Natascha Gangl gewinnt Bachmannpreis 2025: So lief jener Wettbewerb in Klagenfurt

Preisverleihung: Jury und Publikum sind sich einig

Von Kathrin Codalonga, Ronja Fleischmann, Sigrid Parthei, Johanna Steindl, Julia Dueller, Sandra Strasser, Gabriele Brunner, Susanna Grozdek

Die Entscheidung für den Bachmannpreis 2025 war „so schwer wie nie zuvor“, meint Mithu Sanyal. Alle Autor*innen können stolz auf sich sein. In diesem Jahr keinen Preis zu bekommen, ist keine Schande. Wir gratulieren der zweifachen Preisträgerin Natascha Gangl für den Text „Da Sta“, welche neben dem Bachmannpreis auch den Publikumspreis verliehen bekommen hat. Es hat einen Seltenheitswert, dass das Publikum und die Jury in ihrer Meinung übereinstimmen. Der Gangl-Text hat aufgrund der Zweisprachigkeit eine Relevanz für mehrsprachige Grenzgebiete wie die Steiermark und Kärnten.

„Mit Offenheit und Herzlichkeit bleibt sie jenseits aller Moderne ihrer Sprache im Ton treu“, wie es in der Laudatio hieß. Ihre Artikulation der Wörter und die Mundart geben dem Text ihren besonderen Charme. „Wie sie eben die Buchstaben auseinanderschiebt und es dadurch klangbar macht“, meint Brigitte Schwens-Harrant, folgte die Siegerin dem Bachmann-Zitat: „Es gibt keine neue Welt ohne Sprache“. Gangl beginnt ihre Dankesrede mit der Aussage, es „ziagt ma die Schlapf aus“. Auf die Frage, wie oft sie das Vortragen des Textes geübt habe, antwortete sie in ihrer Rede, dass das Hören ein Teil ihres Arbeitsprozesses sei. Sich selbst verlangsamen, zuhören und die eigene Wahrnehmung zu überprüfen, ist für sie wichtig. Sie bringe den Bachmannpreis in die Steiermark, dort wo sich viele eine vielsprachige Steiermark wünschen würden.

Der Deutschlandfunkpreis ging an Boris Schumatsky, nominiert von Philipp Tingler. Aktive sprachliche Bemächtigung als Antwort auf die Gewalt der Sprache; ein Text, der dicht und perfekt komponiert sei. Die Themen Tod, Zerstörung und Stille seien beliebte Motive für die Einreichungen beim Bachmannwettbewerb, mit denen Schumatsky in seinem Text erfolgreich arbeite. Auf die Frage, ob es ihn freue, dass die Jury die Message gut verstanden habe, meint er: „Beim Schreiben denke ich nicht darüber nach, wie es ankommt.“

Nadja Kayali, Intendantin des Carinthischen Sommers freut sich, Tara Meister beim Ossiacher See begrüßen zu dürfen.

Nora Osagiobare, nominiert von Thomas Strässle, erhält den diesjährigen KELAG-Preis. „Was, wenn einmal nicht der Vater das Eckel ist, sondern die Tochter“, beginnt Strässle seine Laudatio. Er beschreibt den Text als raffinierte Dramaturgie mit Witz, ungeheurem „Drive“, Selbstbewusstsein gekoppelt mit Eindringlichkeit und Ernsthaftigkeit.

Nach einer spannenden Stichwahl gewann Almut Tina Schmidt den 3sat-Preis. Die nominierende Jurorin Brigitte Schwens-Harrant beschreibt den Text als „Topografie eines Alltags und das Leben anderer spiegelnd“. Sybille, die eine Frisur trägt, die man so noch nie gesehen hat, weiß am Ende immer mehr als die Lesenden und die Protagonist*in, die keine Fragen stellt. Viele Fastgeschichten, angedeutete Schicksale ohne Ahnung – situiert in einem Mehrparteienhaus.

Der Bachmannpreis endet mit einem Appell von Klaus Kastberger mit den Worten „Man solle sich eine Welt ohne Kunst und Kultur vorstellen, wie könnte diese aussehen?“ In diesem Zusammenhang wünschte er der Stadt Klagenfurt ein wirtschaftlich erfolgreiches Jahr.

Tag 3

Nora Osagiobare: Daughter Issues

Von Kathrin Codalonga

Ihr Vorstellungsvideo weckte Erwartungen. In dem Clip wandert die Autorin im Pyjama durch die weite Welt und sagt von sich: „Seitdem ich einen Roman geschrieben habe, habe ich weniger Schuldgefühle.“ Mit eben solchen trägt sich die Erzählerin. Juror Klaus Kastberger wird später von einem „Siegertext“ reden. Eine erstaunliche Bewertung nach der gestrigen Lesung von Natascha Gangl. Bemerkenswert der Einstieg mit einem fiktiven Pitch:

Väter, die ihre Töchter vernachlässigen, gibt es wie Sand am Meer. Sie vergessen Geburtstage, machen Überstunden und verbringen das Wochenende in einer Bar. Manche holen sogar die berühmt-berüchtigten Zigaretten und kehren nie zurück.

Was geschieht, wenn wir einem Vater eine Million anbieten, unter der Bedingung, den Kontakt zu seiner Tochter für immer abzubrechen? Wird er durch das Geld zum ersten Mal erkennen, wie sehr er seine Prinzessin wirklich liebt, oder wird er danach greifen, ohne mit der Wimper zu zucken?

