News des Tages: Wahl in Berlin, Verkehrswende, Storykillers

1. Unregierbar?

Das Wahlergebnis in Berlin macht die Regierungsbildung nicht leicht. Die CDU, angeführt von Spitzenkandidat Kai Wegner, ist zwar klarer Wahlgewinner. SPD, Grüne und Linke hätten allerdings gemeinsam genug Stimmen, um ihre Zusammenarbeit fortzusetzen. »Das Kuriose ist ja, dass die Berliner sich irgendwie eine andere Politik wünschen, aber mit der bisherigen Koalition«, glaubt der ehemalige Regierende Bürgermeister Michael Müller von der SPD .

Mein Kollege Florian Gathmann aus unserem Hauptstadtbüro glaubt etwas anderes: »Am ehesten könnte eine Koalition aus CDU und Grünen die Gegensätze zusammenführen.« (Hier sein Kommentar .)

Berlin sei eine zerrissene Stadt. Und zwar vor allem zwischen Innen- und Außenbezirken. »Innerhalb des S-Bahn-Rings hat sich ein oft gut situiertes, progressives Milieu entwickelt, das der SPD offenbar keine Politik in seinem Sinne mehr zutraut, zunehmend aber den Grünen. Außerhalb des Rings dagegen, wo Kleinbürger, Villenbesitzer und alte West-Berliner sowie neue Ost-Berliner Einfamilienhausbewohner dominieren, setzte man diesmal auf die CDU«, so Florian.

Schwarz-Grün könnte ein Bündnis sein, das auf Recht und Ordnung auch in Berlin setzt, ohne dass in Kreuzberg bald an jeder Ecke ein Polizist patrouilliert. Die Grünen könnten zeigen, dass sie selbstbewusst genug sind, um es selbst in Berlin mit der Union aufzunehmen. Die CDU könnte zeigen, dass sie auch Großstadtpolitik kann. Und – dieses Argument leuchtet mir als Münchnerin besonders ein: »Die CSU hätte keinen Grund mehr, die Schuld für die Dysfunktionalität Berlins linken Parteien in die Schuhe zu schieben.«

Ist Berlin am Ende einfach unregierbar? Von einer Wahlpanne jedenfalls berichtet mein Kollege Veit Medick: Aus Berliner Verwaltungskreisen verlautete, durch einen »internen Fehler« wurden offenbar Briefwahlstimmen nicht gezählt , obwohl sie fristgemäß vor der Wahl eingesendet wurden.

Der Vorgang werde nun »intern geklärt«, sagte Landeswahlleiter Stephan Bröchler. Die Stimmen würden nun »ausgezählt und im endgültigen Wahlergebnis – nach Entscheidung des Bezirkswahlausschusses – berücksichtigt«. Die Zählung der ausstehenden Stimmen betrifft offenbar den Bezirk Lichtenberg. Dort blieben durch ein Logistikproblem rund 450 Briefwahlstimmen liegen. Als Grund für die Panne wurde im Bezirkswahlamt zunächst ein Versäumnis der Post genannt. Am Nachmittag verwies die Landeswahlleitung dann auf ein Kommunikationsproblem im Bezirk, das zur Nichtberücksichtigung der Briefwahlstimmen geführt habe.

Klar scheint nur: Bis Berlin von irgendjemand regiert wird, dauert es noch ein bisschen.

2. Auslaufmodell Verbrennermotor?

Ab 2035 sollen in der Europäischen Union nur noch Neuwagen verkauft werden, die keine Treibhausgase ausstoßen. Vom EU-Parlament gab es heute dafür das endgültige Ja.

Vor allem Autolobby und FDP hatten sich im Vorfeld der umstrittenen Entscheidung dafür starkgemacht, das Verbrenner-Aus zumindest abzuschwächen. Im Sommer letzten Jahres diskutierte die Bundesregierung in tagelangen Sitzungen, ob Deutschland dem Vorhaben zustimmen solle. So hatte sich etwa das Umweltministerium für ein eindeutiges Verbrenner-Aus ausgesprochen, die FDP warb für eine »technologieoffene Lösung«.

Der Dauerstreit in der Ampelregierung führe zu einer Art deutschen Selbstverzwergung auf europäischer Ebene, kommentiert heute mein Kollege Michael Sauga . Die Bundesregierung sehe sich als europäische Führungsmacht. Doch ihre Leute in Brüssel spürten davon wenig.

