Nicht gescheitert | Warum die Linke eine Kleinpartei ist (und die Spaltung nötig)

Dass sie eine Großpartei werden könnte, war noch nicht einmal Teil ihrer Debatten. Bei der Analyse der Gründe sollte nicht nur auf die Positionierungen ihrer Vertreter und Fraktionen geschaut, sondern vor allem auf die dahinter stehenden Milieus sowie die Grundlagen von Parteientwicklung geblickt werden.

Die Ergebnisse der Linken in den seit ihrer Gründung bestrittenen vier Bundestagswahlen schwankten zwischen 4,9% und 11,9%. Trotz bedeutender Unterschiede für die Finanzlage und öffentliche Wahrnehmbarkeit bewegte sie sich damit ausnahmslos im Bereich einer Kleinpartei. Auch in der Mitgliederstärke zeigt sich das. Diese bewegte sich von knapp 80.000 Mitgliedern 2009 zu gut 60.000 in der Gegenwart — keine besonders große Basis.

Woran liegt das? Ein erstaunlicher Teil der Antwort ist: es gab nie ein anderes Ziel. Der Kleinparteienstatus spielte in der innerparteilichen Diskussion nie eine Rolle und dürfte viele Funktionäre auch nicht stören. Die Mitglieder und Funktionsträger sind ebenso wie viele außerparteiliche Linke an ein Nischendasein gewöhnt und kennen es meist gar nicht anders, da linke Parteien schon seit Jahrzehnten keine Großparteien mehr sind. Vielen Funktionären schwebte eine Linkspartei als Regierungspartner der Mitte-Parteien vor. Der bei manchen immerhin vorhandene Wunsch nach größerer Bedeutung wurde nie als Maßstab in die realpolitische Diskussion konkreter Ereignisse verbracht.

Bei der Untersuchung der Gründe für den Zwergenstatus muss deshalb unterschieden werden zwischen einem in der Partei angelegten Kleinparteicharakter, der leider in der öffentlichen oder parteiinternen Debatte nie bemerkt wird, und dem Schrumpfen der Wahlergebnisse in den letzten Jahren.

Für letzteres verantwortlich gemacht wird von Anhängern traditionell linker Positionen oft die Abkehr von glaubwürdigen sozialen Inhalten. Liberale Stimmen sehen den Grund für den Sinkflug eher in Zerstrittenheit oder gesellschaftspolitisch weniger moralisch als strategisch begründeten Positionen wie einer Ablehnung der Forderung nach offenen Grenzen.

Doch so oder so könnten beide vorgeschlagenen Rezepte Die Linke nicht zu einer Partei machen, die nennenswert über 10% der Stimmen erreichte und damit Gestaltungsmacht erlangte. Warum?

Kümmert sich Die Linke zu wenig um Soziales?

Richtig ist auf jeden Fall: das Engagement der Partei in diesem Bereich ist wechselhaft und nicht vollständig glaubwürdig. Die Regierungspraxis in den Bundesländern, in denen sie mitregiert (hat), ist nicht sehr überzeugend. Die Linke hat sich als Regierungspartei als funktionales Anhängsel der bürgerlichen Parteien gezeigt, und das selbst in Thüringen, in dem sie seit mehr als einer Legislaturperiode den Ministerpräsidenten stellt, aber praktisch die Rolle der SPD übernommen hat. Die Hoffnungen vieler, die die Partei bei der Wahl auf dem Stimmzettel angekreuzt haben, gingen wohl eher dahin, einen Unterschied erleben zu können. Dieser ist in keinem Politikbereich eingetreten, auch nicht im Steckenpferd Sozialpolitik.

Auch öffentliche Verlautbarungen prominenter Vertreter gingen in der Vergangenheit oft in Richtungen, mit denen das auf einen besseren Sozialstaat hoffende Klientel nichts anfangen kann (z.B. die Öffnung der Grenzen, Anleitungen zur Fluchthilfe, Solidaritätserklärungen mit der Transrechtsbewegung).

Beides ist ein Problem und mit Sicherheit für den Verlust an Unterstützern im unteren sozialen Bereich verantwortlich, die zu Nichtwählern wurden oder zur AfD gegangen sind. Es für die geringe Größe oder gar den Niedergang der Partei verantwortlich zu machen, greift jedoch zu kurz. Auch eine konsequent und glaubwürdig für die Menschen unterer Schichten einstehende Linkspartei hätte ein sehr begrenztes Wählerreservoir. Das Dasein als Protestpartei sozial Abgehängter reicht nicht, um zur Großpartei zu werden. Auch der Abstieg selbst vom Dasein als kleiner, aber immerhin etablierter Partei hat noch deutlich mehr Gründe.