Wir finden es heraus in „Daddy Issues – die schlimmsten Väter der Welt“.

Odin, so der Name der Erzählerin, lässt nach dem Okay für ihre geplante Sendung „Daddy Issues“ den Tag mit ihrer Freundin in einem Lokal ausklingen. Diana hat mal wieder Liebeskummer, und beide stillen ihren Durst mit reichlich Alkohol. Nachdem sie genügend getrunken haben, kontaktiert Odin ihren Kokain-Dealer, wobei sie sich ihrer Drogensucht bewusst wird. Fortlaufend erhält sie Flashbacks an einen Streit mit ihrem Vater, der das Schuldverhältnis zwischen den beiden verdreht: Man erfährt, dass sie selbst auch eine Migrationsgeschichte und ebenso, dass eigentlich die Mutter das „Arschloch“ war und ihn betrogen hat. Der Vater zeigt sich geduldig, dennoch emotional berührt und versichert der Tochter auf ihre Frage hin, ob er zurück nach Nigeria gehen würde, wenn die Mutter ihn verlässt, niemals. Nicht für eine Million.

Von der Jury kam reichlich Lob. Für Diskussionsstoff sorgen die zwei sich überlappenden Erzählebenen: Das Geschehen im Lokal wird mit einer Erinnerung an einen Streit mit dem Vater verwoben. Mara Delius sagt, dass vor allem die „Erzählökonomie“ des Textes, dass schlussendlich „doch ein Vaterporträt des gespaltenen, liebenden, sentimentalen, aber doch sehr abgewandten Vaters entstehen kann“, besonders interessant sei. Brigitte Schwens-Harrant argumentiert, dass bei der zweiten Ebene dieselbe Sprache verwendet worden sei und meint: „Da weiß ich nicht, ob sich das nicht mit der Bewegung im Text wegbewegen hätte müssen zu einer anderen Sprache.“

Notiz nebenbei: Die Logik des fiktiven Reality-Formats, wer ist der schlimmste Vater, würde nur für eine vorgedrehte Staffel funktionieren, da der Schwindel nach der ersten Ausstrahlung auffliegt.

Almut Tina Schmidt: Fast eine Geschichte

Von Aleksandra Skorniakova und Ronja Fleischmann

„Und kaum hatte ich etwas begriffen, war es schon nicht mehr wahr. Ich fühlte mich müde“

Der Titel verrät alles: eine Geschichte voller angefangener Lebensgeschichten. Drei Frauen mit drei Schicksalen. Brigitte Schwens-Harrant nennt den Text eine „Topographie des Alltags“. Ein Wohnhaus voller kleiner Dramen. Im Flur, im Aufzug und immer zwischen Tür und Angel kleine Teile der Geschichten, aber nie die Ganze. Krankheiten, kaputte Ehen, die Gewalt hinter der Haustür und der Umbau der Küche, Schnipsel aus dem Leben der Nachbarn. Die Hauptfigur scheint in ihrem eigenen Chaos unterzugehen, ist dennoch immer mit einem Ohr am Chaos der anderen interessiert und füllt die Lücken mit ihrer eigenen Fantasie.

Jurorin Laura De Weck vermutet, dass eben diese Fantasie, was im Leben der Nachbarn passiere, „nicht viel mit der Realität zu tun“ habe. Eine Frage liegt im Raum: was überhaupt geschichtswürdig ist? Die gebrochenen Erwartungen, innere Reflexion und oder der Alltag. Juror Kastberger wünscht sich, vom Text inspiriert, ein neues Genre: „das gemeinsame Aufbauen von Fertigteilmöbeln“. Er kenne auch schon einen Sponsor.

Tara Meister: Wakashu oder

Von Johanna Steindl

Tara Meister entführt uns mit ihrem Text in eine atmosphärische Zwischenwelt, gefüllt mit Gewalt, der eine Zärtlichkeit und Neuformung der Sprache gegenübergestellt wird.

Die Erzählung startet mit einem sterbenden Reh, als Folge einer Verletzung durch einen Mähdrescher im Feld. Die ländlichen Strukturen und die damit verbundene Gewalt und verankerte Ländlichkeit taucht in unterschiedlichen Intensitäten auf. Spannend hierbei: die Leerstellen und Unmöglichkeiten der Benennungen, wenn es um Körperlichkeit, insbesondere des weiblichen Körpers geht. Die erste Auslassung bildet bereits der Titel, der ohne Fragezeichen ausläuft und einen Untertitel oder einen Alternativtitel ausspart.

Neben der Verhandlung von Körperlichkeit, sexualisierter Gewalt und Männlichkeit im ländlichen Raum, beschäftigt sich Meister mit Schuldfragen nach Gewalterfahrungen einer Freundin.

Von dieser „Welt, in der es nur tote Worte gibt“ (Jurorin Laura de Weck) versucht sich die Protagonistin durch die Suche nach einer neuen Sprache abzugrenzen. Die Figur des Liebhabers bewegt sich ebenfalls im Dazwischen, gefüllt mit Mehrdeutigkeiten. Reh – Mann – Mensch. Die Beschäftigung mit dem eigenen Namen, verbunden mit der Benennung des Liebhabers, macht ein weiteres Themenfeld auf. „Aber wer im Ort seinen Namen ablegt, ist tot.“ Anmerkung: Wakashu kommt aus dem Japanischen und steht unter anderem für Third Gender – somit entsteht eine Form des Dazwischen, in der sich die benannte Figur befindet.