Dabei ist nicht nur die Regierung, sondern auch die deutsche Bevölkerung gespalten, wenn es um die Mobilität der Zukunft geht. Batterieautos stoßen einer Umfrage zufolge hierzulande auf große Vorbehalte. Wie die Allensbach-Erhebung für die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften ergab, ist eine Mehrheit überzeugt, dass sich der Elektroantrieb in den kommenden zehn Jahren durchsetzt, aber nur 22 Prozent halten dies für wünschenswert. Das teilte die Akademie am Montag mit.  Der Kreis, für den der Kauf eines E-Autos grundsätzlich in Betracht kommt, stagniert demnach bei 23 Prozent. Hauptvorbehalte seien der Kaufpreis, zu wenig Ladestationen, teurer Strom sowie Zweifel an der Umweltbilanz.

3. Bedrohliche Schattenindustrie?

Jeden Tag werden Journalistinnen bedroht und eingeschüchtert, in Deutschland und weltweit. Ein Team von SPIEGEL-Reporterinnen hat in einem Dutzend Länder recherchiert und mit Journalistinnen gesprochen, die regelmäßig Einschüchterung und Gewalt erleben.

Da ist zum Beispiel Maria Ressa, Journalistin auf den Philippinen und Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 2021, die in ihrer Heimat als Hexe und Hure beschimpft wird. Oder Patricia Devlin, Reporterin in Nordirland, der gedroht wurde, dass man ihren Sohn vergewaltigen werde. Oder Nana Ama Agyemang Asante, die in Ghana über Korruption berichtet, und der mit Lynchmord gedroht wird. Oder Marion Reimers, Sportmoderatorin in Mexiko, die Zehntausende Hetznachrichten auf Twitter, Facebook und Instagram bekommt, eine Lawine des Hasses ausgelöst durch Bot-Netzwerke.

»Auch männliche Journalisten werden bedroht, wenn sie Mächtige und Reiche kritisieren. Aber so brutal, so persönlich wie bei Journalistinnen wird es selten«, schreiben die Autorinnen.




[M] Lina Moreno / DER SPIEGEL; Saumya Khandelwal / DER SPIEGEL; Sara Naomi Lewkowicz / DER SPIEGEL; Paulo Nunes dos Santos / DER SPIEGEL; Verena Müller / DER SPIEGEL; Marian Carrasquero / DER SPIEGEL; Laura Pannack / DER SPIEGEL

Ihre Recherche erfolgte im Rahmen des Projektes »Storykillers« der gemeinnützigen Investigativredaktion Forbidden Stories (hier mehr). Anlass für die Recherchen war der Mord an der indischen Aktivistin und Journalistin Gauri Lankesh. Sie wurde von Fundamentalisten erschossen (hier mehr zu dem Fall ). Über Jahre war sie Feindbild von Extremisten, es wurden im Internet Lügen über sie verbreitet, sie wurde bedroht und verunglimpft. Seit Mitte 2022 untersuchten mehr als hundert Reporterinnen und Reporter aus mehr als 20 Ländern das Geschäft mit Desinformationen, darunter die »Washington Post«, der »Guardian« und »Le Monde«. In Deutschland waren neben dem SPIEGEL auch »Die Zeit« und das ZDF an den Recherchen beteiligt. In Österreich war es der »Standard«.

Die Recherchen zeigen, dass in den vergangenen Jahren rund um den Globus eine ebenso florierende wie bedrohliche Schattenindustrie entstanden ist. Die Anzahl der Firmen, die im Auftrag von Regierungen, Politikern und Unternehmen gezielt Falschinformationen verbreiten, hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Mein Kollege Jörg Diehl, Koordinator Investigativ des SPIEGEL, konstatiert: »Desinformation ist ein Milliardengeschäft geworden. Mit der systematischen Zerstörung der Wahrheit lässt sich sehr viel Geld verdienen. Und leider stehen die meisten Demokratien diesem destruktiven Treiben ziemlich hilflos gegenüber«.



Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine

  • »Die USA wurden zu etwas gezwungen, was sie eigentlich nicht tun wollten«: Hat der Streit über Kampfpanzer das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA nachhaltig belastet? Christoph Heusgen spricht von »Verärgerung« in Washington – und drängt die Bundesregierung zu höheren Wehrausgaben.

  • Panzerkoalition läuft laut Pistorius »nicht ganz so berauschend«: Wenn es um Kampfpanzer für die Ukraine geht, galt Deutschland im Ausland lange als Bremser. Jetzt will die Regierung liefern – doch die Drängler von einst zaudern. Verteidigungsminister Pistorius ist frustriert.

