Ob Strand, Gipfel oder Kathedrale – Zugang nur mit Reservierung

Der Overtourism in Spanien führt dazu, dass immer mehr Attraktionen nur noch mit Zeitfenster und Online-Reservierung zugänglich sind. So ist man selbst im Urlaub ständig unter Termindruck. Besonders ärgerlich: Oft sind dabei jede Menge persönlicher Daten preiszugeben.
Was für ein Anblick! Hoch über der Küste des Baskenlands thront die alte Seefahrerkapelle San Juan de Gaztelugatxe auf einer Felseninsel, die sich mit Bögen und Flanken weit herausschiebt. Oft fegen Stürme über die See, wüten Wellen an den Klippen. Dann kocht der Golf von Biskaya. Die dramatische Szenerie zieht wie ein Sog hinein. Die Insel ist mit dem Festland über eine Steinwallbrücke verbunden. Dahinter führen eine Rampe und über 230 Treppenstufen hinauf zum Heiligtum. Theoretisch jedenfalls.
Denn praktisch ist der Zugang stark begrenzt: Hier geht um Ostern, von Anfang Juni bis Ende September und an ausgewählten Wochenenden nichts mehr ohne Online-Reservierung. Fotos in den sozialen Medien von San Juan de Gaztelugatxe als Schauplatz in der US-Fantasy-Fernsehserie „Game of Thrones“ haben zu einem massiven Anstieg der Besucherzahlen geführt, den die Behörden jetzt durch strikte Zugangsbegrenzung einzudämmen versuchen.
Auf Englisch, Französisch oder Spanisch muss man sich durch die bürokratischen Mühlen einer Reservierung kämpfen. Immerhin: Man darf pro Person mehrere Tickets ordern – und bekommt diese per Mail zugeschickt. Und zwar kostenlos. Es geht nicht immer um Geschäftemacherei.
Spanien beim Tourismus weltweit auf Rang zwei
Spanien hat 2024 mit 94 Millionen Touristen aus dem Ausland den historischen Rekord geknackt; das waren zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor. Damit rangierte Spanien weltweit auf Rang zwei, einzig überboten von Frankreich. Die neuen Dimensionen des Overtourism bedeuten für Spanien-Besucher, zunehmend mehr Online-Reservierungen mit festen Zeitfenstern vornehmen zu müssen. Das setzt gerade dann, wenn man es in den Ferien eigentlich entspannt angehen wollte, unter Druck und Stress.
Wer in der Alhambra, dem Traumpalast der Maurenherrscher über Granada, ein wenig später kommt als auf der Buchung vermerkt, muss leider draußen bleiben. Da hört die spanische Lockerheit auf, da hilft keine Diskussion am Eingang. Auch die Sagrada Família, Antoni Gaudís weltberühmte Kirche in Barcelona, hat feste Zeitfenster, an denen nicht zu rütteln ist; im Rhythmus einer Viertelstunde geht es Schlag auf Schlag.
Was viele Reisende bei solchen Zwangsreservierungen besonders stört: die Preisgabe persönlicher Daten. Der Name allein reicht nicht aus. Obligatorische Angaben für Alhambra-Tickets sind: Ausweisart und Ausweisnummer, Land des Wohnsitzes, Mailadresse, Telefon, dazu natürlich alle Angaben für die Bezahlung mit der Kreditkarte. Im Fall von San Juan de Gaztelugatxe braucht man nicht die Nummer des Ausweisdokuments anzugeben, aber Altersgruppe und Geschlecht.
Der Gipfel des Teide auf Teneriffa ist ausverkauft
Die Reservierungspflichten haben Einfluss auf die Urlaubsplanung. Man sollte nicht nur an Flug und Quartier denken, sondern an frühzeitige Buchungen anderweitiger Tickets. Spontane Besuche in Spanien – einem Land, das immer von Improvisationskünsten gelebt hat – sind inzwischen oft ein Ding der Unmöglichkeit.