Die Jury kritisiert am Text eine Betulichkeit, das Entziehen einer Eindeutigkeit und eine Geheimnistuerei. Mein Eindruck ist hier ein anderer: Diese Uneindeutigkeit durch Auslassungen und Verschiebungen, stärkt die Kraft des Textes und den Versuch, eine neue Sprache zu finden, die uns hilft, uns von einer Welt abzugrenzen, in der es mehr Begriffe für Gewalt zu geben scheint, anstatt für zärtlichen Umgang. Mit ihrer Wortgewalt erinnert Tara Meister, in Kärnten aufgewachsen, an Josef Winkler, etwa in der Beschreibung einer erfolgten Schlachtung: „An den Haken am Heimweg hingen die Säue und bluteten aus.“ Und doch ist da ein ganz anderer poetischer Ton: „Ich betaste seine Lippen, versuche den Unterschied zu erklären zwischen Anfassen und Berühren.“ Im Text verschwimmen Bedeutungsebenen und lassen einen im positiven Sinn orientierungslos zurück – ebenfalls auf der Suche, um das Gehörte benennen und einordnen zu können.

Boris Schumatsky: Kindheitsbenzin

Von Gabriele Anna Brunner

Boris Schumatsky hat mit seinem Text „Kindheitsbenzin“ einen grandiosen Abschluss des dritten und damit letzten Lesetages hingelegt. Nicht nur das Publikum, sondern auch die gesamte Jury waren begeistert von diesem tragisch wahren, aber wunderbar vorgetragenen autobiografischen Beitrag des Autors.

Eine Kindheit in der Sowjetunion der Vergangenheit. Eine Gegenwart in Russland, in der man nicht mehr nach Hause zurückkehren kann. Mit „Kindheitsbenzin“ nimmt uns Boris Schumatsky mit auf eine imaginäre Reise in sein Heimatland. Er sitzt in Berlin und beschreibt, wie eine Heimreise zu seiner Mutter nach Russland aussehen würde. Welchen Gefahren und Ängsten er dabei ausgesetzt wäre. Es ist fingiert und doch real, der Leser weiß oft nicht, ob der Autor die Reise nun wirklich unternimmt oder nicht. Zwischendurch immer wieder Erinnerungen an eine Kindheit im vergangenen Moskau. Eine Kindheit in Angst, Schrecken und Unterdrückung.

Zentrales Element stellt die Sprache des Autors dar. Juror Thomas Strässle findet im Text drei Ebenen von Sprache. Die Muttersprache, das Russisch der Mutter (rus. Mama) – eine Sprache voller Gefühl. Das Russisch der Veteranen – kalt und grausam, eine Sprache geprägt von Gewalt. Und die Exilsprache, das Deutsche – in der unser Autor versucht, seine Gedanken auf Papier zu bringen.

Der durchweg von der Jury gelobte Text stellt die Macht der Sprache dar. Wie Sprache auch ein Mittel der Gewalt sein kann, weh tut. Wie sie instrumentalisiert wird, um bereits Kinder in ihren Bann, ihre Grenzen, zu ziehen. Ein Stück Literatur, von dem Klaus Kastberger noch 100 Seiten mehr lesen könnte.

Tag 2

Natascha Gangl: Da Sta

Von Johanna Steindl

Natascha Gangl präsentiert mit ihrem Text „Da Sta“ eine phonetische Komposition, die sich anhand des Motivs eines Steins mit fehlender Inschrift großen Themen widmet.

Durch das Motiv des Hörens werden Zugehörigkeiten und Sichtbarkeiten verhandelt, die sich über die bekannte Dialektfrage „Wou g‘heastn du hi?“ (steirisch) bis zu Wo hörst du hin? entwickelt. Gangl arbeitet mit intelligenten Dialekt-Sprachspielen, die über den Text hinweg einen großen Bogen spannen, die den Text nicht nur umrahmen, sondern seine umfangreiche Thematik deutlich macht: Die diverse Interpretation der Frage „WEIN-I-IUDN, GO!?“ (steirisch) reicht von der Tragik eines Kriegsverbrechens – Wegen den Juden, da. – bis hin zu einer einfachen Frage nach einem Gesprächspartner – „Wen interviewst denn da?“

Sie schlägt eine Brücke über das Hören hin zu Phonetik, die Aussprache hin zur Sprache selbst und die damit verbundene Verbundenheit und Zugehörigkeit – von Orientierung bis zu Verschiebungen und Begrenzungen.

In einer Aufzählung von Namen, die an einen Zungenbrecher erinnert, macht Gangl die Zweisprachigkeit im steirischen Grenzgebiet deutlich. Sprache, die in diesem räumlichen Kontext nicht nur zur Verständigung und Orientierung beiträgt, sondern vor allem auch Zuordnung und Begrenzung bedeutet.

