Passives Wahlrecht: Riskanter Plan
Elisa Hoven ist Professorin für Strafrecht der Universität Leipzig, zudem Richterin am Sächsischen Verfassungsgerichtshof. Das Vorhaben der künftigen Koalitionsparteien zum Entzug des Wahlrechts diskutiert sie auch vor dem Hintergrund des Urteils gegen die rechtspopulistische französische Politikerin Marine Le Pen wegen Veruntreuung von Geldern, das auch ihre Unwählbarkeit vorsieht.
Das passive Wahlrecht gehört zur Demokratie
wie das Wasser zum Meer. Es öffnet die Sphäre politischer Macht für den Bürger,
der selbst für ein politisches Amt kandidieren kann, er ist wählbar. Und der
gleichzeitig – aktives Wahlrecht – die Freiheit hat, jeden zu wählen, der zur
Wahl antritt. Fast jeden. Denn Paragraf 45 des Strafgesetzbuchs sieht vor, dass
einem Straftäter das passive Wahlrecht entzogen werden kann oder sogar muss. Im
Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es nun, dass diese Möglichkeit erweitert
werden soll – auf den ohnehin politisch umkämpften Tatbestand der
Volksverhetzung.
Wer dreimal wegen Volksverhetzung verurteilt
wurde, der soll künftig fünf Jahre lang kein öffentliches Amt bekleiden dürfen.
Eine solche Neuregelung könnte vor allem eine Partei treffen. In den letzten
Jahren haben die Staatsanwaltschaften eine Vielzahl von Strafverfahren wegen
Volksverhetzung gegen Politiker der AfD geführt. Denkbar, dass die Partei in
Zukunft mögliche Kandidaten verliert, wenn diese zu oft verurteilt werden.
Brisanz erhält die Diskussion um die
Entziehung des Wahlrechts durch den Fall von Marine Le Pen. Ein Pariser Gericht
verurteilte die französische Rechtspopulistin wegen Veruntreuung öffentlicher
Gelder und ordnete an, dass Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen 2027 nicht
antreten darf. Le Pen kritisierte das Urteil als Verhöhnung der Demokratie, sie
ficht es in der nächsten Instanz an. Tausende ihrer Anhänger demonstrierten auf
den Straßen.
Es lohnt sich also, einen genauen Blick auf
das Recht und die Logik hinter der Entziehung des passiven Wahlrechts zu
werfen. In Deutschland verliert man seine Wählbarkeit automatisch für fünf
Jahre, wenn man wegen eines Verbrechens zu einer Strafe von mindestens einem
Jahr verurteilt wurde. Dahinter steht die Überlegung, dass straffällige
Personen von wichtigen öffentlichen Aufgaben ferngehalten werden sollen. Die
Vorschrift dient, so steht es in den Kommentaren zum Strafgesetzbuch, der
„Reinhaltung des öffentlichen Lebens“.
Diese Zielsetzung ist antiquiert, sie wird von
vielen Strafrechtswissenschaftlern zu Recht als schwer vereinbar mit unserer
Überzeugung von Resozialisierung kritisiert. In einer Demokratie sollten
Wählerinnen und Wähler selbst entscheiden können, ob sie einem Kandidaten, der eine
Brandstiftung oder eine schwere Körperverletzung begangen hat, ihr Vertrauen
aussprechen. Außerdem sind die Ergebnisse nach unserem Gesetz höchst zufällig,
denn was als Verbrechen gilt und was nicht, das ist nicht notwendig Folge einer
besonderen Tatschwere. Der Raub ist ein Verbrechen, der Besitz von Kinderpornografie war es und ist es nicht mehr, die Untreue ist nur ein
Vergehen. Marine Le Pen hätte in Deutschland nichts zu befürchten gehabt.
Überzeugender erscheinen zwei andere
Begründungen für die Entziehung des passiven Wahlrechts, die im zweiten Absatz
des einschlägigen Paragrafen 45 zumindest angelegt sind. Der sieht vor, dass
die Gerichte bei einigen besonderen, im Gesetz genannten Vergehen die
Wählbarkeit aberkennen können. Die Rechtsfolge ist zunächst dann angemessen,
wenn durch die Straftat gerade die anvertraute politische Macht missbraucht
wurde, etwa im Fall einer Abgeordnetenbestechung. Vor allem aber kann der
Verlust der Wählbarkeit Ausdruck wehrhafter Demokratie sein.