Nvidias Börsen-Erfolg: Im KI-Wettlauf muss Europa jetzt handeln – WELT
Die sprichwörtliche Rolle des Schaufelverkäufers im Goldrausch reklamiert der US-Chipdesigner Nvidia seit etwa zehn Jahren für sich. Der Konzern, der einst mit Hardware für Spiele-Computer groß wurde, baut die aktuell wichtigsten Chips für das Training und die Anwendung von künstlicher Intelligenz und konnte seit 2016 deutlich an Börsenwert zulegen.
Doch erst jetzt stellt sich heraus, wie groß der Goldfund wirklich ist und wie wichtig die richtigen Schaufeln sind. Nvidia verkündete aktuelle Geschäftszahlen und übertraf dabei die Prognosen der Analysten deutlich. Mehr noch: Vorstandschef Jensen Huang gibt an, dass seit Januar die Nachfrage für seine Chips explodiert. Sie seien essenziell für das Training der neuesten Generation von großen KI-Modellen wie ChatGPT, die aktuell die Arbeitswelt revolutionierten.
Nvidia legte buchstäblich über Nacht im nachbörslichen Handel umgerechnet gut 160 Milliarden Euro an Börsenwert zu. Zum Vergleich: Das wertvollste deutsche DAX-Unternehmen SAP kommt aktuell auf eine Marktkapitalisierung von gut 140 Milliarden Euro.
Die Kalifornier bauen die leistungsfähigsten Chips für Programme wie ChatGPT und können dafür entsprechende Preise aufrufen. Eine einzige H100-Recheneinheit kostet gut 40.000 Euro. Sie rechnet 250 Mal schneller als ein gewöhnlicher Server. Nur wer sich genügend davon sichert, kann seine Algorithmen schnell genug anpassen, um mit der Konkurrenz Schritt zu halten.
Ein einziger Trainingsdurchlauf eines großen Sprachmodells dauert aktuell mehrere Wochen und kostet zwischen zwei und vier Millionen Euro. Wer schneller rechnet, kann auch schneller neue Funktionen testen. Also startet nun das Rennen um das leistungsfähigste Rechenzentrum: 16.000 dieser Spezialchips will etwa Facebook in einen Supercomputer packen. Ähnliche Pläne hegen andere große US-Konzerne.
Noch ein Vergleich: Der schnellste KI-Supercomputer in Europa gehört dem Start-up Aleph Alpha und hat gerade einmal 512 Recheneinheiten. Die Zahlen zeigen das Problem aus Sicht der Europäer auf: Ausreichend Rechenleistung haben nur wenige kommerzielle US-Anbieter. Es fehlt eine gemeinsame europäische Antwort, eine Art CERN für künstliche Intelligenz. Gemeint ist die Europäische Organisation für Kernforschung.
Der KI-Boom erfordert Milliarden-Investitionen in neue passende Hardware. Wer nicht mitziehen kann, fällt im Wettlauf um die schnelle Anpassung der Algorithmen zurück. Die großen US-Konzerne werden ihren Startvorteil gegenüber allen anderen IT-Firmen weiter ausbauen.
Europa muss jetzt handeln
Start-ups etwa in Europa oder Forscher an europäischen Universitäten, die zu solchen Investitionen nicht in der Lage sind, haben künftig das Nachsehen. Sie suchen aktuell so schnell wie möglich nach kapitalstarken Partnern. Derzeit müssen sie Rechenkapazitäten teuer bei den US-Riesen mieten. Im Extremfall haben sie nur die Wahl zwischen Ausverkauf und Bedeutungslosigkeit.
Bereits realisiert hat das alles der britische Premierminister Rishi Sunak. Er will 800 Millionen Pfund in einen britischen öffentlichen Supercomputer für künstliche Intelligenz investieren, um den Forschern in seinem Land wenigstens eine Chance zu geben, mithalten zu können. Wenn Europa bei dieser Revolution dabeisein will, sind ähnliche Investments für die Forschung unumgänglich. Nvidia kann sich freuen, denn einen vergleichbaren Chiphersteller gibt es europaweit leider nicht.
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Source: welt.de