Die Präsenz der Grenzkonflikte ist durch den gesamten Text hindurch spürbar und leitet über die generationsübergreifenden Grenzerfahrungen zum „Hauptakteur“ des Textes über. Einem Stein, der sich in einem Wald im Grenzgebiet befindet. Er hat keine Inschrift. Es handelt sich um eine Objektifizierung einer hauptsächlich mündlich übertragenen Erinnerung an ein Kriegsverbrechen – einem Mahnmal. Der Stein wirkt als leerer Signifikant, der mit einer Erzählung über die Erschießungen von 48 Juden gefüllt wird und sich so in die Landschaft einschreibt. Die Grausamkeit der Verbrechen zeigt sich an einer Stelle besonders. Eingebettet in einen Traum wird davon berichtet, dass die Menschen nach den Erschießungen begraben wurden. „Mit Erde. Dass sich die Leute noch bewegt haben.“

Der Text berührt durch seine besondere Herangehensweise, die einer Sound-Recherche ähnelt, die durch Auslassungen und kurzen Sätzen mit tiefer Bedeutung geprägt ist. Die Methode des Interviews steht hier nicht nur für das Aufzeichnen von Gesprächen, sondern tiefgreifender für den Versuch eines Bewahrens von Erzählungen, über die nicht gesprochen wird.

Grenzstein – Grabstein – Gedenkstein – A Sta.
Wo hören wir hin?

Sophie Sumburane: Sickergrubenblau

Von Sandra Elena Strasser

Sophie Sumburane wurde 1987 in Potsdam geboren. Sie ist nach Laura Laabs die zweite aus Ostdeutschland stammende Autorin im diesjährigen „Bewerb.Sumburane studierte Germanistik und Afrikanistik an der Universität Leipzig. Sie liest auf Einladung von MithuSanyal.

Es ist eine „Chronik des Verlustes“, so beschreibt die Jurorin Laura de Weck den Text. In Sophie SumburanesWerken geht es oft um sexualisierte Gewalt und was sie mit den Betroffenen anrichtet. Auch in „Sickergrubenblau“ ist dies nicht anders. Was mit einem harmlosen „plopp“Geräusch einer Wasserflasche begann, entwickelte sich schnell in eine Erzählung, wie man sie aus dem Alltag, aus den Medien kennt. K.O.-Tropfen im Glas, fehlende Erinnerung und Sprachlosigkeit.

„Aber du erinnerst dich nicht, sagt sie. Aber mein Körper tut’s, sage ich.“ Sumburane malt das Bild einer Frau, die fühlt, dass ihr etwas zugestoßen ist, aber es nicht sicher weiß. Von ihrer Erinnerung fehlt jede Spur, doch ihr Körper nimmt wahr, dass ihr etwas angetan wurde. Die Anzeichen sind klar: Erbrechen, Gereiztheit, Unwohlsein, doch das Gedächtnis scheint erst langsam zurückzukommen. Nach einem gescheiterten Versuch ihrer Freundin Annika, die Erzählerin aus ihrem Loch rauszuholen, entfalten sich die Einzelheiten des Vorfalls vor zwei Tagen. Ein fremder, blonder Mann und eine Wasserflasche reichen aus, um das Geschehene wieder hervorzurufen. Die Erzählerin verliert die Beherrschung und ehe sie sich versieht, bekommt der blonde Mann einen Schlag ins Gesicht versetzt.

Die Sprach- und Hilflosigkeit sind wiederkehrende Themen des Textes. Als dann noch herauskommt, dass ein Foto von ihr aufgenommen wurde, nackt und scheinbar am Schlafen, fühlt sie sich so, als würde sie vom Erdboden verschluckt werden, schüttelt das Gefühl aber mit aufgesetztem Humor ab. Doch die Geschehnisse lassen sie nicht kalt. „Ich kann fliehen vor allem, nur nicht vor mir.“

Die Jury beschreibt den Text als „generisch“ und „konventionell“, eine Standarderzählung. Damit beziehen sie sich jedoch rein auf die Schreibweise, nicht auf den Inhalt. Laut Juror Klaus Kastberger sei es ein klassischer Realismus und ein „forschender Text“, man will gemeinsam mit der Erzählerin herausfinden, was passiert ist. Der Text veranschaulicht, wie eine Frau nach einem sexuellen Missbrauch alles verliert, von der Freude bis zur Sprache. Dies wird laut Jurorin Brigitte Schwens-Harrant besonders durch die „kaputten“, abgebrochenen Sätze sichtbar. Die Verabreichung von K.O.-Tropfen macht nicht nur die Betroffenen, sondern auch ihr Umfeld sprachlos.

Josefine Rieks: Dinner, Freitagabend

Von Sigrid Parthei

Rieks, studierte Philosophie und Literaturwissenschaften; in ihrem literarischen Text treffen erlernte philosophische Ansätze auf Gesellschaftskritik. Das beschriebene Dinner, Freitag abends beginnt mit: „Juliana steht in flauschigen Slippern von Jimmy Choo, auf die Violette wahrscheinlich neidig ist (vorher hat sie sie mit ziemlicher großer Sicherheit gegoogelt), auf dem geölten Dielenboden ihrer offenen Küche im Landhaussteil in ihrer Wohnung am Savignyplatz.“

Was folgt sind weiter Beschreibungen der einzelnen Figuren, die einem illustren Reigen einer Modezeitschrift entspringen könnten. Alle sind sie eine Kopie einer Kopie und doch unterscheiden sie sich durch Nuancen. Minimal! Dazwischen nimmt die Erzählerin die Zuhörer mit auf eine Reise in ihre innere Welt, und doch bleibt verschleiert, dass sie einfach nur „normal“ ist. Denn während die anderen noch über DNA-Analysen philosophieren, an ihren Zubereitungsarten verschiedenster Lebensmittel hängen und dabei noch ihren Body-Mass-Index vergleichen – seziert die Erzählerin sich und die anderen im Detail.

