Pakistan und Indien: Darum geht es im Konflikt um Kaschmir
Das ohnehin schwierige Verhältnis zwischen den Nachbarstaaten Indien und Pakistan hat sich deutlich verschlechtert: Indien griff mehrere pakistanische Ziele an, zahlreiche Menschen wurden getötet. Zuvor hatte es einen Terroranschlag im indisch kontrollierten Teil der Himalayaregion Kaschmir gegeben, für den Indien Pakistan mitverantwortlich machte. Wir beleuchten die Hintergründe der Geschehnisse.
Weshalb haben die Spannungen zwischen Indien und Pakistan zugenommen?
Auslöser der jüngsten Eskalation zwischen Indien und Pakistan war ein Terroranschlag vor zwei Wochen im indisch kontrollierten Teil Kaschmirs. Vier bewaffnete Angreifer töteten in der bei Urlaubern beliebten Kleinstadt Pahalgam 26 Menschen, vorwiegend indische Touristen. Das Ziel der Angreifer sollen insbesondere Hindus gewesen sein. Die Täter sind noch nicht gefasst.
Die Stadt Pahalgam liegt im indischen Unionsterritorium Jammu und Kaschmir. Anders als die 28 indischen Bundesstaaten unterstehen die Unionsterritorien direkt der Zentralregierung in Neu-Delhi. Die Himalayaregion Kaschmir umfasst jedoch neben dem indischen Teil noch ein von Pakistan kontrolliertes Gebiet sowie einen kleinen chinesischen Teil.
Laut Medienberichten sollen die vier Verdächtigen der pakistanischen Terrorgruppe The Resistance Front, einer Splittergruppe der islamistischen Laschkar-e Taiba (LeT), angehören. Die LeT kämpft unter anderem gegen eine indische Kontrolle in Kaschmir und soll in der Vergangenheit schwere Terroranschläge in Indien verübt haben.
Wie haben beide Länder den Konflikt seitdem eskaliert?
Beide Seiten beschuldigen und sanktionieren sich seit dem Anschlag gegenseitig. Die indische Regierung warf
Pakistan vor, den Angriff unterstützt zu haben. Der Nachbarstaat wies das zurück. Bis „ans Ende der Welt“ wolle man die Angreifer verfolgen, sagte der indische Premierminister Narendra Modi laut BBC.
Indien verhängte umgehend zahlreiche Sanktionen gegen Pakistan. Alle pakistanischen Staatsbürger mit indischem Visum mussten Indien offiziell verlassen. Auch nach Ablauf der Frist vergangene Woche waren noch zahlreiche Menschen auf dem Weg von Indien nach Pakistan.
Zudem setzte Indien den sogenannten Indus-Wasservertrag aus, der die Wassernutzung beider Länder für den Indus-Fluss sowie seine Nebenflüsse regelt. Außerdem schloss Indien den wichtigsten Grenzübergang zu seinem Nachbarn und wies pakistanische Diplomaten aus.
Pakistan bezeichnete die Aussetzung des Indus-Vertrags als Kriegshandlung und drohte damit, das sogenannte Shimla-Abkommen aufzukündigen – ein Friedensvertrag, der zur Deeskalation verpflichtet. Zudem verhängte Pakistan ähnliche Maßnahmen wie Indien. So endeten auch die Visa für indische Staatsangehörige in Pakistan und Diplomaten wurden mit sofortiger Wirkung ausgewiesen. Außerdem schloss Pakistan seinen Luftraum für alle indischen Fluggesellschaften und setzte den Handel mit Indien aus.
Auch an der Kontrolllinie in Kaschmir spitzte sich der Konflikt zu. So kam es mehrere Nächte in Folge zu Schusswechseln zwischen indischen und pakistanischen Soldaten. Indien beschuldigte mehrfach Pakistan, das Feuer eröffnet zu haben.
In der Nacht auf Mittwoch griff Indien schließlich neun Ziele im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs sowie im pakistanischen Teil der Region Punjab mit Raketen an. Zahlreiche Menschen wurden getötet. Laut indischem Militär zielten die Angriffe auf pakistanische „Terrorcamps“. Zudem soll es erneute Schusswechsel an der Kontrolllinie gegeben haben.
Pakistan meldete daraufhin den Abschuss mehrerer indischer Kampfjets und kündigte Vergeltung für die indischen Angriffe an. „Pakistan hat jedes Recht, auf diese Kriegshandlung Indiens mit aller Härte zu reagieren, und das wird es auch“, sagte der pakistanische Premierminister Shehbaz Sharif.
