Ostmark wird jetzt regieren, wer es früher oder später sowieso getan hätte
Die ÖVP muss nach dem fliegenden Wechsel nun einen Kotau vor FPÖ-Chef Herbert Kickl machen. Ansonsten gilt, jede Annäherung ist überflüssig, man ist sich näher als gedacht – und „die Wirtschaft“ geil auf Blau-Schwarz
Wenn man das Personalreservoir der FPÖ abseits von Parteichef Herbert Kickl kennt, dürfte die ÖVP in Sachen Posten sogar die bestimmende Kraft bleiben
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Der projektierte Dreier zwischen ÖVP, SPÖ und liberalen Neos, die sogenannte Zuckerl-Koalition, war bereits Geschichte, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Behauptete man über Wochen stets den Fortschritt in den Gesprächen, so sind sie nunmehr geplatzt wie eine Seifenblase. Verwunderlich ist das nicht, auch wenn das Ende der Verhandlungen doch überraschend kam. Nach dem Ausstieg der Neos und dem Abgang Karl Nehammers als Kanzler und Parteichef der ÖVP ist die Sache flott und endgültig kollabiert. Das war’s dann.
Das Scheitern war programmiert, wenngleich nicht schon vorab. Das ganze Land wusste: Die wollen nicht miteinander, aber sie müssen, möchten sie die Freiheitlichen an der Regierung verhindern. Im Hintergrund drohte stets der blaue Mann, vor dem sich alle fürchteten. Die Basis war zu schmal, um sie in gemeinsame Vorhaben zu übersetzen. Sie wollten und konnten nicht, was sie hätten müssen sollen. Der Aufbruch war nie einer, und so hielt sich die öffentliche Sympathie in engen Grenzen. Ein langes Leben hätte diese Koalition sowieso keines gehabt.
Standort, Konkurrenz und Wachstum werden als Bekenntnisse vorausgesetzt
Jede Forderung, die von Andreas Babler und der SPÖ vorgetragen wurde und auch nur ein klein wenig an der Macht des Kapitals kratzte, wurde abgeschmettert und abgekanzelt. Die Volkspartei wird kein Programm unterschreiben, das „wirtschaftsfeindlich, wettbewerbsfeindlich und leistungsfeindlich“ sei, so Nehammer in Richtung SPÖ. Dieser will man nun partout das Scheitern zuordnen, obwohl gerade sie bis zum Schluss bereit war, fast alles zu schlucken, was man ihr zumutete.
Standort, Konkurrenz, Wachstum sind als kapitalistische Prämissen nicht kritisierbar, sie werden als Bekenntnisse vorausgesetzt. Zweifellos spiegelt das auch einen Konsens in der Bevölkerung. So grotesk der auch sein mag – es ist so. Die destruktive Substanz solcher Prinzipien wird nicht wahrgenommen, so sehr der Planet und alles Leben auch an den Folgen ungehemmten Vollzugs leiden. Da wird nichts in seinem Kontext gedacht. Dafür werden immerzu Werte plakatiert, denen wir alle verpflichtet sind und zu gehorchen haben.
Mehr Viktor Orbán, weniger Ursula von der Leyen
„Seit gestern hat sich die Situation geändert“, so Bundespräsident Alexander Van der Bellen am letzten Sonntag. Am Montag vergab er dann dieser Logik entsprechend den Regierungsauftrag an Herbert Kickl, den Parteiobmann der Freiheitlichen Partei (FPÖ). Es wird jetzt kommen, was früher oder später sowieso gekommen wäre: eine sich aufdrängende Koalition zwischen FPÖ und ÖVP. Die ÖVP muss nach dem fliegenden Wechsel freilich den Kotau vor der FPÖ und besonders vor Herbert Kickl machen. Das wird sie tun, und es wird ihr nicht guttun, denken wir an die zahlreichen Wahlen, die 2025 noch anstehen, etwa die Landtagswahl im Burgenland am 19. Januar.
Aber eines hat die ÖVP wiederum erreicht, sie ist weiterhin in der Regierung vertreten. Und das seit 1987. Und sie wird gut verhandeln, vor allem was Posten und Ämter betrifft. Wenn man das Personalreservoir der FPÖ kennt, dürfte die ÖVP sogar die bestimmende Kraft bleiben. Erfahrung als Maschinerie der Machtakkumulation hat sie. Was die inhaltlichen, vor allem die wirtschaftspolitischen Vorstellungen betrifft, brauchen sich ÖVP und FPÖ gar nicht erst zu suchen, um einander zu finden. Da ist jede Annäherung überflüssig. Daher ist „die Wirtschaft“ so geil auf Blau-Schwarz. Wenn es sich wo spießen sollte, so am ehesten international, betreffend den Ukrainekrieg oder die Positionierung in der Europäischen Union. Mehr Viktor Orbán, weniger Ursula von der Leyen dürfte angesagt sein. Aber auch das entspricht dem globalen Trend.