„Violette trägt einen engen, giftgrünen Pullover mit Rundhalsausschnitt, vermutlich aus reinem Kaschmir, dazu eine ebenfalls giftgrüne Wollhose im Marleneschnitt mit weiter Bundfalte und schwarzen Plateauschuhen.“

Spätestens hier erinnert mich der Text an die detailreichen Beschreibungen eines Bret Easton Ellis, und ich liebe es! Doch der Text scheidet die Geister und die Jury. Die Oberflächlichkeiten seien provozierend und eine Überkuratierung, die grotesk anmutet und sich wohl in der Mitte des Textes erschöpfen. Andere aus der Jury sehen in dem Text eine Satire, erkenne die Gesellschaftskritik und eine methodische Zuspitzung. Auch erkenne man in den hochtragischen Charakteren die tiefe Einsamkeit, überspielt durch Oberflächlichkeiten. Philipp Tingler der Josefine Rieks vorschlug erkennt in diesem literarischen Auszug eine depressive Hedonie.

Der bittere Nachgeschmack eines Zero-Literatur-Textes bleibt mir im Hals stecken. Der Texte meines Erachtens nicht von adäquaten Ohren erhört oder erfahren. Gerne stelle ich mich neben Tingler und feiere diesen Text, ich möchte ihn wieder lesen, nochmals lesen.

„Es war ein schöner Abend!“ Es ist einundzwanzig Uhr.

Ein Großteil der Jury feiert diesen letzten Satz als brillant, vielleicht auch eingedenk dessen, dass man den Wiederholungen nicht mehr lauschen müsse.

Ich aber will mehr lesen und weiter diesen Nichtigkeiten und den Oberflächlichkeiten dieser Gesellschaft lauschen, zwischen den Zeilen die Kritik: denn sie wissen nicht, was sie tun!

Thomas Bissinger: Nilpferd

von Gabriele Anna Brunner

Zwischen historischer Realität und fiktiver Schreibkunst mäandernd. Zwischen biographischen Daten, Zahlen und Fakten – der Physik des realen Lebens eines Menschen – und der wandelbaren welterschaffenden Kunst des Schreibens den Weg finden. Um eine Geschichte erzählen zu können. Thomas Bissinger schafft es. Der promovierte Physiker, der auch Schriftsteller ist, weiß, wie man sich in diesen konfliktreichen Räumen der historischen Erzählung wahrer Begebenheiten bewegt.

Mit seinem Text „Nilpferd“ stellte sich Thomas Bissinger aus Konstanz dem Wettlesen der Bachmannpreisanwärter im Süden Österreichs. Als vierter Lesender des heutigen Tages, versetzte uns Bissinger mit einem beklemmenden Romanauszug in die Welt seiner Protagonistin Galja. Mit seiner „bissing’schen Sprache“ wie eine der Jurorinnen es nannte, zieht er das Publikum in eine ebenso reale wie grausame Vergangenheit. Arbeitstitel des Romanprojekts ist „Ehrenfeld“, in Anlehnung an die Familie des jüdischen Physikers Paul Ehrenfest, der mit Beginn der NS-Diktatur entrechtet und diskriminiert wurde, aber bereits 1933 verstarb. Galja, seine Tochter, ist offenbar im Widerstand gegen die Nazis aktiv; in den Niederlanden wird sie von den deutschen Besatzern verhaftet, verhört und gefoltert. Galja ist schwanger. Um zu überleben, verleugnet sie ihre jüdische Herkunft, ihren Vater.

In der Diskussion zitierte Juror Philipp Tingler Voltaire, dassein falsch gesetztes Wort jeden klugen Gedanken zerstören kann. In dieser Geschichte aber sei kein Wort am falschen Platz. Von diesem Roman wird noch zu hören sein.

Kay Matter: Doppelzweier Leichtgewicht

Von: Kathrin Codalonga, Johanna Steindl

Zugehörigkeiten und Geschlechtsidentitäten sind die großen Themen in Kay Matters Text. Die Beschreibung von Codes, die durch eine pure Sprache teilweise konventionell wirkt, lässt tiefgreifende Zuordnungsmechanismen sichtbar werden.

Der Text ist in einem Ruderclub verortet, an dem der Protagonist Paolo andockt, um nach langer Pause den Sport wieder aufzugreifen und Teil des Teams zu werden. Dem ersten Aufeinandertreffen stellt Matters die Busfahrt zum See voran. Durch die sachliche Erzählung der Situation des Ticket-Zeigens, erzählt der Autor von den Folgen und Problemen, die eine Änderung der Geschlechtsidentität mit sich bringt – wie das Zeigen des Deadnames. Das beschriebene Probetraining stellt nicht nur die Körperlichkeit von Paolo in den Fokus. Matters zeigt in seinem Text, wie wichtig Codes im Verhalten,in Aussehen und Sprache im Prozess der eigenen Positionierung und Zuordnung zu Geschlechtsidentitäten sind. Wie begrüßt sich das Ruderteam untereinander? Welche Sprache wird verwendet? Wer darf sich wie verhalten?