  • Wie aus Dmitrij Medwedew ein Kriegspropagandist wurde: Ausgerechnet der russische Ex-Präsident Dmitrij Medwedew betätigt sich in den sozialen Medien als vulgärer Kriegspropagandist. Warum wurde der frühere Liberale zum Hetzer? 

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Republikanerin Haley verkündet offiziell US-Präsidentschaftskandidatur: Erste offizielle Konkurrentin für Donald Trump: Die ehemalige Vertreterin der USA bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, steigt in den Vorwahlkampf der Republikaner um das Weiße Haus ein – und stichelt gegen den Ex-Präsidenten.

  • Amazon hebt Mindestbestellwert an: Über Wochen herrschte Verwirrung, nun bestätigt Amazon: Wer bei dem Online-Handelskonzern eine kostenlose Lieferung möchte, muss ab sofort mehr bestellen.

  • Mutmaßlicher Mörder 35 Jahre nach der Tat verhaftet: In der Nacht auf den 14. Februar 1988 wurde Petra Nohl in Köln erwürgt – am Jahrestag der Tat verkündet die Polizei einen Durchbruch. Ein Hinweis kam offenbar durch einen Zuschauer der Sendung »Aktenzeichen XY«.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Wie ein Helfer seine Einsatzwoche im Katastrophengebiet erlebte: Er gehörte zu den ersten internationalen Helfern im zerstörten Kahramanmaraş, musste Todesnachrichten überbringen, durfte Hoffnung geben. Was für Sebastian Hodapp heute zählt: Die fünf Menschen, die sein Team retten konnte .

  • »Dieses Katz-und-Maus-Spiel ist typisch für Spionage«: Hat die Luftraumüberwachung der USA eine Lücke und reicht die Nachkalibrierung der Radaranlagen aus, um eine mögliche neue Spionagewelle zu verhindern? Militärexpertin Ulrike Franke hat Antworten. 

  • Warum bin ich (nicht) kreditwürdig? So funktioniert die Schufa: Handyvertrag, Mietwohnung, Bankenkredit – vieles davon funktioniert nur mit positivem Bescheid der Schufa. Woher kommen die Daten? Und wie lässt sich die eigene Einstufung ändern? Der Überblick .

  • Die Nagelsmann-Probe: Bayern München kennt nur Erfolge. Doch jetzt droht Julian Nagelsmann die Kontrolle zu verlieren: Verfolger in der Bundesliga, Streit mit Manuel Neuer. Die Spiele gegen Paris könnten über seine Zukunft entscheiden. 


Was heute weniger wichtig ist




Foto: Sean Ryan / IPS / Shutterstock / IMAGO

Sich mitteilen und gleichzeitig tanzen kann nicht nur Rihanna: Justina Miles, 20, übersetzte den Auftritt des Superstars beim Super Bowl in Gebärden – und begeistert damit Tausende im Internet. Auch wenn ihre Performance in der TV-Übertragung nicht gezeigt, sondern auf anderen Kanälen wie YouTube gestreamt wurde, werden nun zahlreiche Ausschnitte ihres Auftritts online geteilt. In den Videos ist auch zu sehen, wie sie tanzt. Eine absolut sehenswerte Performance – auch für Leute, die sich weder für den Super Bowl noch für Superstars interessieren!

Mini-Hohlspiegel

»Zwei Kaltblüter waren von ihrer Weide ausgebüxt und suchten auf der Straße Auslauf. Zusammen mit mehreren Autofahrern wurden die Tiere eingefangen und auf einer fremden Weide untergebracht.«
Die »Rheinpfalz« über entlaufene Pferde

Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.

Cartoon des Tages



Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

Illustration: Thomas Plaßmann


Und heute Abend?

Auf der alten Schultafel neben meinem Schreibtisch klebt in der linken unteren Ecke eine kleine Postkarte mit dem Titel »Love letters«. Darauf abgebildet ist aber kein Liebesbrief, sondern das Alphabet. Buchstaben sind Universalwerkzeuge und Machtinstrumente. Man kann sie aber nicht nur als Waffen benutzen. Am sinnvollsten sind sie sicherlich in Liebesbriefen aufgehoben. Schreiben Sie doch mal wieder einen. So wie mein Kollege Markus Deggerich.

Ist schließlich Valentinstag.

Einen schönen Abend wünscht

Ihre Anna Clauß, Leiterin Meinung und Debatte