Die Startbedingungen

Eigentlich begann der Start der jungen Linkspartei auf bundesdeutschem Parkett ganz gut. Die Fusion aus westdeutscher SPD-Abspaltung WASG und ostdeutscher Regionalpartei PDS einigte sich auf ein gemeinsam formuliertes Parteiprogramm um den praktischerweise unscharf definierten Begriff des Demokratischen Sozialismus, bei ansonsten konsequent sozialdemokratischem und einigermaßen ökologischem Programm. Die Konkurrentin SPD war in einer Dauerkrise. Die Linke verfügte über bekanntes, charismatisches und politisch talentiertes Spitzenpersonal wie Gysi, Lafontaine, Bisky, die auch aufgrund ihrer Eloquenz einige Zugkraft besaßen. Die Partei kam mit einem sagenhaften und nie wieder erreichten Ergebnis von 11,9% auf Anhieb in den Bundestag und etablierte sich schnell. In den ostdeutschen Ländern erreichte sie den Status einer Volkspartei, in einigen westdeutschen Ländern gelangte sie zumindest in den Landtag. Die gesellschaftliche Kontroverse um die Einführung von Hartz IV und die Agenda 2010 gab der Linken Auftrieb. Da sie aus der Gegnerschaft zu diesen Reformen entstanden war, blieb diese ihr Markenzeichen.

Ab 2013 jedoch, sechs Jahre nach der Gründung, rutschten ihre bundesweiten Wahlergebnisse in die Einstelligkeit. Zu diesem Zeitpunkt hatte es bereits einen Wechsel an der Parteispitze und in der Führungsgeneration gegeben. Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene sind in den folgenden Jahren allmähliche Verluste an Stimmanteilen sowie an Mitgliedern zu beobachten.

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Die sich aus der Gründung durch eine Fusion ganz unterschiedlicher und zu diesem Zeitpunkt politisch schwacher Kräfte ergebende Notwendigkeit, sowohl eine Integration nach innen um einen einigenden Kern als auch ein an wechselnde Themen angepasstes Angebot nach außen zu entwickeln, wird hier offensichtlich.

Die Partei bildete intern mehrere politisch sehr verschiedene Fraktionen aus, die auf ihre Herkunft aus zwei Mutterparteien zurückzuführen sind. Nach außen behielt sie ihren Anti-Agenda-Markenkern bei. Der Rest der deutschen Gesellschaft jedoch entwickelte neue Streitpunkte. Nach der Finanzkrise kamen mehrere EU-Krisen, die Flüchtlingskrise, Corona, die Inflation und mittlerweile auch die Friedenspolitik. An diesem Punkt war eine Parteiführung mit Vision und integrativer Kraft gefragt.

Denn Die Linke hatte nun gleich zwei Probleme. Zum einen musste sie Schritt halten mit den Entwicklungen, auf die sie Antworten brauchte, um zu überzeugen. Zum anderen zeigten sich innerparteilich eklatante Differenzen in der politischen Zielsetzung. Hier besteht ein Grundsatzproblem.

Die Linke krankt am Widerspruch zwischen proklamiertem Ziel und ihrer geringen Größe

Eine sozialistische Partei hat per Definition einen umfassenden Regierungsanspruch. Die Mitgestaltung von Teilen der Gesellschaft in Form von Gesetzen und Reformen, die als Juniorpartner an der Seite stärkerer Parteien ausgeführt werden kann, ist etwas qualitativ anderes als die Veränderung der Grundlagen der spätkapitalistischen Staats- und Wirtschaftsordnung. Diese kann nur begleitet und angestoßen werden, wenn eine ausreichende Unterstützung in relevanten Teilen der Bevölkerung besteht. Dem entspricht das Stellen einer Alleinregierung oder das Teilnehmen an der Regierung als stärkster Koalitionspartner.

Hierin liegt ein wesentlicher Grund für das Nischendasein der Linkspartei. Ist der demokratische Sozialismus unter Verstaatlichung der Großindustrie zwar im Parteiprogramm festgehalten und hat sich dort die letzten elf Jahre auch gehalten, war dieser tatsächlich von den meisten Funktions- und Entscheidungsträgern niemals ernstgemeint.

Genau dieses Problem drückt sich in der resultierenden Praxis der Linken aus. Wie sieht nämlich das Agieren einer solchen halbgaren Partei auf der politischen Bühne aus?

Die eingeschlagene Parteistrategie (oder eher: die sich ergeben habende Parteistrategie, denn an Führung mangelte es ab 2012 eklatant) zeigt ein Lavieren zwischen den Polen. Es wurde bis heute kein ernsthafter Versuch unternommen, die Linke als seriöse Großpartei zu etablieren. Anhand des Führungsverhaltens insbesondere auf ostdeutscher Landesebene, wo quasi die SPD ergänzt oder ersetzt worden ist, ist dies gut zu analysieren. Doch auch die Strategie westdeutscher Verbände und in Bundestagswahlen, die auch unter Verantwortung linkerer Kräfte liefen, zeigt die Gründe für das Dasein der Partei als Klientelpartei auf.