In der Figur des Max sieht Paolo durch seine Narbe am Unterarm einen Verbündeten. Dieser Wunsch nach Verbundenheit und Gemeinsamkeit, dem Paolo bei einem weiteren Training nachgeht, folgt jedoch Zurückweisung und eine Form der Ablehnung. Die Sehnsucht, sich innerhalb einer Gruppe zugehörig zu fühlen und die Sehnsucht so angenommen zu werden, wie man ist, steht im Mittelpunkt dieser Erzählung.

Das kurze Format des Textes macht zum einen Lust auf mehr, andererseits bleiben viele Erzählstränge offen. In seinem Sprachsound schafft es Matter, Jugendsprache in den Text einzubauen, ohne übertrieben oder gezwungen zu wirken.

Eine spannende Beobachtung lässt die anschließende Diskussion der Jury zu: Ein Text der im Gegensatz zu seinem leichten, einfachen Schreibstil tiefere und aktuelle Probleme anspreche. Brigitte Schwens-Harrant findet, dass Blicken eine große Bedeutung zugeschrieben werden, besondere lehrreich, da es „sowohl um die Blicke des Protagonisten Paulo als auch die Blicke Retour“ gehe. Der nominierende Juror Thomas Strässle kritisiert, dass im Text von vielen Codes die Rede sei, die eben nicht erklärt würden, auf die Gefahr hin, dass man sie falsch verstehen könne. Philipp Tingler meint zum überraschenden Ende der Geschichte, dass die Ablehnung von Max, der die gleichen Anstrengungen unternommen hat, um akzeptiert zu werden, ein Zeichen dafür ist, dass er den Anpassungsdruck schon verinnerlicht hat. Letzte Notiz: In der Jury wird das Sprechen über Geschlechtsidentitäten als heikler empfunden als das Sprechen über Putins Politik am Tag zuvor.

Tag 1

Eröffnungsrede von Nava Ebrahimi: „Drei Tage im Mai“

Von Sigrid Parthei

„Reizen wir die Freiheit aus, endlich“! Die letzten Worte hallen nach und sind zugleich ein erster Schritt, denn das Erkennen ist der Weg durch die Literatur in eine menschliche Zukunft und den Reizübertritten dieser Freiheit.

„Drei Tage im Mai“ ist der Titel der Eröffnungsrede zur Literatur Nava Ebrahimis anlässlich der 49. Tage der deutschsprachigen Literatur. Diese geschilderten drei Tage sind zugleich ein Aufzeigen von Realitäten voller Emotionen und zum anderen ein Hoffnungsschimmer.

Der „Auslöser“ der Rede ist ein Artikel über den Aufstieg des „Endzeit-Faschismus“ und dessen Überlegungen, dass das Versprechen der liberalen Demokratie aufgegeben wurde, sowie der Glaube an die Bewohnbarkeit einer gemeinsamen Welt. Ebrahimi gewährt hierzu einen sehr persönlichen Einblick: „Mich macht fertig, wie abgrundtief egal den mächtigsten Menschen der Welt die Welt ist. Und mich macht fertig, dass wir – die wir davon überzeugt sind, dass wir nur gemeinsam überleben können, dass Menschsein Miteinander, Mitgefühl und Offenheit bedeutet -, dass ausgerechnet wir nur schwer zusammenfinden.“

Die Bachmannpreisträgerin von 2021 lässt dennoch hoffen, obwohl diese Aufgabe schier zu groß ist und den Menschen erst durchlässig, empfindsam und verwundbar mit seinen Emotionen überrennt. Schwer sei es in Worte zu fassen: „Ich tat mich schwer damit. Beinah täglich, scheint es, verschieben sich Grenzen. Grenzen des Sagbaren, Grenzen des Machbaren. Beinah täglich bauen wir menschlich ab, senken wir unsere ethischen Standards, gewöhnen wir uns an neues Leid.“

Die Literatin, so wie auch wir Zuhörer, scheinen in einer Logik apokalyptischer Erzählungen verhaftet zu sein und schier einem Sog der Alternativlosigkeit zu erliegen. Nachhallend ihre Worte – wie ein Aufruf: „Es ist leicht, sich ihm hinzugeben. Es ist bequem. Dem Sog zu entkommen, ist anstrengend. Und wenn wir ihm entkommen sind, was dann? Dann darf da keine Leere sein.“

„Alles könnte anders sein“, dieser Gedanke, entlehnt von einer anderen Autorin (Ursula K. Le Guin), treibt sie an: „Ich überwinde nicht nur mit jedem Text mich selbst, ich versuche auch immer wieder zu überwinden, was gemeinhin als Realität hingenommen wird. […] Wenn wir uns hinsetzen und beginnen, Wörter und Sätze aneinanderzureihen, formen wir Vergangenheit, erschaffen wir Gegenwart und wirken wir auf das ein, was noch geschehen wird – […].“

Also nehmen wir uns alle die Freiheit, zu gestalten und das zu erkennen ist der erste Schritt in die Literatur und dies somit der erste Schritt in eine menschlichere Zukunft.

Fatima Khan: Madonna in den Trümmern

Von Florian H.J. Untererweg

Die Ausgangsbedingungen, um die literarischen Herzen von Jury und Publikum im Sturm zu erobern und damit einen Kickstart im Literaturbetrieb hinzulegen, könnten besser nicht sein für die vielfach ausgezeichnete Autorin Fatima Khan. In Bangladesch geboren, in Köln aufgewachsen, hat sie an der Kunsthochschule für Medien kreatives Schreiben studiert, am Literarischen Colloquium Berlin an der Autorinnenwerkstatt für Prosa teilgenommen und als studierte Germanistin in essayistischer Form sich mit der Frage auseinandergesetzt, was gute Literatur ausmacht. Darüber hinaus ist sie Mentee und Protegé von Mithu Sanyal, auf deren Einladung sie in Klagenfurt um den prestigeträchtigen Bachmannpreis liest.