Beispiel: der Gipfelbereich des Teide auf der Kanareninsel Teneriffa. Wer Spaniens höchsten Berg besteigen will, braucht eine offizielle Genehmigung. Das tägliche Kontingent ist limitiert, gesplittet in vier Zeitfenster zwischen 9 und 17 Uhr. „Der Teide-Nationalpark hat beschlossen, die Besichtigung dieses symbolischen Gipfels zu regulieren und das empfindliche Gebiet zu schützen und somit gleichzeitig das Erlebnis eines jeden Besuchers qualitativ zu steigern und seine Sicherheit zu verbessern“, heißt es dazu auf der Website der spanischen Nationalparkverwaltung.
Die Details sehen so aus: „Während der Gipfelbesteigung erreicht man nach einem Fußmarsch von circa 650 Metern einen Höhenunterschied von 163 Metern. Der Besucher beginnt den Aufstieg bei einer Höhe von 3555 Metern am Anfang des Wanderweges (La Rambleta) und erlangt am höchsten Punkt 3717,98 Meter (Pico Teide).“
Die schlechte Nachricht gleich hinterher: Der Berg ist sozusagen ausverkauft. Beim Versuch einer Reservierung Ende Januar war alles für drei Monate im Voraus restlos ausgebucht. Wer bereits für den Teneriffa-Flug eingecheckt und geglaubt hat, er könne sich auf der Insel von einem Tag auf den nächsten den Gipfeltraum vom Teide erfüllen, hat Pech gehabt.
Ohne Reservierung geht vielerorts nichts mehr
An Spaniens Festland greifen die Restriktionen sogar für einen Strand in der Nordwestregion Galicien: die Praia das Catedrais, was übersetzt „Strand der Kathedralen“ bedeutet. Bei Flut steht der weitläufige Strand unter Wasser, bei Ebbe wird er von Besuchern geflutet – weil man dann durch frei gespülte Felsformationen geht, die mit etwas Fantasie an gotische Kathedralen erinnern.
Der Zustrom erfordert über Ostern und von Anfang Juli bis Ende September eine kostenfreie Reservierung, die man allerdings erst 30 Tage im Voraus vornehmen kann. Während des übrigen Jahres ist der Zugang frei.
Auch anderswo geht es nicht ohne Vorab-Reservierung. So ist es in einem Nationalpark wie Picos de Europa längst Standard, dass die Straße hinauf ins Hochgebirge zu den Seen von Covadonga während der wichtigsten Ferienzeiten nicht mit Privatfahrzeugen befahren werden darf. Ab den Großparkplätzen verkehren Zubringerbusse.
Und auf dem weltweit populären Jakobsweg nach Santiago de Compostela sind Pilger durch die Massennachfrage längst gezwungen, rechtzeitige Reservierungen in den Herbergen vorzunehmen. Sonst laufen sie Gefahr, keinen Unterschlupf mehr zu bekommen. Dabei will man sich doch gerade auf dem Jakobsweg bei der „Reise nach innen“ von Zwängen und Terminen lösen.
In Spanien herrscht nicht nur internationaler Overtourism, auch der Inlandstourismus sorgt für „Verstopfung“. Zum Beispiel im Flussquellgebiet des Urederra („Nacedero del Urederra“) in der Nordregion Navarra. Dieses Reiseziel dürfte vielen ausländischen Gästen unbekannt sein.
Voll ist es hier trotzdem: Die Besucher sind fast durchweg Spanier, sie rücken aus der näheren und weiteren Umgebung an, um im Naturpark Urbasa-Andía zu den türkisfarben schimmernden Becken des Urederra zu wandern. Der Zugang ist mittlerweile auf 500 Personen pro Tag begrenzt, das Reservierungsformular einzig auf Spanisch abrufbar.
Beim touristischen Massenandrang ist kein Ende in Sicht. Bereits 2025 könnte die 100-Millionen-Barriere auswärtiger Besucher fallen, orakelt Spaniens Tourismusminister Jordi Hereu. Damit steht zu befürchten, dass sich die Praxis der Einschränkungen und Zeitfenster mehr und mehr ausweitet und bald alle Highlights in Spanien nur noch mit Vorab-Reservierung zugänglich sind.
Source: welt.de