Operation in Belgorod: Nationalisten gegen Putin
Es kommt durchaus vor, dass Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin Pressekonferenzen abhalten. Wegen der Repressionen tun sie das im Exil. Oft reden sie über ein Russland der Zukunft, und werden wegen der aktuellen Machtverhältnisse kaum beachtet. Als sich jetzt aber Putin-Gegner vor Kameras stellten, war ihnen Aufmerksamkeit sicher. Auch sie traten im Exil auf, im nordostukrainischen Gebiet Sumy. Sie standen unter freiem Himmel, in Uniformen, mit Sturmgewehren und einem gepanzerten Fahrzeug, das sie nach eigenen Angaben bei dem Einfall in das angrenzende, westrussische Belgoroder Gebiet Anfang der Woche erbeutet hatten. Dazu hatten sie das Selbstbewusstsein junger, bewaffneter Männer in Gruppen. Und das, obwohl oder gerade weil über ihre beiden Verbände, das „Russische Freiwilligenkorps“ und die „Legion Freiheit Russlands“, wenig bekannt ist. Zum Beispiel, wie viele Kämpfer sie eigentlich stellen.
Dieser Krieg werde „in Moskau“ enden, sagte einer der Putin-Gegner in gutem Englisch zu einem westlichen Reporter, „in Moskau, meiner Heimatstadt“. Der bullige, ganz in schwarz gekleidete Mann Ende 30 ist der russische Rechtsextremist Denis Kapustin, der den Nachnamen Nikitin bevorzugt und sich auch „White Rex“ nennt. Das ist eine Bekleidungsmarke, die Kapustin 2008 gründete, in Deutschland. Dorthin war er 2001 im Alter von 17 Jahren als jüdischer Kontingentflüchtling gekommen.
Kapustin wuchs in Köln auf, spricht fließend Deutsch, wurde eine Führungsfigur in der rechtsextremen Hooligan- und Kampfsportszene. Der „Spiegel“ berichtete, dass Deutschland den Russen 2019 ausgewiesen und mit einem zehnjährigen Einreiseverbot in den Schengen-Raum belegt habe. Kapustin zog es in die Ukraine. Er war nach eigenen Aussagen 2014 während der Revolution auf dem Kiewer Majdan und soll im vergangenen Sommer das „Russische Freiwilligenkorps“ gegründet haben, als dessen Kommandeur er auftritt.
Für die „Befreiung“ Russlands
Manche zählen das „Korps“, wie auch die „Legion Freiheit Russlands“, zur Internationalen Legion der Territorialverteidigung der Ukraine. Darin sind auch andere Ausländer organisiert, die aufseiten der Ukraine kämpfen, etwa Tschetschenen, Georgier und Belarussen. Doch während Kapustins „Freiwilligenkorps“ nach Medienrecherchen an mehreren Kriegsschauplätzen im Süden und Osten der Ukraine präsent war und sich schon im März und April mit Einfällen in das westrussische Brjansker Gebiet brüstete, bezweifeln manche Beobachter auch jetzt noch, dass die „Legion“ überhaupt jenseits sozialer Medien existiert. Mitte Mai hatte Kapustins „Korps“ auf Telegram mitgeteilt, man habe sich entschieden, gemeinsam mit der „Legion“ in den Kampf zu ziehen. Zwar habe man unterschiedliche Ansichten über den künftigen Aufbau Russlands, doch ein gemeinsames Ziel, „den Sieg in diesem Krieg und die künftige Befreiung Russlands!“
Auf einem Foto dazu posiert Kapustin, schon Schwarz, zusammen mit einem Mann in Flecktarn: Maximilian Andronnikow, der als „Cäsar“ auftritt und ebenfalls bei der Pressebegegnung im Gebiet Sumy dabei war. Das Foto wurde, wie der russische Dienst der BBC hervorhob, nahe dem Sitz des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR aufgenommen. Dieser bekräftigte am Donnerstag, dass russische Staatsbürger die Belgoroder Operation „selbstständig, nach eigenen Zielen“ ausgeführt hätten. Kiew geht es offenkundig darum, Besorgnis in den Reihen der westlichen Unterstützer vor einer weiteren Eskalation zu zerstreuen.