Die Selbstbeschränkung auf kleine Teilforderungen in der Kommunikation passt gut zu einem Abzielen auf den Eintritt in die Bundesregierung als Juniorpartner einer oder zweier größerer Parteien und hat gut zum Schwebezustand der internen Auseinandersetzung gepasst, die keine Seite offiziell gewann. Weder eine Präsentation, die eine Ablehnung des Systems kommuniziert, noch konkrete Teilforderungen sind dabei falsch (sie werden beide gebraucht). Die Linke ging aber nie dazu über, ihre Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme unter Beibehaltung ihrer Systemopposition tatsächlich zu demonstrieren.

Es gibt aber bei einer linken Partei erstens einen Zusammenhang zwischen Parteigröße und Parteientwicklung und zweitens einen Zusammenhang zwischen Parteigröße und Parteiprogrammatik. Linke Parteien brauchen sogar, wenn sie nur ein gemäßigt sozialdemokratisches Programm vertreten, eine große Basis, die ihre Ziele unterstützt und mobilisierbar ist. Der Grund dafür ist, dass ihre Anliegen gegen deutlich mächtigere und finanzstarke Interessengruppen durchgesetzt werden müssen — sie verteilen von oben nach unten. Hat eine solche Partei das nicht, kann sie ihre Versprechen nicht adäquat umsetzen. Das führt notwendigerweise über lang oder kurz zu einem stagnierenden Parteiwachstum und Verlust von Unterstützern.

Auch über die Programmatik kann sich eine Linkspartei schnell in Widersprüche verstricken. Die deutsche Linke hat ein verhältnismäßig weitgehendes Programm, das zwar kein sozialistisches ist, aber durchaus weiter als rein regulatorische Anliegen geht. Für ein solches Programm braucht die Partei erst recht eine gewisse Größe. Nimmt man dieses ernst, ist eine Umsetzung in einer Koalition mit den in Deutschland etablierten Parteien nicht möglich. Hier bräuchte es Mehrheiten, von denen deutsche Linke seit etwa fünfzig Jahren nicht mehr zu träumen wagen.

Die von der Partei bisher erreichten 10 oder 12 Prozent der abgegebenen Stimmen sind dafür ein Witz. Diese qualifizieren nur zu einer Regierungsbeteiligung als Juniorpartner. In dieser kann kein linker Fußabdruck hinterlassen werden — und das führt, wie oben beschrieben, irgendwann zu einem Verlust an Unterstützung, wenn gegebene Versprechen nicht eingehalten werden.

Dieses Dilemma ist in die Linkspartei eingeschrieben und ein Teil des Grundes für ihre schlaffe Entwicklung.

Hartz-IV-Empfänger reichen nicht als Zielgruppe: wer verändern will, muss regieren, und wer regieren will, muss breite Schichten ansprechen

Hierin liegt ein sehr zentraler Punkt, der implizit oder explizit Teil fast aller linken Strategiedebatten ist. In der Linkspartei war der regierungsorientierte Flügel stets der, der ein sehr minimalistisches, für eine Massenpartei nicht ausreichendes (diese aber auch nicht erforderndes) Programm vertrat.

Jedoch muss eine linke Partei, die ihr weiterreichendes Programm umsetzen will, am Ende regieren. Und dafür muss sie, wie oben angesprochen, große Mehrheiten erreichen. Dafür sind zwei Dinge wichtig. Erstens braucht sie ein Programm, dass alle die definierten Zielgruppen ansprechen kann. Die Linke konzentrierte sich hauptsächlich auf abgehängte und benachteiligte Milieus. Jedoch besteht die deutsche Arbeiterklasse nicht nur aus diesen. Es ist ebenso Teil der Realität, dass gutbezahlte, in Vollzeitjobs beschäftigte Arbeitnehmer und Selbstständige sowie kleine Unternehmer einen großen Teil der deutschen Bevölkerung stellen. Viele dieser Menschen haben auch kein unbedingt linkes Weltbild, sondern liberale bis sogar konservative Werte. Dies muss nicht zwangsläufig die Erkenntnis eigener Interessen und das Bedürfnis nach einer politischen Heimat, die die kleinen Leute statt des Großkapitals vertritt, ausschließen. Die Linke muss verstehen, dass, wenn sie Mehrheiten haben möchte, sie sehr viele Menschen erreichen muss, die sie noch nie gewählt haben. Darauf muss sie sich einstellen.

Zweitens muss sie — allein die Formulierung wird bei vielen Parteilinken wegen der spezifischen Konstellation der internen Grabenkämpfe Bauchschmerzen auslösen — regieren wollen. Und dies auch ausstrahlen. Es ist ein Unglück der linken Geschichte, dass die konsequenten Fraktionen, die das kapitalistische System tatsächlich angreifen wollen, stets in einer Art chronischen Daueropposition verharren, die ausschließlich Fundamentalkritik signalisiert und jede Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung, zur tatsächlichen Umsetzung der eigenen Ziele, zum Regieren weit von sich weist. Das Regierenwollen war immer Merkmal opportunistischer Linker, die ein Mehrheitsbeschaffer bürgerlicher Parteien sein wollen. Aber es muss auch Merkmal sein von Kräften, die ihre Kritik am kapitalistischen System tatsächlich ernst meinen.

