Palästinenserin aus Gaza: „Es ist heute gut 30 Stunden her, dass ich irgendwas gegessen habe“

Vom Hunger in Gaza hören wir, und doch ist er weit weg. Nicht für unsere Autorin, die in dort lebt und täglich auf der Suche nach etwas zu essen ist. Bericht aus einem Tag, an dem sie noch nichts gefunden hat


Hunger in Gaza: Frauen warten auf eine Lebensmittelration

Foto: AFP/Getty Images


Es ist mehr als 30 Stunden her, dass ich das letzte Mal etwas gegessen habe. Manchmal esse ich zwei Tage lang nichts. Für die meisten Menschen auf der Welt ist das Wort Hunger ein flüchtiges Gefühl, das sich leicht mit einem Gang in die Küche oder in ein Geschäft in der Nähe beheben lässt. Zu sagen „Ich habe Hunger“ ist Routine, fast bedeutungslos. Aber stellen Sie sich vor, jedes Mal, wenn Sie Hunger haben, gäbe es nichts zu essen – keine Nahrung, keine Linderung, nur Leere. Dies ist seit über einem Monat meine tägliche Realität im Gazastreifen.

Seit Beginn des Krieges kontrolliert die israelische Besatzung die Menge und die Art der nach Gaza zugelassenen Lebensmittel. Als ein Waffenstillstand vereinbart wurde, hoffte ich, dass alles, was ich durchgemacht hatte, hinter mir läge. Ich klammerte mich an die Hoffnung auf ein besseres Leben und war überzeugt, dass der Hunger der Vergangenheit angehören würde. Doch gerade als ich begann, meine Gesundheit zurückzuerlangen, kehrten die Bombardierungen und die Zerstörung zurück – und mit ihnen der Hunger.

Keine Hilfslieferungen mehr nach Gaza: Die Regale leerten sich rasant

Seit fast zwei Monaten werden Lebensmittel und Medikamente nicht mehr nach Gaza geliefert. Jeden Morgen wache ich auf und hoffe, dass ich frühstücken kann, aber ich finde nichts. Am Nachmittag gehe ich dann mit meiner Mutter einkaufen, in der Hoffnung, dass wir etwas zum Kochen finden – aber das Gemüse ist fast aus den Märkten verschwunden, und selbst Brot wird knapp. Die Regale stehen leer. Bei diesem Tempo ist es nur eine Frage der Zeit, bis es gar nichts mehr zu essen gibt. Und was bedeutet schon eine kleine Mahlzeit alle zwei oder drei Tage angesichts des Hungers.

Hunger war früher nie Teil unseres Lebens. Früher kochten wir die köstlichsten Mahlzeiten, bestellten unsere Lieblingsspeisen und genossen sie in vollen Zügen. Jetzt erinnern wir uns an diese Tage nicht nur als Teil der Vergangenheit, sondern als gehörten sie zu einer ganz anderen Welt – einer Welt, die sicherer, freundlicher und so viel schöner war.

Die Blockade hat mich, und so viele andere, zu einer kollektiven Bestrafung gezwungen, zu Hunger und Entbehrungen für etwas, an dem wir keinen Anteil hatten. Ich bin nur eine junge Frau, die das Leben in all seinen schönen Formen liebt, aber ich muss leiden und zusehen, wie mein Volk leidet, als Druckmittel, damit die Geiseln zurückgebracht werden. Wie kann das fair sein? Das ist es nicht. Es ist zutiefst ungerecht. Als junge Frau, die körperlich und geistig völlig gesund sein sollte, spüre ich, wie mein Körper mit jedem Augenblick schwächer und zerbrechlicher wird.

Die ersten Kinder sterben an dem Hunger in Gaza

Ich habe auf Nachrichtenseiten gelesen, dass die Armut in Gaza ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht hat. Aber das ist keine Armut, das ist eine Hungersnot. Die israelische Besatzung ist direkt für die Entstehung dieser humanitären Katastrophe verantwortlich. Im Gazastreifen sterben die ersten Kinder an Hunger. Im Gegensatz zu Erwachsenen können sie ein solches Leid nicht ertragen. Ich denke an sie und stelle mir das Essen vor, nach dem sie sich sehnen, das sie aber nicht bekommen können – und der Gedanke bricht mir das Herz.

Die Angst vor dem Tod wirft einen langen Schatten auf das Leben in einem besetzten Land. Wer eine Krankheit oder Verletzung hat, hat keinen Zugang mehr zu den benötigten Medikamenten. In diesem riesigen Gefängnis, das Gaza ist, hat der Tod viele Formen: durch Scharfschützenfeuer, durch Bombardierung, durch Verhungern, durch fehlende medizinische Versorgung oder auch durch große Angst. Wir hören, dass Israel plant, den Gazastreifen vollständig einzunehmen und hier zu bleiben, wodurch so viele von uns vertrieben werden. Wir sterben, wir verhungern. Werden wir bald heimatlos, werden wir staatenlos sein?

Es fühlt sich an, als gehöre der Gazastreifen nicht mehr zu dieser Welt, als lebten wir in einer fernen, vergessenen Galaxie. Unser Leben ist von Leid und Fremdheit geprägt, während der Rest der Welt so weitermacht, als gäbe es unsere Realität nicht.

Ich habe das Gefühl des Hungers – seine Tiefe, seine Grausamkeit, seine Hässlichkeit – nie wirklich verstanden, bis jetzt, wo ich Hunger in all seinen schmerzhaften Einzelheiten erlebe.

Aya Al-Hattab ist Autorin und lebt in Gaza. Diesen Text hat sie für den britischen Guardian verfasst