International gab es mehrfache Aufrufe zur Deeskalation. „Maximale militärische Zurückhaltung“ forderte etwa UN-Generalsekretär António Guterres – Frieden und Zurückhaltung das chinesische Außenministerium.
Wo liegt der Ursprung des Konflikts um Kaschmir?
In der Himalayaregion Kaschmir, die zum Teil von Indien, Pakistan und auch China kontrolliert wird, kommt es immer wieder zu Unruhen. Der Streit zwischen den Konfliktparteien Indien und Pakistan geht bis in die britische Kolonialzeit zurück. Im Jahr 1947 erreichte der indische Subkontinent seine Unabhängigkeit und wurde in Indien – weitgehend hinduistisch – und den neuen Staat Pakistan – weitgehend muslimisch – geteilt.
Im Anschluss kam es direkt zum ersten Krieg um Kaschmir. Daraufhin erfolgte eine Aufteilung in einen indisch und einen pakistanisch kontrollierten Teil. Seitdem ist die Bergregion Streitthema. Indien und Pakistan beanspruchen das Gebiet vollständig für sich.
Wie hat sich der Konflikt seitdem entwickelt?
In den 1960er-Jahren kam es zu einem weiteren Krieg um die Region, der den Grenzverlauf jedoch nicht veränderte. Zudem gab es immer wieder Anschläge und Aufstände, insgesamt wurden Zehntausende Zivilisten, Soldaten und Rebellen in dem jahrzehntealten Konflikt getötet. Verschiedene Rebellengruppen fordern seit Langem die Unabhängigkeit Kaschmirs, einen islamischen Staat oder den kompletten Anschluss an Pakistan.
Doch immer wieder gab es auch Phasen der Entspannung. Lange verfügte der indische Teil Kaschmirs über einen Sonderstatus in Indien, hatte eine eigene Verfassung, eine eigene Flagge und weitgehende politische Kompetenzen – mit Ausnahme der Außen- und Verteidigungspolitik. Die indische Regierung hob 2019 jedoch diese Teilautonomie auf und
stellte das Gebiet unter die direkte Kontrolle der Zentralregierung in Neu-Delhi.
Seitdem sind die Rebellengruppen in der Region vermehrt im Untergrund aktiv. Indien ist zudem militärisch präsent: Eine halbe Million Soldaten sind im indisch kontrollierten Teil stationiert.
Der indische Premierminister Modi ist für seinen hindunationalistischen Kurs
bekannt, bei dem er sich zunehmend von der Säkularisierung Indiens abwendet und immer wieder gegen Musliminnen und Muslime im Land
vorgeht. Gleichzeitig sind nicht muslimische Gruppen in Pakistan und im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs Diskriminierung ausgesetzt.
Wie hoch ist das Risiko für einen Krieg?
Der Terroranschlag in Kaschmir und die indischen Angriffe auf Pakistan könnten weitere Eskalationen nach sich ziehen: Die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan befänden sich derzeit „auf ihrem tiefsten Punkt seit Jahrzehnten“, sagte Politikwissenschaftlerin Manali Kumar von der Universität St. Gallen ZEIT ONLINE. Nach dem Terrorangriff habe sich die Situation „dramatisch verschärft“.
Diplomatische Kanäle und generell der Kontakt zwischen Indien und Pakistan sind Kumars Aussagen nach stark eingeschränkt. „Während die allgemeinen Beziehungen eingefroren sind, werden entscheidende militärische Kommunikationskanäle offenbar aufrechterhalten“, sagte die Indienexpertin.
Das Risiko für einen Krieg zwischen Indien und Pakistan schätzt Kumar als „derzeit sehr hoch“ ein. Auch eine nukleare Eskalation könne „nicht vollständig ausgeschlossen“ werden.
Was ist über Indiens und Pakistans Atomwaffen bekannt?
Zur jüngsten Eskalation kommt hinzu, dass Indien und Pakistan wegen des Kaschmir-Konflikts im Besitz von Atomwaffen sind. Sie dienten bisher vor allem als Zeichen der Abschreckung, um das jeweils andere Land von größeren militärischen Aktionen abzuhalten. Beide Länder haben den sogenannten Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet, verpflichten sich also nicht wie fast alle anderen Atommächte gegen den Einsatz ihrer Atomwaffen. Indien schloss bisher jedoch durch die sogenannte No-first-use-Erklärung aus, seine Atomwaffen einzusetzen, bevor es der Gegner tut.
Nach Angaben des Forschungsinstituts Sipri besaß Indien im vergangenen Jahr 172 und Pakistan 170 Atomsprengköpfe in Reserve. Zum Vergleich: Russland hatte demnach zuletzt 1.710 Sprengköpfe einsatzbereit und 2.670 in Reserve.
Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP, dpa und KNA