Diese Frage genauer auszuführen, würde den Rahmen dieses Textes sprengen, wird aber an diesem Ort noch einmal Thema sein. Im Kontext der Entwicklung der Linkspartei muss zumindest festgehalten werden, dass es ein elementarer Grund für ihre Erfolglosigkeit und ihren Kleinparteicharakter ist, dass das Regierenwollen als Gestalter, nicht als Mehrheitsbeschaffer anderer, praktisch von den Vertretern des linken Flügels nicht als notwendig erkannt worden ist. Zielgruppe blieben immer Menschen der Unterschicht, auch in Wahlkämpfen unter Verantwortung linkerer Kräfte. Die Partei braucht aber ein selbstbewusstes, mutiges Programm, das versteht, dass Versprechungen irgendwann umgesetzt werden müssen und dass dies nur geht, wenn man zum einen weitere Kreise in seine Zielgruppe einschließt als nur die Ärmsten der Armen, und zum anderen zeigt, dass man weiter denken kann als nur bis zur Beseitigung der größten sozialen Härten, dass auch konstruktives Potenzial da ist, und Weitsicht, die befähigt, ein Land zu regieren.

Linke müssen bereit sein, Verantwortung zu übernehmen für die Entwicklung der Wirtschaft und das Wohlergehen des Mittelstandes, der Deutschlands ökonomisches Rückgrat ist. Wirtschaftsfreundlichkeit ist nicht das Gleiche wie Arbeitgeber- oder Kapitalfreundlichkeit, und dieses Verständnis muss eine gestaltungsfähige sozialistische Linke dringend entwickeln. Sozialist sein, heißt nicht nur, gegen etwas zu sein. Es heißt auch, unter dem eigenen politischen, antikapitalistischen Zeichen Verantwortung für etwas zu übernehmen, das für das Überleben eines Landes, das man führen will, notwendig ist. Da dieses Verständnis unter den klassischen Linken der Linkspartei nie bestand, und der rechte Flügel ohnehin kein Interesse am Aufbau einer Großpartei hatte, kam das Ziel einer Massenpartei in den Diskussionen schlicht nie ernsthaft vor.

So hatte aber die Partei eigentlich eine echte Entwicklung aus ihren Kinderschuhen heraus, aus dem kleinen, widersprüchlichen Fusionsprodukt heraus von Anfang an nicht vor. Ein Ziel dieses Textes ist es, schlicht darauf aufmerksam zu machen, dass diese Frage von elementarer Wichtigkeit für eine erfolgreiche Linkspartei ist, und dass der Kleinparteicharakter, den die Linke auszeichnet, eigentlich keine Selbstverständlichkeit sein sollte. Dass er es ist, ist ein Hauptgrund für die ausgebliebene Parteientwicklung.

Tatsächlich gehen hier linke Akteure, die den Spätkapitalismus ablehnen, unbewusst und unfreiwillig eine unheilvolle Allianz mit Parteirechten ein, die das System gerne verwalten wollen. Beide Seiten unternahmen keine Schritte, die Partei zu vergrößern. Diese unbewusste Einigkeit — aus völlig verschiedenen Motivationen heraus — hat es vielleicht sogar erst ermöglicht, dass die stillstehende Linkspartei überhaupt so lange überlebt hat. Diesen einen parteieinigenden Konsens gab es nämlich gewissermaßen, auch wenn jeder weitergehende Tragboden fehlte, ein weiteres Problem, das im folgenden Abschnitt zur Sprache kommt.

Denn der andere Grund liegt in anderen, oben schon angedeuteten, für den Erfolg politischer Parteien notwendiger Faktoren und der Art, wie ihr Personal damit umgegangen ist.

Grabenkämpfe ohne Entscheidung hungerten die Partei aus

Einigkeit in der Zielsetzung und Ausrichtung ist elementar wichtig für politischen Erfolg. Mitglieder, Unterstützer und Wähler müssen wissen, wofür eine Partei steht.

Die Linke war von Anfang an die oben beschriebene Zweckehe zwischen der greisen, bürokratisierten PDS und der Sammlung außerparlamentarischer Linker und SPD-Abtrünniger in der WASG. Die dadurch entstehenden Uneinigkeiten haben sich durch Flügelbildung schnell herauskristallisiert. Es ist in 15 Jahren Parteigeschichte keinem Vorsitzenden gelungen, diese einzuhegen und die Partei auf einer breit akzeptierten Grundlage zu einen. Vielmehr setzte man schnell auf einen Stopp der Weiterentwicklung und eine Koexistenz in Argwohn. Vor allem das Vorsitzenden-Duo Kipping und Riexinger, das von 2012 bis 2021 immerhin knapp 10 Jahre an der Parteispitze war, illustriert diesen Weg deutlich.