Rechtsextreme führen die Einheiten
Auch Andronnikow hat nach Recherchen russischer Journalisten eine rechtsextreme Vergangenheit in einer nationalistischen „Imperiumslegion“. Er soll sich später aber von der Bewegung ab- und der für ihre Freiheit kämpfenden Ukraine zugewandt haben. „Cäsar“ ist wiederholt mit dem früheren russischen Duma-Abgeordneten Ilja Ponomarjow aufgetreten, der 2014 als einziger gegen die Krim-Annexion stimmte und seit 2019 ukrainischer Staatsbürger ist.
Ponomarjow hat sich als Vorsitzender einer „Nationalen Republikanischen Armee“ bezeichnet, die hinter Ermordungen prominenter Kriegsunterstützer in Russland stehe; ob es eine solche Gruppe wirklich gibt, ist bisher nicht belegt. „Cäsar“ sagte auf einer exilrussisch-oppositionellen „Versammlung von Volksabgeordneten“, die im November 2022 mit Ponomarjow in Polen stattfand, per Zoom, seine Organisation strebe einen gewaltsamen Machtwechsel in Russland an.
Neben dem zeitweisen Kontrollverlust macht die Belgoroder Aktion für Moskau unbequem, dass ihre beiden Gesichter, Kapustin und Andronnikow, einem Milieu entstammen, das der Kreml – bei aller Heterogenität – längst erfolgreich kooptiert oder wenigstens unter Kontrolle gebracht zu haben glaubte. Russische Vertreter legen Wert darauf, dass die „Sabotage“ von „ukrainischen Kämpfern“ verübt worden sei, nicht von russischen; da gilt das sonst gebrauchte Credo von Putin, Russen und Ukrainer seien „ein Volk“, nicht.
Während der Pressekonferenz am Mittwoch kündigte Kapustin, der in Russland nach der Aktion im März im Brjansker Gebiet mit offiziell zwei Toten als „in Abwesenheit inhaftiert“ gilt, weitere Einfälle auf russisches Gebiet an. Die Grenze sei „recht lang“, sagte er. Man möge bloß ein paar Tage warten, das „Korps“ werde definitiv in neue Regionen Russlands eindringen. Man habe nicht genug Kräfte, um die durchquerten Grenzgebiete „zu besetzen und vollwertig zu kontrollieren“, sagte er. „Für uns ist das noch eine Kraftprobe.“
Auf Linie Kiews
Am Donnerstag postete das „Korps“ abermals ein Video, das Kapustin angeblich in dem grenznahen Dorf Glotowo zeigt. Dort soll das „Korps“ schon Anfang der Woche gewesen sein. Dabei wurde Russlands „Antiterroroperation“ nach offizieller Darlegung am Dienstagabend beendet. Das Militär gab an, „mehr als 70 ukrainische Terroristen“ seien vernichtet worden. Dagegen bezifferten „Legion“ und „Korps“ ihre Verluste auf zwei Tote und zehn Verwundete. Das weist auf einen Informationskrieg beider Seiten, mit dem Ziel, den Gegner zu demotivieren und die eigenen Reihen zu erbauen. Die Reaktion des russischen Militärs auf die Sabotageaktion sei „langsam, panisch und desorganisiert“ gewesen, sagte Kapustin.
Die Exilversion der russischen „Nowaja Gaseta“ zitierte anonym einen angeblichen Teilnehmer des Angriffs, der äußerte, Ziel der insgesamt „rund 150 Mann“ sei die Einnahme der grenznahen Kreisstadt Grajworon gewesen. Erst dort sei man auf ernsthafte Gegenwehr gestoßen. Man „nicht alle Ziele erreicht“, auch wegen schlechten Wetters.
Kapustin hat angegeben, dass bei der Aktion amerikanische Militärfahrzeuge wie Humvees benutzt worden seien, die man aber „leider nicht von den westlichen Partnern“ bekommen habe. Er implizierte, dass die Fahrzeuge im Krieg von russischen Kräften erbeutet worden seien. Man könne derlei Gerät auf dem Schwarzmarkt kaufen, hob er hervor. Kiew unterstütze das „Korps“ nur mit Informationen, Treibstoff, Nahrungsmitteln und Medikamenten, versorge zudem die Verwundeten. Jede Entscheidung außerhalb der Ukraine sei „unsere eigene“, sagte Kapustin und lag damit ganz auf Linie des Kiewer Militärgeheimdiensts. Auf die Frage, ob es ihm etwas ausmache, als „Nazi“ bezeichnet zu werden, sagte Kapustin, er denke nicht, dass das eine Beleidigung sei. Er habe traditionelle, rechtskonservative Ansichten, schwenke aber keine Hakenkreuzfahnen und mache keinen Hitlergruß.
Source: faz.net