Neues Museum zu Gunsten von umstrittenen Komponisten Carl Orff eröffnet
Die Carmina Burana machte Carl Orff berühmt – doch es liegt auch ein Schatten auf seinem Namen: Denn der Komponist stand auf Hitlers „Gottbegnadeten-Liste“. Ein neues Museum in Dießen am Ammersee setzt sich mit Orff auseinander.
Vier Hektar Garten mit wunderschönen Obstbäumen, hoch über dem bayerischen Ammersee. Klingt wie die Annonce einer Traumimmobilie – ist aber das ehemalige Anwesen des berühmten Komponisten Carl Orff, den die meisten für seine berühmte Carmina Burana schätzen.
Sogar Popstar Michael Jackson kannte dieses Werk für Chor und Orchester und lieferte sich einen saftigen Rechtsstreit mit den Rechteinhabern, weil er die Carmina ohne Erlaubnis für seine Welttournee 1992 verwendete. Eine von vielen Geschichten, die das neue Carl Orff Museum – kurz COMU – in Dießen am Ammersee erzählt.
Anekdoten aus Orffs Kindheit
1954 schlug Orff hier sein musikalisches Kreativlabor auf. Ganz nach dem Motto „Arbeit und Privates trennen“ richtete er sich nur ein paar Schritte vom Wohnhaus entfernt ein extra Arbeitshaus ein. Beide Häuser sind jetzt durch den Neubau des COMU miteinander verbunden. Die Besucherinnen und Besucher können so beide Welten von Orff erkunden. Los geht’s im Neubau. Wer sich die App des Museums herunterlädt, kann mit einem Audioguide durchs Museum gehen.
Den spricht eine bekannte Schauspielerin, die ihre Jugend in Dießen am Ammersee verbracht hat: Michaela May. Mit ihrer warmen Stimme erzählt sie ihrem Publikum Anekdoten aus Orffs Leben – zum Beispiel, wenn er als kleiner Bub mit dem Fleischklopfer aus Mutters Küche das Klavier bearbeitet. Durch Gucklöcher in der Wand wirft man einen Blick auf das München um die Jahrhundertwende, in dem Orff aufgewachsen ist und wo er auch an der Akademie für Tonkunst studierte. Ein ehemaliges Zeugnis dieser Ausbildungsstätte ist ebenfalls ausgestellt.
Das Arbeitszimmer von Carl Orff in Dießen am Ammersee
Originale aus der Zeit des Komponisten
Und auch sonst können die Besucherinnen und Besucher in die Zeit von Orff eintauchen. Als er 1982 starb, lebte seine Witwe Liselotte Orff noch weiter in diesem Haus, sanierte und strich die Wände – das Nötigste eben. „Aber es hängen die Bilder noch an der originalen Stelle, es ist noch der gleiche Esstisch, die gleiche Bank, die gleichen Stühle. Das Cembalo und auch der blaue Auslegeteppich sind nach wie vor da“, sagt Judith Janowski. Sie ist Generalsekretärin der Carl-Orff-Stiftung und Museumleiterin des neuen COMU.
Besonderen Wert legt sie auf das alte Arbeitszimmer von Orff im ersten Stock des Arbeitshauses: Hier können die Besucherinnen und Besucher einen Blick ins Allerheiligste werfen, den Flügel und Schreibtisch des Komponisten betrachten. Ein Stockwerk tiefer ist dieser Raum nachgebaut und man kann selbst erleben, wie Orff zwischen Instrument und Schreibtisch hin- und herpendelte und seine Ideen ausprobierte. Öffnet man die Schublade im Schreibtisch, sieht man, dass Orff hier seine Orden in einer Plastiktüte aufbewahrt hat, anstatt sie prahlerisch an die Wand zu hängen.
Der Schatten über dem Namen Orff
Was im COMU offen angesprochen wird, ist seine Vergangenheit im Nationalsozialismus. Mit seiner Carmina Burana schaffte er 1937 den Durchbruch – mitten in der NS-Diktatur. Ein Jahr zuvor hatte Orff für die Eröffnung der Olympischen Spiele in Nazi-Deutschland ein Stück komponiert. Seine politische Gesinnung von damals liegt im Dunkeln: Weder trat er der NSDAP bei, noch leistete er Widerstand, steht auf einer Tafel im Museum. Was er aber definitiv in den Augen einiger Kritikerinnen und Kritiker war: ein Mitläufer des Regimes.
Diesen Aspekt klammert das COMU eher aus, verweist aber auf ein Buch im Ausstellungsraum zu Orffs Vergangenheit im Museum. „Für alle, die weiter in das Thema eindringen möchten“, so Museumsleiterin Janowski. Besonders ein Ausstellungsstück fällt ins Auge: ein Dokument aus dem Entnazifizierungsprozess gegen Orff aus dem Jahr 1946, das ihn als „nicht betroffen“ einstuft.
Keine Frage: Orff war ein Komponist zwischen den Stühlen, ein eher undurchschaubarer Zeitgenosse. Man merkt, dass das Museumsteam sich Mühe gegeben hat, das NS-Kapitel seines Lebens abzubilden, doch könnte die Darstellungsform im Ausstellungsraum selbst noch etwas ausführlicher sein.
Orff verband Musik mit Improvisation
Das COMU legt seinen Fokus aufs Ausprobieren, ganz nach dem Vorbild Orffs, der Menschen immer niederschwellig an Musik heranführen wollte. Anfang der 1920er-Jahre revolutionierte er die Musikpädagogik, indem er Sprache, Musik und Tanz mit Improvisation verband. Später führte er das Orff-Instrumentarium ein. Klangstäbe und Xylophone gehören seitdem zur Ausstattung jedes Kindergartens und jedes Grundschulklassenzimmers dazu.
In einem Klangspielraum im Carl Orff Museum dürfen sich die kleinen Museumsbesucherinnen und Museumsbesucher austoben. Und das können sie in Zukunft auch bald vor dem Museumsbau. Blickt man nämlich durch das große Fenster des neuen Veranstaltungssaals nach draußen, sieht man, dass Bagger im Vorgarten noch ordentlich Arbeit leisten: Hier soll in Zukunft ein Klangspielplatz entstehen. Das Erbe von Carl Orff – es wird weitergetragen.
Source: tagesschau.de