Kipping kommt aus dem staatstragenderen ostdeutschen Flügel mit deutlicher Orientierung ins linksliberale Milieu. Riexinger ist westdeutscher Gewerkschafter, der den linkeren Flügel vertreten sollte. Beide verkörpern den Charakter des Kompromisses gut. Nur schwach identifizierbare Standpunkte sowie wenig Charisma und Strahlkraft haben sie eher dank ihrer Durchsetzungsfähigkeit und dem Stillstand der Partei, der wenig politische Führungsqualitäten an der Spitze verlangte, so lange an der Führungsposition bleiben lassen. Beide ehemaligen Vorsitzenden dürften trotz langer Amtszeit einem Großteil der Deutschen unbekannt geblieben sein.

Das Resultat völlig fehlender Parteiintegration und politischer Vision über mehr als 10 Jahre ist eine bis aufs Blut zerstrittene Organisation, die nur noch über die Medien miteinander kommuniziert, sich in der Parteiarbeit gegenseitig blockiert und seit mehreren Monaten regelmäßig Spaltungsabsichten verlautbaren lässt. Es ist einleuchtend, dass das keine für irgendwen attraktive Partei ist.

Die Linke hätte für eine erfolgreichere Wendung Führungspersonal gebraucht, das sich getraut hätte, Richtungskonflikte auszutragen und einen klaren Weg zu weisen. Auch ein innerparteiliches Lager hätte diese Aufgabe übernehmen können. Weder Akteure vom rechten noch vom linken Flügel jedoch zeigten eine weitsichtige Strategie des Bewegens der Partei hin zu ihrem inhaltlichen Pol, die sie ihrem Agieren zugrundegelegt hätten und die es auf die Trennung hätte ankommen lassen. Vor allem die Parteilinke hat hier eine große Chance verpasst, da ihr von Anfang an hätte klar sein müssen, dass eine spätere Spaltung für die Durchsetzung ihres Kurses, der wenig grundlegende Kompromisse verträgt, unumgänglich war.

In dieser Lähmung durch eine verhinderte Parteientwicklung liegt — vor dem Hintergrund des Entstehens aus sehr unterschiedlichen Milieus, das große Widersprüche bedingt — ein elementarer Grund für das Dahinvegetieren der Linkspartei trotz einer großen Lücke im Parteiensystem, die sie hätte ausfüllen können.

Funktionäre blieben Technokraten, Nachwuchsförderung gibt es nicht

Ein Beispiel für die fehlende politische Führungsqualität der alten Parteispitze (und die Desorientierung der zugehörigen Jugendorganisation) ist, dass es völlig verpasst wurde, rechtzeitig nach Entstehen der Klimabewegung Fridays for Future diese an die Partei zu binden soweit es möglich war, das ökologische Profil der Linkspartei angemessen zu schärfen und möglichst auf eine antikapitalistische Ausrichtung in der Bewegung zu dringen. Das hätte sowohl Teilen von FFF eine sinnvolle Ausrichtung ermöglicht als auch aus diesen Reihen neue Parteiunterstützer rekrutiert. Das Ergebnis der Gleichgültigkeit: die meisten Menschen sprechen absurderweise den Grünen mehr Klimakompetenz als der Linkspartei zu, und Fridays for Future sowie später entstandene Bewegungen sind vollkommen abgedriftet in Identitätspolitik und Randalismus. Angesichts der Bedeutung einer sozialen, nicht identitären Klimapolitik ist dieses Versäumnis ein Desaster.

Die so dahinvegetierende Partei hat auch dazu passende eher farblose Vertreter mit auffallend fehlender Führungsstärke. Trotz vieler kompetenter und leistungsfähiger Kommunalpolitiker fehlt es eklatant an gutem Personal. Eine Besonderheit lässt sich vor allem in höheren Parteirängen der Landes- und Bundesebene beobachten. Die Führungspersönlichkeiten der Partei fallen dort durch bemerkenswerte Ideen- und Mutlosigkeit auf. Dazu passt fehlendes Format, wenig Charisma, und keine besonders starke Überzeugungskraft. Die meisten Topleute der Linken dürften dem Großteil der Deutschen völlig unbekannt sein.

Ein nachvollziehbarer Grund dafür ist die eingangs skizzierte nie einsetzende progressive Parteientwicklung, die einen steten Zustand des Verwaltetwerdens, aber nie des Geführtwerdens bedingte (welcher wiederum auf die Stagnation zurückwirkte). Eine solche Partei fördert kein visionäres Personal in den Führungsgremien. Sie sortiert Akteure mit Haltung eher auch noch aus, da ohnehin nie wirklich politische Einigungen erfolgten, und so jemand also eher aneckt oder sich isoliert.

