Oper | Die Mörder sitzen überall

Das Beste, was ich von dem Buch mitgenommen habe, ist das Gedicht von Walter Hasenclever: „Die Mörder sitzen in der Oper“.
Das ist richtig und trifft vielleicht mehr zu als: Die Mörder sitzen in der U-Bahn. Lassen wir einmal beiseite, dass das Gedicht nach dem 1. Weltkrieg geschrieben wurde.
Die Mörder sitzen auch im Auto. Überall finden wir sie. Aber hier geht es auch um den mordenden Dirigenten, der freilich eher unabkömmlich gewesen sein dürfte, aber als Dirigent mitverantwortlich für eine Kultur, die die Mörder mit dem „Rosenkavalier“ unterhält. Und damit zur Verlängerung des Grauens beiträgt. Heimatfront ist auch Front, wie wir gerade wieder lernen.
Bei Karl Kraus findet man viel über diese Zusammenhänge: »und das Bürgertum rief: ‚Die Kunst soll uns erheben, den Schmutz des Gasse haben wir zu Hause.«
Das Buch von Stefan Zednik enttäuscht aber ein bisschen. Vielleicht ist es ungerecht auf 160 Seiten zu viel zu erwarten. (Es gibt hohe Erwartungen z.B. durch Arnold Hauser oder Theodor W. Adorno begründet. Und ganz neu ist der Zusammenhang Oper und herrschende Klasse ja nicht.)
Zum Teil ist der Zusammenhang Oper und „gute“ Gesellschaft etwas willkürlich, auch wenn die Fährte in die richtige Richtung führt: die „Behauptung dieses Buches, es gibt immer einen Zusammenhang zwischen dem Inhalt einer Oper und ihren Bedingungen, dem Umfeld ihrer Aufführung.“ Das gilt freilich für fast alles, muss aber im Kunsttempel immer mal wieder erinnert werden, gehört zu dessen Ideologie doch das Abgehoben sein vom „Leben“ drum herum; wobei im Buch gegen Ende bei der Analyse der Regietheater zurecht darauf hingewiesen wird, dass es ohne etwas Modernisierung auch nicht geht, da die beinharten (Kultur-)Reaktionäre (Wagner-Fans) aussterben und die nachfolgenden Generationen ebenfalls ihre Duftmarken versprühen wollen.
Karl Kraus: „Die deutsche Bildung ist kein Inhalt, sondern ein Schmückedeinheim, mit dem sich das Volk der Richter und Henker seine Leere ornamentiert.“
Das ist nett, wirkt aber wie aus der Zeit gefallen: „Und genau wie die Märchenkönigin, die erste Terroristin der Operngeschichte, am Ende im selbst provozierten Feuer untergeht, wird Gudrun Ensslin schließlich von eigener Hand sterben.“ (Was nicht so ganz klar ist! Außer für Wikipedia) Oder: der Schah in der Oper? Nun seine politischen Nachfolger wird man eher nicht dahin einladen, aber das ist weder Fortschritt noch Rückschritt. Und Schelenskyj könnte sowieso mitspielen. Wenn…, aber das ist keine Oper, sondern gehört zur Fortsetzung der letzten Tage der Menschheit.)
Der Rückgriff in (nicht) vergangene Zeiten, und da es kaum laut dem Autor erfolgreiche neuere Opern gibt (Brecht kommt nicht vor, aber der landet sowieso eher im Theater als in der Oper) „Mit dem »Freischütz« hat die Reaktion 1821 ihr musiktheatralisches Programm, und der politisch eigentlich naive Weber ist der Schöpfer. Verkleidet als unpolitische Romantik versöhnt es das Vaterländische mit Natur und Religion. Und bereitet den Boden für eine schwärmerische, unheilvolle, mörderische Allianz der Zukunft: der von Chauvinismus und Bürgertum.“
Zwar findet man in der Oper (d.h. im Publikum) auch die neuere chauvinistische und imperialistische Reaktion, die sich ein grünes und blassrotes Mäntelchen angezogen hat, und Frau Merkel auf dem grünen Hügel erfreute, wie jetzt Frau Baerbock die Fotografen und die Gazetten, aber welche Bedeutung hat diese hochsubventionierte Kunst noch? Nicht nur für die Mörder damals und heute? Lohnt sich der (Kultur-)Kampf um die Oper?
Dazu liefert das Bändchen einen lesenswerten Einstieg. Eher für die Einsteiger, als für die Kenner, die bei all dem, besonders bei Hitler und Wagner, Götterdämmerung und Führerbunker, sich auf ihren Thomas Mann stützen können, vielleicht mit dem Rücken zur Wand, aber so ist die Lage heute.
Hier der Anfang des Gedichts:
Die Mörder sitzen in der Oper von Walter Hasenclever
Der Zug entgleist. Zwanzig Kinder krepieren.
Die Fliegerbomben töten Mensch und Tier.
Darüber ist kein Wort zu verlieren.
Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.
Zednik, Stefan: „Die Mörder sitzen in der Oper“. Erkundungen zu einer unzeitgemäßen Kunst. Kultuverlag Kadmos, Berlin 2022, 160 S., 24,90
###
Wenn unsere armen Kindern schon mit Koeppens „Tauben im Gras“ emotional überfordert sind, wie sollen sie dann dieses Gedicht verkraften? Seltsame LehrerInnen, von denen man während Corona, die organisierte Kindesmisshandlung, nichts gehört hat, und die sich jetzt um deren seelisches Wohl sorgen. Wäre es nicht einfacher, man verbrennt gleich die Bücher, als sie auf einen woken Index zu setzen?- Da es bei Karl Marx um Proletarier („Klassismus“) geht, die armen, am besten auch den streichen, dann schaffen wir damit gleich den Klassenwiderspruch und Klassenkampf aus der Welt – zumindest aus den (dumm gemachten) Köpfen. Es scheint, das Ziel von Schule und Universität ist es heute, nichts mehr zu lernen, das heißt Kritik und Analyse wird durch Glauben an das Gute von Oben (Staat, Kapitals-Presse, ÖR und gefällige Wissenschaft) ersetzt.