News des Tages: Olaf Scholz im Baltikum, Arbeitswünsche der Generation Z, Dämmen
1. Kuscheln mit dem Kanzler
Bundeskanzler Scholz ist heute nach Tallin geflogen. Die Hauptstadt von Estland hat fühlbare Rothenburg-ob-der-Tauber-Vibes: Stadtmauer, Kopfsteinpflaster, der dicke Verteidigungsturm »Kiek in de Koek« (15. Jahrhundert) mit Vier-Meter-Mauern, in denen noch Kanonenkugeln stecken. Passendes Setting, schließlich soll es bei den Gesprächen der Regierungschefs vor allem darum gehen, die Ostflanke der Nato vor der russischen Bedrohung zu schützen.
Ich habe im Studium (21. Jahrhundert) ein Auslandssemester im Baltikum verbracht und mich sofort in die Region verliebt, war im litauischen Kaunas, im lettischen Riga und natürlich auch in Tallin. Genau wie zahlreiche Finnen, die mit der Fähre von Helsinki aus herübergondeln, um sich dort mit dem hervorragenden estnischen Bier einzudecken, das sie dann palettenweise wieder nach Hause schaffen. Die Stimmung auf diesen Überfahrten war, nun ja, ausgelassen, Fremde lagen sich in den Armen. Ich bin deshalb gespannt, was Scholz in Tallin erleben wird: Zuletzt hatte ihn ein Mann auf dem Rollfeld des Frankfurter Flughafens umarmt, »überraschend innig«, heißt es aus dem Kanzleramt. Der 48-Jährige stand offenbar unter Drogeneinfluss .
Mein Kollege Sebastian Fischer begleitet Scholz auf seiner Reise: »Obwohl wer weiß was hätte passieren können auf dem Rollfeld in Frankfurt, Scholz gibt sich hier auf der Reise unbeeindruckt von dem gestrigen Vorfall«, sagt Sebastian. Die Stadt ist klein, kurze Wege, das Kolonnefahren lief schon mal reibungslos, erzählt er. »Mancher Delegationsteilnehmer wähnte höchstens das BKA ein bisschen näher dran am Kanzler als gewöhnlich.«
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Lesen Sie hier mehr: »Kanzler-Umarmer« stand offenbar unter Drogeneinfluss
Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
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Hinweise auf ukrainische Täter verdichten sich: Wer hat die Nord-Stream-Pipelines gesprengt? Ermittler verfolgen neue Spuren – nach SPIEGEL-Informationen zeigen sie nicht nur für westliche Geheimdienste in eine Richtung .
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Mehrheit der Deutschen befürwortet Russlandsanktionen: Die meisten Bürger stehen weiter hinter den Strafmaßnahmen für Russland. Das geht aus einer repräsentativen Erhebung hervor, die dem SPIEGEL vorliegt. Nur die Anhänger einer Partei sind mehrheitlich dagegen .
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Gericht erklärt Durchsuchungen bei Oligarch Usmanow für rechtswidrig: Nach SPIEGEL-Informationen hätten Fahnder Jacht und Villen des russischen Unternehmers Alischer Usmanow nicht wegen Geldwäscheverdachts durchsuchen dürfen. Das hat ein Gericht entschieden.
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Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update
2. Karriere mit Viertagewoche?
Sebastian ist 23, arbeitet bei der Beraterfirma McKinsey und meldet sich zum Videointerview aus New York. Was er da macht? Bisschen Museum, bisschen Broadway, mit Freunden frühstücken. Auf jeden Fall nicht: arbeiten. Sebastian nimmt gerade eine Take-Time, also eine Auszeit, die seine Firma den Mitarbeitern zwischen zwei Projekten anbietet. Er gehört zur Generation Z, das sind die Jahrgänge zwischen 1995 und 2010. Sebastians zentrale Frage beim Berufseinstieg vor zwei Jahren war: Kann ich trotz Vollzeitjob noch irgendwie »ich« sein? Und lässt der Beruf genug Raum für Freizeit?
