Parlamentswahlen in Georgien: Ein Land muss sich entscheiden
Nana Malashkhia mag keine Interviews. Sie steht nicht gern im Mittelpunkt und auch nicht auf der Bühne. Und schon gar nicht wollte sie eine Heldin sein. Oder gar Politikerin. Aber außergewöhnliche Zeiten erfordern nun einmal außergewöhnliche Maßnahmen. So wie vor einem Jahr, als sie bei Antiregierungsprotesten gegen das sogenannte „Agentengesetz“ demonstrierte, mit einer EU-Fahne in der Hand. So „wütend“ sei sie damals gewesen, sagt sie heute. Dass die Regierung versuche, Georgien seine europäische Zukunft zu rauben. Das Bild, wie die Frau die Fahne immer weiter schwenkte, während sie der Strahl des Wasserwerfers erfasste, ging um die Welt.
Heute sitzt Malashkhia im sechsten Stock eines Bürogebäudes im Zentrum von Tbilissi. Es ist der Abend vor den Parlamentswahlen. Unten, auf der Prachtstraße Rustaveli, schiebt sich gerade der Abendverkehr durch die georgische 1,1-Millionen-Metropole. Kürzlich ist hier die „Koalition für Veränderung“ eingezogen, ein Bündnis oppositioneller Kräfte. Wenn man diese scheue, zierliche Frau so sieht, inmitten des hektischen Wahlkampfgewusels in den engen Büros und Gängen, fragt man sich, wie sie damals bloß dem Strahl des Wasserwerfers standhalten konnte. Doch sie blieb stehen, damals wie heute. Das Agentengesetz, das – gleich einem russischen Gesetz – Nicht-Regierungs-Organisationen und Medien gängelt, die mehr als 20 Prozent ihres Budgets aus dem Ausland erhalten, konnte sie am Ende nicht stoppen, die Maßnahme ist inzwischen in Kraft. Aber heute tritt Malashkhia als Listenerste der Koalition an, um nicht nur das Gesetz zu ändern. Sondern vielleicht sogar das ganze Land.
„Schicksalswahlen“, das hört man dieser Tage in Tbilissi fast an jeder Ecke. Wahlen, die entscheiden könnten, ob sich das Land am Kaukasus mit seinen 3,7 Millionen Einwohnern zu einer souveränen Demokratie entwickelt – und sich weiter in die EU integriert. Oder ob die ehemalige Sowjetrepublik doch wieder zurückfällt, in die toxische Umarmung Russlands. Manche sagen sogar, es seien die wichtigsten Wahlen Georgiens seit seiner Unabhängigkeit vor mehr als 30 Jahren. Die Partei Georgischer Traum des Milliardärs Bidsina Iwanischwili regiert hier seit zwölf Jahren – mit immer autoritäreren Zügen. Und gerade der paranoide Milliardär, der sein Vermögen im Russland der Neunzigerjahre gemacht hat und sich inzwischen nur noch hinter Panzerglas in die Öffentlichkeit traut, steht im Verdacht, das Land, das lange als Vorreiter in puncto EU-Annäherung galt, wieder näher an Russland heranzuführen.
Ein Machtwechsel in Georgien ist möglich
Eine weitere Schlüsselfigur ist dieser Tage die proeuropäische Präsidentin Salome Surabischwili. Sie hat in der EU für Georgien lobbyiert und versucht nun, die Opposition zu einen. Das prowestliche Lager war lange fragmentiert, zerstritten und unbeliebt. Aber die Präsidentin hat den oppositionellen, proeuropäischen Kräften die Zusage abgerungen, nach dem Wahlsieg eine sogenannte Charta umzusetzen – inklusive fünf Punkten, damit der Beitrittsprozess mit der EU wieder aufgenommen werden kann. Georgien ist seit einem Jahr EU-Beitrittskandidat. Aber mit der zunehmend autoritären Politik wurde der Prozess auf Eis gelegt. Dabei unterstützen laut Umfragen 80 Prozent der Georgierinnen und Georgier eine Annäherung an die EU. So wie Malaschchia, das Gesicht der proeuropäischen Zivilgesellschaft. Aber: „Es geht nicht nur um die EU“, sagt sie. „Zu Europa zu gehören, ist Teil unserer Identität.“
Die Wahl ist eine Chance. Laut Umfragen wird die Regierungspartei zwar erneut gewinnen – doch ihre absolute Mehrheit womöglich verlieren. Wenn sich die proeuropäische Opposition nach den Wahlen vereint, könnte es also einen Machtwechsel geben. Doch noch gibt sich das Regierungslager nicht geschlagen.
Einer, der unermüdlich für ihren Machterhalt arbeitet, ist Nikolos Samcharadse. Der 45-Jährige ist ein Vorsitzender des außenpolitischen Komitees im georgischen Parlament, hat früher für die EU und das Entwicklungsprogramm der UN gearbeitet – und einer der wenigen Politiker des Georgischen Traums, der internationalen Medien dieser Tage Interviews gibt. Man merkt, wie geübt er darin ist, das Agentengesetz zu verteidigen, an dem sich die großen Proteste entzündeten. Dass es nur der Transparenz diene, und nicht der Repression. Dass hier „Doppelstandards“ angewendet würden. Und: „Nicht Politiker, sondern Gerichte sollen darüber urteilen, ob das Gesetz gegen EU-Werte und Normen verstößt oder nicht.“
Nana Malashkhia mag keine Interviews. Sie steht nicht gern im Mittelpunkt und auch nicht auf der Bühne. Und schon gar nicht wollte sie eine Heldin sein. Oder gar Politikerin. Aber außergewöhnliche Zeiten erfordern nun einmal außergewöhnliche Maßnahmen. So wie vor einem Jahr, als sie bei Antiregierungsprotesten gegen das sogenannte „Agentengesetz“ demonstrierte, mit einer EU-Fahne in der Hand. So „wütend“ sei sie damals gewesen, sagt sie heute. Dass die Regierung versuche, Georgien seine europäische Zukunft zu rauben. Das Bild, wie die Frau die Fahne immer weiter schwenkte, während sie der Strahl des Wasserwerfers erfasste, ging um die Welt.