Auch hat Fatima Khan das Glück, mit ihrem Text „Madonna in den Trümmern“ die Bachmanntage eröffnen zu dürfen, kann sich so um 10 Uhr in Klagenfurt auf wache und wettbewerbsliteraturausgehungerte Geister freuen und mit ihrem Text tonangebend die Latte setzen. Kein Druck, aber manchmal passen Anglizismen einfach besser, auch für deutsche Literatur – no pressure also.

Ihr Text baut auf zwei Konflikten. Das Fremdsein, was sie sehr gelungen mit den unterschiedlichen Arten der Nahrungsaufnahme in Deutschland und Bangladesch beschreibt, und der Konflikt mit dem Vater, dessen Anerkennung sie sucht, von dem sie sich aber gleichzeitig abnabeln will. Das funktioniert über die deutsche Sprache, die sie im Gegensatz zu ihrem Vater meisterhaft beherrscht, sowie über die katholischen Sakralbauten und Götzen, die sie über die islamischen Gepflogenheiten ihres Vaters stellt. Die Madonnafigur in der Kapelle dient dann als Nexus, stellvertretend für diesen Konflikt.
Fatima Khan inszeniert sich gegen Mitte ihrer Performance mit gefalteten Händen, gebetsmäßig ruft sie in einem lyrischen Einschub eine höhere Macht an, schickt Wünsche an ihren Text, er möge der bruchstückhaften Kapelle gleichen, in der die Madonna hängt.

Die Form des Textes wird von den Juroren kontrovers diskutiert. Wenn es sich um einen Brief an den Vater handle, abgeschickt oder nicht, erkläre die Geschichte vieles, was der Vater ohnehin weiß. Gegen dieses Argument wird von Mithu Sanyal ins Feld geführt, dass es sich um eine Textmontage handle, welche extrem geschickt gebaut sei. Auch für Klaus Kastberger „passt es schon irgendwie“, die Montage sieht er als legitime Textstrategie. Jurorin Mara Delius sieht im Tonfall die große Stärke des Erzählten, weil dieser einen eigenen Platz einfordere und sich somit von der Sprache des Vaters abhebe. Laura de Weck hebt das „Vater-Tochter-Sprache-Dreieck“ positiv hervor, das Schreiben als Sieg über Vater, als Desintegration aus der Familie.

Für Thomas Strässle ist der Text am besten, wenn er sprachlich verdichtet und szenisch ist. Jurorin Sanyal hebt die herausragende Rhythmik des Textes hervor und belegt das dann mit einer kurzen Stelle aus dem Brief an den Vater:

„Du hast stets gesagt, dass ich immer in diesem Land auffallen werde, immer auffallen wird, dass ich nicht mit der Muttermilch aufgesaugt habe, wie man diese Sprache spricht, ohne dass man sie bricht.“

Nefeli Kavouras: Zentaur

Von Julia Gfrerer

Mit geneigtem Kopf beginnt Kavouras zu lesen. Ganz in ihrer eigenen Welt, die Welt ihres Textes. In der auch die ProtagonistInnen in ihrer eigenen Welt sind, isoliert voneinander. Mutter und Ehefrau Ruth und ihre Tochter Lea. Während der Ehemann und Vater im Sterben liegt.

Den ersten begrüßenden Blick ins Publikum gewährt Kavouras nach dem ersten Absatz, welcher das Ende der Geschichte vorausnimmt. Das Danach, die Beerdigung. Die Begrüßung, die Begegnung kommt mit dem Tod daher. Da sind sie auch wieder ein „wir“, die Mutter und die Tochter. Nach dem Danach beginnt das Davor. Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive der Mutter und der Tochter erzählt.

Ruth begleitet ihren Mann. „Der darf jetzt so sein, wie er ist. Und jetzt ist er nun einmal ein Sterbender. Und wie egal alles ist, wenn man jemanden einfach in Ruhe sterben lässt.“ Tochter Lea hat jetzt keinen Platz in Ruths Welt. Sie redet nicht mehr mit ihr. Lea kümmert sich in dieser Zeit um sich selbst. Sie wünscht sich eine Liebesgeschichte und bekommt auch eine.

Ruth betrachtet fasziniert die Schönheit des langsamen Sterbens und wie sich der Mensch immer mehr zum Tier verwandelt. Es riecht nicht so staubig, wie sie es sich vorgestellt hat, erzählt sie. „Eher süßlich, ein wenig nach Rosinen. Georg mochte keine Rosinen.“ Doch mit der Zeit stoppt die Faszination. Sie braucht eine Pause, Normalität, Schlaf. Sehnt sich danach, ihre Tochter in den Arm zu nehmen und wieder ihre Mutter zu sein, sehnt sich danach, dass es vorbei ist. Ein Wunsch, der mit der Erschöpfung einhergeht und selten laut ausgesprochen wird. Lea muss bei ihrem ersten Kuss an ihren Vater denken. Sie vergleicht die Familie ihres Freundes mit ihrer eigenen, hält es nicht mehr aus, geht in das Zimmer des sterbenden Vaters, und findet dort ein Pferd.