»Uns war wichtig, viele junge Menschen zu Wort kommen zu lassen und nicht nur Klischees über Faulheit und Verweigerungshaltung zu verbreiten«, sagt meine Kollegin Sophia Schirmer, die mit vielen anderen Kolleginnen und Kollegen die aktuelle SPIEGEL-Titelgeschichte über die Arbeitsvorstellungen der jüngeren Generationen geschrieben hat. Was die 18- bis 29-Jährigen wirklich wollen? Unsere Umfrage zeigt: ein hohes Gehalt (55 Prozent), eine gute Work-Life-Balance (48 Prozent) und eine sinnstiftende Tätigkeit (44 Prozent). Klingt erst einmal nicht sonderlich exotisch – sondern eher gesund. »Wegen des Fachkräftemangels haben junge Menschen jetzt die Macht, viel einzufordern. Und das nützt am Ende der gesamten Gesellschaft«, sagt Sophia. Und weil das Leben einen erfrischenden Sinn für Ironie hat: Als Sophia die Geschichte geschrieben hat, hatte sie frei, eigentlich. »Da schreibst du über eine bessere Work-Life-Balance und sitzt am Sonntagnachmittag am Schreibtisch statt draußen in der Sonne.«
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Hier geht es zur aktuellen Titelgeschichte: »Wir machen uns nicht mehr kaputt!«
3. Dämm it!
Meine Kollegin Susanne Götze muss erst mal die Schutzmaske abnehmen, als ich sie anrufe. »Wir renovieren ein altes Fachwerkhaus in Sachsen-Anhalt«, erzählt sie. Gerade reißt sie die alte Dachdämmung aus Polysterol raus. »Die ist Anfang der Neunzigerjahre nicht gerade fachgerecht eingebaut worden, wahrscheinlich ist die auch mit giftigen Flammschutzmitteln belastet«. Susanne weiß also, wovon sie schreibt: In ihrer Geschichte über die Pläne von Bauministerin Geywitz geht es darum, wie sinnvoll es ist, ältere Häuser einzupacken, um Energie zu sparen. EU-weit gibt es schätzungsweise 35 Millionen Gebäude, die ungedämmte Außenwände sowie alte Fenster und Türen haben. Viel zu tun also, denkt man als Laie. Nur fragt sich Fachministerin Geywitz nun, ob die Dämmung auch »eine kontraproduktive Wirkung entfalten« könne – weil es zu teuer sei und die Baubranche ohnehin unter Druck stehe.
Will Geywitz damit vor allem davon ablenken, dass sie ihr Ziel, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu schaffen, weit verfehlen wird? (2022 wurden es gerade einmal 295.000). Susannes Fazit ist jedenfalls eindeutig: »Deutschland hat kein Überdämmungsproblem. Eher im Gegenteil.«
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Lesen Sie hier mehr: Streit über klimafreundliche Sanierung
Was heute sonst noch wichtig ist
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Schummelten Hamburger Abiturienten bei Klausuren mit KI? Einige Hamburger Abiturienten haben Prüfungsklausuren wohl mithilfe künstlicher Intelligenz geschrieben: Einem Medienbericht zufolge gibt es mehrere Verdachtsfälle. Welche Konsequenzen das hat, ist allerdings offen.
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Berliner Staatsschutz ermittelt gegen Roger Waters: Der Vorwurf des Antisemitismus prägt Roger Waters’ Deutschlandtournee. Nun hat die Berliner Polizei ein Verfahren eröffnet: Verherrlicht die an eine SS-Uniform erinnernde Bühnenkleidung des Musikers die Nazizeit?
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Neuralink will Zulassung für Gehirn-Computerchip-Studie erhalten haben: Das von Elon Musk gegründete Unternehmen Neuralink hat von der US-Gesundheitsbehörde FDA nach eigenen Angaben grünes Licht für eine erste klinische Studie am Menschen erhalten. Zunächst war ein Antrag abgelehnt worden.
