Olaf Scholz: Kita-Not, Schulkrise – knapp hundert Verbände appellieren an Bundeskanzler

Demonstration der Initiative »Schule muss anders«: Sie hat einen Appell zu einer Bildungswende gestartet (Archiv)

Demonstration der Initiative »Schule muss anders«: Sie hat einen Appell zu einer Bildungswende gestartet (Archiv)


Foto: Christian von Polentz / transitfoto.de

So kann es mit Deutschlands Bildungssystem nicht weitergehen, Olaf Scholz und die gesamte politische Führung müssen handeln! Das ist der Tenor eines offenen Appells, den am Donnerstag fast hundert Verbände aus dem Bildungsbereich veröffentlicht haben. »Unsere Gesellschaft erlebt aktuell eine der schwersten Bildungskrisen seit Gründung der Bundesrepublik«, heißt es in dem Schreiben, das unter anderem die Berliner Initiative »Schule muss anders« angestoßen hatte.

Ein enormer Mangel an Lehrern und Erziehern treffe auf ein »veraltetes, unterfinanziertes und segregiertes Bildungssystem«, das sozial ungerecht sei. Kinder und Jugendliche würden viel zu oft nicht ausreichend auf die Zukunft vorbereitet. Notwendige Aufgaben wie Digitalisierung und Inklusion seien »viel zu lange verschlafen« worden. Die mahnenden Worte richten die Unterzeichner an den Kanzler, die Bundesregierung, alle Länderregierungen sowie die 16 Kultusminister.

»Welche Entscheidungen Sie in den nächsten Wochen und Monaten treffen, hat maßgeblichen Einfluss auf die Bildungsbiografien, Zukunftschancen und Lern- und Arbeitsbedingungen von Hunderttausenden Schüler:innen und Beschäftigten«, heißt es in dem Appell unter dem Motto »Bildungswende jetzt!«. Davon hänge auch ab, ob sich die soziale Spaltung weiter verschärfe oder ihr entgegengewirkt werde. Die politisch Verantwortlichen müssten »jetzt die Weichen für ein gerechtes und inklusives Bildungssystem stellen«.

Fatal, dass zahlreiche Mahnungen bisher ins Leere liefen

Eine Forderung richtet sich konkret an den Bundeskanzler. Scholz soll in Absprache mit den Regierungschefs der Länder einen Bildungsgipfel einberufen, »um über Auswege aus der Bildungskrise und den Aufbau eines gerechten, inklusiven und zukunftsfähigen Bildungssystems zu diskutieren«, heißt es in dem Brief. Es sei fatal, dass die zahlreichen Mahnungen und Interventionen vonseiten der Zivilgesellschaft bisher nicht zu einem Umsteuern bei den maßgeblichen politischen Entscheidungsträgern im Bund und in den Ländern geführt hätten.

Als Beispiel wird etwa der Mitte März einberufene Bildungsgipfel zitiert, zu dem Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) eingeladen hatte. Das Treffen wurde als Farce wahrgenommen. Kaum ein Kultusminister war der Einladung gefolgt. Die nordrhein-westfälische Schulministerin Dorothee Feller (CDU) sagte, die Länder seien »im Vorfeld nicht inhaltlich durch den Bund einbezogen« worden. Damit gebe es »keine gemeinsame Arbeitsgrundlage«. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) sprach von einer »Showveranstaltung«, die in ihrer Art ungeeignet sei, die Themen anzugehen. Das Verhältnis zwischen Bund und Ländern gilt mit Blick auf die Bildungspolitik mindestens als angespannt.


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In einem Rundumschlag versuchen die Unterzeichner des Schreibens, darunter zahlreiche Vertreter von Eltern, Lehrern, Erziehern und Wissenschaftlern, die Dringlichkeit des Problems deutlich zu machen. So benennen sie mehrere Schwächen des deutschen Bildungssystems, die in den vergangenen Monaten immer deutlicher zutage getreten sind, und ihre Folgen.

Viele Kitas und Schulen beklagten, dass sie aufgrund der nicht kindgerechten Personalausstattung und der Überlastung ihren Bildungsauftrag nicht mehr erfüllen  können. Knapp 50.000 junge Menschen  verlassen jedes Jahr die Schule ohne Abschluss, wie die Unterzeichner betonen. Die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in Deutschland beim Lesen, Schreiben und Rechnen würden immer schlechter . Und: Der Bildungserfolg hänge immer noch maßgeblich von der sozialen Herkunft ab. Bildungschancen seien extrem ungleich verteilt, der wachsende Mangel an Lehrkräften und Erziehern verschärfe diese bereits bestehende Ungleichheit weiter.

Die Verbände mahnen »eine echte Bildungswende an, statt weiter Löcher zu stopfen«. Konkret stellen sie unter anderem diese Forderungen auf:

  1. Umfangreiche Investitionen in Kitas und Schulen: Es soll ein Sondervermögen Bildung in Höhe von mindestens 100 Milliarden Euro für notwendige Investitionen in Kitas und Schulen geben; mindestens zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts jährlich für Bildung und Forschung, wie es beim Dresdner Bildungsgipfel 2008 vereinbart wurde.

  2. Nachhaltige Maßnahmen gegen Personalnot: Die Politik soll eine Ausbildungsoffensive für Lehrkräfte und Erzieher starten sowie einen Staatsvertrag Lehrkräftebildung aufsetzen, der alle Bundesländer dazu verpflichtet, genügend Lehrkräfte auszubilden und die Studienabschlüsse gegenseitig anzuerkennen.

  3. Wirksame Reformen des Schullebens: So sollen etwa Lehrpläne und Lerninhalte »schülerorientiert und diskriminierungskritisch« überarbeitet werden, »um Freiräume für die intellektuelle, emotionale und soziale Entwicklung zu schaffen«. Statt zusätzlicher Vergleichstests soll es alternative Formen der Bewertung geben.


Die Unterzeichner des Appells warnen: »Die Bildungskrise raubt Kindern und Jugendlichen Zukunftschancen, verbaut ihnen Lebenswege und erschwert Teilhabe.« Auch die gesellschaftlichen Folgen der Bildungskrise seien enorm. So verschärfe sich etwa der Fachkräftemangel, und Armut werde reproduziert.


fok