässliche und vertrauenswürdige Alltagshelfer aus der Nähe und rechnen direkt mit den Kassen ab.
Eine simple Sache.
Dachten wir auch, das war aber naiv. Es dauerte fast ein Jahr, vom Berliner Senat die Zulassung zu bekommen. Keiner hatte Erfahrung damit. Früher waren nur ausgebildete Pflegekräfte zu den Leuten nach Hause gegangen, aber zum Spazierengehen sind die zu teuer und auch überqualifiziert. Unser Mitarbeiter sind zumeist Minijobber, darunter viele Studenten und Auszubildende.
Wie groß ist Ihr Unternehmen?
Wir betreuen mit 3000 Helfern rund 6000 Kunden in 23 Städten. Damit gehören wir zu den drei größten der 18.000 Anbieter in Deutschland, und wir wachsen am schnellsten. Das ist ein ziemlich großer Markt, fast 864.000 Personen haben Anspruch auf Pflegegrad 1.
Von einem theoretischen Gesamtvolumen von 1,8 Milliarden Euro wurden 2024 rund 640 Millionen für den Pflegegrad 1 ausgegeben, davon 108 Millionen für die Unterstützung im Alltag. Wie viele Personen mit Pflegegrad 1 nutzen Helfer wie Ihre?
Wir schätzen, so um die 40 Prozent. Viel Potential sehen wir noch darin, unverbrauchte Ansprüche nachträglich zu nutzen. Wer zum Beispiel in diesem Jahr den Entlastungsbetrag von 1572 Euro nicht nutzt, kann ihn noch bis Ende Juni 2026 aufbrauchen.
Sind die Regeln überall gleich?
Leider nein, jedes Bundesland hat eigene Verordnungen mit eigenen Höchstsätzen. In Sachsen dürfen wir 38 Euro in der Stunde abrechnen, in Hessen maximal 25 Euro. Deshalb gibt es dort auch kaum Anbieter, das rechnet sich nicht. In Baden-Württemberg müssen Alltagshelfer Schulungen von 200 Stunden nachweisen, fünfmal so viel wie in Berlin. Das ist absurd: Niemand lässt sich fünf Wochen lang ausbilden, um dann 15 oder 16 Euro in der Stunde zu verdienen. Das muss dringend vereinheitlicht werden.
Was genau tun Ihre Alltagshelfer?
Das hängt vom Kunden ab: staubsaugen, wischen, beim Kochen und Wäschewaschen helfen, Müll rausbringen, manchmal auch Fenster putzen. Ich selbst habe bei einem Kunden mal 50 Amazon-Kartons weggebracht, weil er gar nicht mehr durch die Wohnung kam. Oft verbringen wir auch Zeit mit den Pflegebedürftigen, statt nur den Haushalt zu übernehmen. Viele von ihnen sind sehr einsam. Durch unsere jungen Helfer entsteht ein Austausch zwischen den Generationen, sodass der gesellschaftliche Nutzen die Kosten von 131 Euro deutlich übersteigt.
Was kostet das in der Stunde?
Wir rechnen mit den Pflegekassen 32,75 Euro je Stunde ab. Wer den gesamten Entlastungsbetrag für uns verwendet, bekommt also vier Stunden im Monat. Unser Satz ist geringer als der vieler Wettbewerber und rechnet sich nur, weil wir sehr viel digital erledigen. Nicht jeder Anbieter überlebt, wir haben schon zwei insolvente Unternehmen übernommen. Unsere Helfer bekommen etwa die Hälfte des Stundensatzes.
Überschlagsweise setzen Sie 9,4 Millionen Euro im Jahr um. Sind Sie nach sieben Jahren im Markt profitabel?
Ja, seit einem Jahr. Aber das klappte nur, weil Burak und ich uns drei Jahre lang als Geschäftsführer kein Gehalt gezahlt haben und wir weiter bei unseren Eltern wohnten. Ich hatte angefangen, Wirtschaft zu studieren, das war aber nebenbei nicht zu schaffen.
Warum soll die defizitäre Pflegekasse Putzhilfen und Ihre Gewinne bezahlen?
Was wir tun, hat einen präventiven Effekt, wie es das Gesetz vorsieht. Wenn wir ihnen helfen, rutschen weniger Leute in die höheren Pflegegrade ab, die viel teurer sind. Wir kosten also kein zusätzliches Geld, sondern helfen den Pflegeversicherungen beim Sparen. Auch gesellschaftlich ist es gut, dass wir Alt und Jung zusammenbringen, alle profitieren davon.
Es gibt Überlegungen, die Leistungen einzudampfen. Der Arbeitgeberverband BDA fordert wegen der Mitnahmeeffekte das Ende des Entlastungsbetrags.
Den Pflegegrad 1 abzuschaffen, hielten wir für fahrlässig. Allein durch die Diskussion beobachten wir eine große Verunsicherung. Viele Kunden sagen, sie beantragen jetzt Pflegegrad 2, um sicherzugehen, dass sie weiter betreut werden. Der ist aber siebenmal so teuer wie der Pflegegrad 1, weil er auch die Verhinderungspflege und Pflegesachleistungen umfasst. Wenn nur ein Sechstel der Antragsteller eine Zusage für Pflegegrad 2 bekommt, kostet das zwei Milliarden Euro. Man müsste also deutlich mehr aufbringen, als man durch die Streichung des Pflegegrads 1 einsparen könnte.
Fürchten Sie um Ihr Unternehmen?
Ich habe schon besser geschlafen. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich gerade Vater geworden bin.