Ein anderer wichtiger Grund ist die fast völlig fehlende gezielte Nachwuchsförderung. Besonders wichtig ist hierfür eine an die Partei angeschlossene Jugendorganisation, wie es sie in Form der Linksjugend Solid auch mehr oder weniger gibt. Bei der Konstruktion dieses Verbandes wurden allerdings gewaltige Fehler gemacht. Als Quelle nachwachsenden Personals war dieser offenbar von Anfang nicht vorgesehen und in der Realität auch nicht geeignet. Die Linksjugend ist viel zu lose an die Partei gebunden, die kaum politische Einflussmöglichkeiten hat. Der Besitz des Parteibuchs ist nicht einmal für Funktionäre vorgeschrieben. Die Aktivitäten der einzelnen Verbandsgliederungen sind nicht zwangsläufig an die entsprechenden Gliederungen der Partei gebunden. Existiert eine Zusammenarbeit lokal, so ist dies eher zufälligen Gegebenheiten geschuldet.

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Dazu kommt eine haarsträubend undurchdachte Satzung, die Chaos, Willkür und Ideologisierung geradezu hervorbringt. Solid beruft sich auf ein basisdemokratisches Konzept, das eine politische Führung nicht wirklich vorsieht und kaum Geschlossenheit erreichen kann. Leitungsgremien heißen „Sprecherrat“ und bestehen aus einer ganzen Handvoll Mitglieder, so vielen, dass auf mehreren Webseiten als Hinweis für Journalisten ernsthaft vermerkt ist, die Beantwortung von Anfragen könne etwas dauern, da diese zwischen allen gewählten Mitgliedern aufgeteilt und koordiniert werden müssten. Besser kann Führungslosigkeit kaum illustriert werden.

Schließlich lässt die Linksjugend auch Nichtmitgliedern zu viele Freiheiten wie ein von Versammlungen beschließbares Stimmrecht. Die lockere Regelung beschlussfassender Versammlungen führte zumindest in der Vergangenheit, möglicherweise aber auch heute noch zu chaotischen, demokratischen Grundsätzen nicht genügenden Abläufen und Beschlussfassungen. Gleichzeitig etablierte sich eine entsprechende Kultur, in der bspw. Alkoholgenuss auf solchen Tagungen fester Bestandteil wurde. Der 2016 erfolgtePutsch im Hamburger Landesverbandist ein glänzendes Beispiel für das, was unter solchen Umständen passieren kann. Politisch hat sich regional unterschiedlich, aber dennoch mehrheitlich eine extreme Form des Queeraktivismus und der Identitätspolitik gemischt mit einem merkwürdigen Linksradikalismus durchgesetzt, die zu regelmäßigen öffentlichen Ausfällen führen und für potenzielle Neumitglieder wenig attraktiv sind.

Aus diesen Gründen schadet die Linksjugend nicht nur durch ihr öffentliches Agieren der Partei, sondern eignet sich auch nicht zur Rekrutierung fähigen Personals, das die Linke gerade als junge, frisch gegründete Partei so dringend gebraucht hätte. Ausnahmen bestätigen hier die Regel. Systematisch aber wurde der Jugendverband als Quell der Erneuerung von der Partei schlicht nie genutzt, er hat sich dafür auch von Anfang an nicht geeignet. So ist es kein Wunder, dass uninspirierte Verwalter auf vielen Ebenen der Parteiführung vorherrschen.

Die aktuelle Parteispitze als Erbe der Ära Kipping-Riexinger krönt den langen Degenerationsprozess. Gewählt wurde eigentlich eine Doppelspitze aus thüringischer Ramelow-Architektin und hessischer Oppositionsführerin am Anfang des Bundestagswahljahres 2021, die die destruktiven Tendenzen gut verbildlichte: die Selbstaufgabe durch Sozialdemokratisierung im Osten und die Selbstaufgabe durch Linksliberalisierung im Westen. Diese Spitze trug für den Wahlkampf 2021 Mitverantwortung. Nach dem Super-GAU im September, als die Fünfprozenthürde verpasst wurde, trat sie jedoch weder zurück, noch nahm sie wahrnehmbare Kurskorrekturen vor. Die offenbar zerstrittene Führung wurde durch einen 2022 erfolgten Rücktritt inklusiver nachtretender Pressemitteilung halbiert. Auf dem folgenden Parteitag wurde die Hessin Wissler als verbliebene Vorsitzende trotz katastrophaler Bilanz und fehlender Vision (mit allerdings schlechtem Ergebnis) wiedergewählt, Schirdewan ergänzt die Parteispitze seitdem als Co-Vorsitzender. Dies ist ein passender Ausdruck der Parteisituation. Den seither eskalierten Streit um Fraktionsmitglied Wagenknecht haben sie nicht in ruhige Bahnen lenken können, sondern noch weiter befeuert. Auch im Hauptstreitthema Ukrainekrieg und während der stärksten Inflation seit Langem konnte die Führung kein Profil zeigen. Die Partei steuert unter ihrer Amtszeit schneller als je zuvor auf ihr eigenes Ende zu.

Die Linke ist heute heterogener, als es nach außen aussieht

Die Linkspartei startete als sehr heterogenes Fusionsprodukt, deren Widersprüche nicht — durch Einigung oder durch Abspaltung — aufgelöst wurden. Heute bestehen diese Widersprüche in einer krasseren Form als jemals zuvor. Sie treten so scharf hervor, dass fast alle kittenden Bande aufgelöst wurden. Der Streit um die Richtung ist eskaliert zu einem offenen Ringen um den schieren Bestand der Partei.