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»Letzte Generation« verzeichnet Spendenflut nach Razzia: Nach dem Vorgehen der Behörden gegen die Klimaaktivisten zeigen Tausende Menschen ihre Solidarität mit der Gruppe – auf Demonstrationen, aber auch in Form einer deftigen Finanzspritze.
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Auslandseinsätze der Bundeswehr deutlich teurer als geplant: Die Kosten für Auslandseinsätze der Bundeswehr lagen 2022 nach SPIEGEL-Informationen fast 114 Millionen Euro über Budget. Die hohe Inflation ist laut der Truppe nur ein Grund dafür.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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»Ich hoffe, dass sich die kühleren Köpfe in Teheran durchsetzen«: US-Jurist Jason Poblete kämpft für die Freilassung von Jamshid Sharmahd. Hier beschreibt er, wie schwierig diese Aufgabe ist – und welche Chancen er noch sieht, das Leben des 68-jährigen Deutschiraners zu retten .
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Ein deutscher Rüstungskonzern und seine klebrigen Auslandsgeschäfte: Die Hensoldt AG ist Hoffnungsträger der Zeitenwende von Olaf Scholz. Nun deuten interne Dokumente des Unternehmens auf fragwürdige Zahlungen bei Deals in Katar und Uganda hin .
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»Wenn ich die Polizei hassen würde, dann hätte ich da doch nicht unterrichtet«: Wegen eines Tweets über »braunen Dreck« in der Polizei wird sie hart angegangen, verliert einen Lehrauftrag. Hier spricht die Gelsenkirchener Lehrerin Bahar Aslan über die Angst vieler Menschen vor Beamten in Uniform .
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»Für Uli bin ich ein rotes Tuch«: Dem Serienmeister aus München droht eine Saison ohne Titel. Für Bayern-Legende Lothar Matthäus ist dies das Ergebnis einer verfehlten Personalpolitik. Kommt der alte Klubpatriarch Uli Hoeneß zurück?
Was heute weniger wichtig ist
Dr. Forrest Gump: Tom Hanks (66) hat von der Harvard-Uni die Ehrendoktorwürde bekommen. In Deutschland hat die Aura eines Doktortitels in den vergangenen Jahren ja etwas gelitten: Guttenberg, Giffey, Koch-Mehrin, nun wird auch die Arbeit von Ex-Staatssekretär Patrick Graichen auf Plagiate geprüft. Überaus passend, dass Hanks (auch ohne tiefere Kenntnisse der deutschen Innenpolitik) vor 9000 Absolventinnen und Absolventen dazu aufrief, die Wahrheit zu verteidigen und sich denen zu widersetzen, die die Wahrheit zu ihrem Vorteil verdrehen. Summa cum laude.
Mini-Hohlspiegel

Aus der »Pforzheimer Zeitung«
Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.
Cartoon des Tages
Und am Wochenende?
Ich habe gestern Abend angefangen, den Film »Legend« zu schauen. Tom Hardy spielt darin in einer bemerkenswerten Doppelrolle die Kray-Zwillinge »Reggie« und »Ronnie«, britische Verbrecher, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahre das Londoner East End beherrschten.
Hardy nuschelt in seinem knarzigen East-End-Idiom, flucht, charmiert, prügelt, herrlich. Ich mochte Hardy schon in der Longseller-Gangsterserie »Peaky Blinders«, dort als jüdischen Mafiaboss Alfie Solomons: hart, aber herzlich. Nach einer knappen Dreiviertelstunde »Legend« tapste allerdings meine Fünfjährige ins Wohnzimmer (wie sich heute herausstellte: Scharlach), deshalb war der Abend für Tom und mich erst einmal vorbei. Also, bitte keine Spoiler, ich werde den Film heute zu Ende schauen (läuft im Amazon Arthaus Channel, Google Play Movies oder Magenta TV), vielleicht haben Sie ja jetzt auch Lust bekommen. Und haben symptomfreie Kinder.
Ein schönes langes Pfingstwochenende, genießen Sie es!
Ihr Jens Radü, Chef vom Dienst