Von außen (manchmal auch von innen) wird jedoch der Zustand oft mit einem einzigen Attribut gekennzeichnet. Insbesondere im von der Partei enttäuschten klassisch linken, nicht identitätspolitischen Milieu wird sie als übergegangen in das linksliberale Lager, sozusagen als verlorene Tochter wahrgenommen. Andere, auch von einem homogenen Zustand ausgehenden Beschreibungen sind solche als „gescheitert“.

Tatsächlich wird das der Realität nicht ganz gerecht. Von außen jedoch ist das nicht leicht zu erkennen. Es gab in den letzten Jahren eine Verschiebung innerparteilicher Machtverhältnisse, als deren Ergebnis die ganz überwiegende Mehrheit der Funktionäre und Abgeordneten dem linksliberalen, postmodernen Lager zuneigt. Ein wichtiger Grund dafür sind nicht nur verlorene Machtkämpfe der klassischen Linken, sondern eine aus verschiedenen Gründen bewusst eingeschlagene Strategie, sich von Führungspositionen zurückzuziehen oder nicht mehr für diese zu kandidieren. Trotz nun weniger gehaltener Posten existiert ein relevanter Anteil der (zumindest aktiven) Mitgliedschaft, die den liberalen Kurs der jetzigen Führung nicht unterstützt. Da das Innehaben von Ämtern mit einer stärkeren medialen Präsenz verbunden ist, ist dieser jedoch nach außen weniger wahrzunehmen.

Identitätspolitische Ansichten sind aber unter dem aktuellen Personal durchaus als hegemonial beschreibbar. Dies zeigt, dass sich die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte auch in der Linken widerspiegeln und diese eine äußerst lebendige, ideologisch durchaus nicht isolierte Partei ist.

Die Geschichte der Linkspartei nicht als Niedergang, sondern als Ausdruck geschichtlicher Veränderungen sehen

Denn trotz aller ernüchternden Befunde muss die Linkspartei nicht als gescheitert gelten. Die Linke ist weder obsolet noch am Rande der Gesellschaft. Tatsächlich drücken sich in ihr sehr lebhaft die in den 2010er Jahren entstandenen Ideologien und Konflikte neu entstandener Milieus aus. Die Polarisierung der Partei anhand gesellschaftspolitischer Fragen mit einer Trennlinie zwischen postmodern-identitätspolitischen und klassisch linken Positionen entspricht der derzeitig stattfindenden gesellschaftlichen Debatte und ist damit Ausdruck äußerster Lebendigkeit. Da die Partei in der Zeit davor keine Festigung erlebte, die das Fußfassen postmoderner Ideologie in ihr verhindert hätte, trägt sich der Konflikt um diese nun auch in ihr aus.

Die Übernahme queer- und allgemein identitätspolitischer Prämissen der Vertreter(innen) des regierungsnahen Flügels ist dabei eine logische Konsequenz aus deren schon vorher bestandener kleinbürgerlicher Ausrichtung und im Rückblick sicher keine Überraschung. Es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen Identitätspolitik, Abkehr von sozialen Fragen, Unterstützung der NATO und der Kriegspolitik der Bundesregierung sowie Desinteresse an eigener breiter Massenbasis und diese besteht in einer kleinbürgerlichen Grundlage, die die Opposition zum Spätkapitalismus aufgegeben hat und sich als gesellschaftspolitisch progressiv erscheinendes Anhängsel an der Mitverwaltung des Bestehenden beteiligen möchte. Hier verläuft die wahre Trennlinie der inneren Programmkämpfe.

Eine Analyse der Partei rein auf augenblicklichen Wahlergebnissen oder der Sinnhaftigkeit schriftlich geäußerter Programmatik basierend ergibt angesichts dieser Lebendigkeit wenig Sinn. Diese griffe zu kurz und erfasste die tatsächlich existente Bewegung in der Partei nicht. Leider erschöpft sich aber die Beurteilung vieler Linker in so einer oberflächlichen Betrachtung. Für das Erkennen sinnvoller Betätigungsfelder und hilfreicher nächster Schritte ist aber ein echtes Verständnis der politischen Situation in Deutschland, und dazu gehört natürlich auch der Zustand der Linkspartei, extrem wichtig. Seit ihrer Gründung hat sich in der Linken eine unablässige Bewegung vollzogen, die zwar die Partei nicht erfolgreich gemacht hat, weil seitens der Funktionäre nicht sinnvoll eingegriffen wurde, aber diese nach wie vor zu einem lebendigen Bestandteil deutscher Innenpolitik macht. Allein die Tatsache, dass um ihre Ausrichtung derart erbittert gestritten wird, wie es seit Jahren zu beobachten ist, zeigt auf, welches Potenzial und welche Relevanz ihr von ihren eigenen Mitgliedern zugestanden wird. Keine der Fraktionen ist bereit, diese Partei kurzerhand aufzugeben.

Politischer oder gesellschaftlicher Fortschritt geschieht nie linear und lässt sich nicht immer an der Oberfläche ablesen. Aus diesem Grund ist ein genauer Blick wichtig. Die Möglichkeit, die Linke zu einer linken Großpartei zu machen, wurde aufgrund des Führungsversagens verspielt (hier mögen auch die geschichtlichen Umstände eine Rolle spielen, dass eine solche Großpartei in der Erinnerung keines einzigen der Beteiligten noch existiert hat). Es war jedoch kaum zu erwarten, dass nach mehreren Jahrzehnten des linken Niedergangs gleich im ersten Anlauf eine solche Organisation hätte geschaffen werden können. Die Gründung der Linkspartei hat zumindest erreicht, dass linke Alternativen zu den etablierten Parteien im öffentlichen Diskurshorizont aufgetaucht sind. Ebenso besteht nach wie vor ein organisatorischer Ansatz hierfür, der nun aus seiner fauligen Schale herausgeschält werden muss. Bei diesem Schritt müssen unbedingt die Lehren berücksichtigt werden, die die Geschichte der Linkspartei bereithält, damit eine linke Großpartei entstehen kann.

Fazit

Die Linke wurde als erste klassisch sozialdemokratische Partei seit vielen Jahrzehnten gegründet. Um sich langfristig behaupten zu können, gab es mehrere Erfordernisse, die sie in ihrer Entwicklung hätte erfüllen müssen. Das erste Erfordernis war, sich in der Konkurrenz zur SPD zu profilieren und von deren Schwäche zu profitieren. Das zweite Erfordernis war, einen kittenden ideologischen Kern zu entwickeln, der als Tragboden hätte dienen können. Das dritte war, einen sogenannten Unique Selling Point, einen unverwechselbaren Markenkern, und diesen überzeugend verkörperndes Führungspersonal hervorzubringen. Das vierte Erfordernis war, ein breites Programm zu entwickeln und entsprechend breite Zielgruppen auszumachen, die das Potenzial für Mehrheiten in sich tragen.

Nach 15 Jahren Entwicklung muss gesagt werden, dass keiner dieser Punkte erfüllt worden ist. Die Gründe dafür gehen aus den obigen Ausführungen hervor. So blicken wir jetzt auf eine Partei, die aus ihrer kleinen Schuhgröße nie herausgewachsen ist: sie bleibt ein Zwerg neben den alten Riesen, und weil sowohl die wechselnden politischen Streitpunkte als auch das Naturgesetz jeder Parteientwicklung verlangen, dass eben dieser Stillstand nicht zu lange bleibt, ist sie dabei allmählich verrottet. Heute dürfte die Partei Die Linke an einem Punkt sein, an dem ein Eingreifen zu spät käme und in der entstandenen Machtkonstellation auch keine Grundlage hat. Die Gräben sind dafür zu tief, die organisatorische Basis zu zerfallen.

Die wichtigste Lehre, die aus dieser Entwicklung zu ziehen ist, ist diese: auch für eine linke Partei, die Mehrheiten erreichen will, gelten übliche politische Grundsätze. Sie muss ihre Zielgruppen genau erfassen, ein umfassendes Programm annehmen, das sie glaubwürdig vertreten kann, und den Spagat der Ansprache so verschiedener Milieus wie Aufstocker und Arbeitsloser und gut verdienender, festangestellter Mittelschicht-Familien schaffen. Sie braucht dafür ebenso eine Riege begabter und professioneller Funktionäre, die auch auf Bundesebene vorzeigbar sind.

Eine Parteispaltung ist in dieser Situation eine Richtung, in die ein Fortschritt gehen kann. Hierbei kommt es natürlich darauf an, wie diese genau vonstatten geht und welcher Teil sich abtrennt. Es gibt in den Kreisen um die Sozialistische Linke und den Wagenknecht-Flügel innerhalb der Linken noch klassenorientierte, von der Identitätspolitik und Postmoderne verschont gebliebene linke Ansätze. Diese tragen deshalb das Potenzial, eine gesunde Grundlage für eine später groß werdende Linkspartei zu legen, die wichtige Probleme adressiert und bei relevanten Teilen der Bevölkerung tatsächlich ankommt. Weshalb dieses Szenario denkbar ist, lässt sich in meinem Text zum Potenzial Sahra Wagenknechts nachlesen.

Die Häme der bürgerlichen Presse, die sich auf die öffentlich ausgetragenen Zerfallsprozesse gierig stürzt, dürfte in dem Sinne zu früh gekommen sein. Wer die Linke für gescheitert hält, demonstriert viel eher ein fehlendes Verständnis dieser widersprüchlichen Partei. Das Erbe der Partei, eine Linke jenseits der Sozialdemokratie auf die politische Landkarte gesetzt zu haben, hat die deutsche Parteienlandschaft nachhaltig verändert und wird mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch, hoffentlich in einer fruchtbareren Form, ihre Spaltung überdauern.