„Dass man nicht als Todkranker stirbt, sondern als Tier, hat etwas Würdevolles“, findet Jurorin Laura de Weck und empfindet Kavouras Werk als seltenen, weil positiven Sterbetext. Mit einfacher und klarer Sprache schenkt Kavouras dem Tod eine Leichtigkeit und gibt diesem vielbeschriebenem Thema damit eine neue Stärke. Auch wenn der Juror Klaus Kastberger nicht findet, dass der Text jetzt von der ganzen Welt gelesen werden muss, um sterben zu können, sieht er ihn als einen der Besten, eben weil er die Schwere herausnimmt.

Max Höfler: LAMBADA TUTTO GAS

Von Susanna Grozdek

Max Höfler geboren 1978 in Vorau, lebt zurzeit in Graz als freier Autor. Liest auf Einladung von Klaus Kastberger. Höfler studierte Germanistik, Philosophie- und Kunstgeschichte, promovierte mit einer Arbeit über Wittgenstein. In seiner beruflichen Laufbahn konnte er schon einige Erfolge erzielen, unter anderem als Literaturreferent des Forum-Stadtparks (2009–2017) und als Herausgeber des Leinwandliteraturmagazins Glory Hole. Einige wenige seiner Arbeiten und Veröffentlichungen sind unter anderem ALLES ÜBER ALLES Ritter-2024, Alternative Title: BOOK. Sampson Low, London 2020, Traktor. Ritter 2020, Arbeit Freizeit Gewalt. Ritter 2018, wies is is. Ritter 2014, Texas als Texttitel. Ritter 2010. Seine engagierte und gewissenhafte Arbeit bot ihm die Chance, sich beim Bachmannpreis 2025 dem kritischen Blick der Jury zu stellen.

Im Plüschpullover und kurzen Hosen erzählt uns Höfler in seinem Text LAMBADA TUTTO GAS auf satirische und humorvolle Weise den Sinn des Lebens und welche Herausforderungen das Leben und die Gesellschaft für uns bereithält. Mit Bildern, Gedichten und frecher Rhetorik hinterlässt er einen bleibenden Eindruck. Keine konventionelle Erzählung, eher eine wortgewaltige Suada. Zu Beginn ist die Rede von: „Lebenszeit, die sicher keiner von uns verschwendet haben will, wenn wir dann vom werten Herrn Sensenmann höflichst in den Holzpyjama gebeten worden sind, wir unsere Hufe also endgültig gestreckt, den finalen Lambada fertig getanzt haben.“

Höfler liest von „Aushilfsfürsten auf Bratspießen“, von „schwer behaarten Beelzebuben in viel zu engen Lederhotpens“ und „Knallharte Götterhelden“ und der schönste Satz von allem: „Und jetzt, Freunde, sehet, wie mir dieses scheißige Schicksal hier meine schöne Schüssel entreißt, mir meine schöne Schüssel einfach mir nichts, dir nichts hier auf den Boden pfeffert, hier einfach derart hinunterwichst, dass jetzt überall nur noch höchstgefährliche Schalensplitter herumliegen.“

Für einiges Staunen im Publikum und in der Jury sorgten die von ChatGPT verfassten Passagen, Sätze wie: „Diese obskuren Fußfetisch-Vibes und die ganze Pyjamaparty-Nummer sind richtig unangenehm.“ Aber sehr unterhaltsam, das meinte auch die Jury. Philipp Tingler sprach nicht nur für sich: „Ich fand das ganz sympathisch.“

Laura Laabs: Adlergestell

Von Ronja Fleischmann

„Denn hier hatte sie eingeschlagen, die fröhliche Bombe des Kapitalismus.“ Wie ist der Osten so rechts geworden? Wie kommen solche Menschen zu ihren rechten Ideologien?

Bei der Lesung des Romanausschnitts kamen gerade solche Fragen auf. Die Hauptfigur erzählt von ihrer Kindheit im Osten der unmittelbaren Nachwendezeit – und von ihren zwei Freundinnen. Es ist der Ausflug der lebenden Mädchen, im Kontrast zu Anna Seghers berühmter Erzählung. Zur Literatur wird ein Text nicht, wenn die Autorin sich erinnert, sondern die Leser*innen. So scheinbare, von Raum und Zeit gelöste Erinnerungen wie die Süßigkeiten Center Schocks, dem kleinen Laden an der Ecke oder auch die Sticker der Grundschullehrerin lösen eigene Kindheitserinnerungen aus.

Der Stil von der Jury gepriesen, wie von Mithu Sanyal als „dicht und sehr poetisch“ oder von Philipp Tingler als „routiniert und filmisch“. Eine minderjährige Mädchenmeute schmeißt von der Brücke aus Steine auf die Autos der Wessis. Was für ein Stoff! Nur verwandelt sich die Erzählerin am Ende in eine reichsdeutsche Aktivistin. Juro Thomas Strässle hat selten einen Text gelesen, der „sich so ins eigene Knie schießt.“ Dennoch großes Kino.

Verena Stauffer: Die Jäger von Chitwan

Von Julia Dueller

„Klaus, mach was für dein Geld! Erklär uns den Text“, sagt Philipp Tingler als erstes nach längerer Stille in der Jury. Juror Klaus Kastberger, der die Autorin zum „Bewerb“ eingeladen hat, weigert sich. Um was es in dem Text von Verena Stauffer wirklich handelt, kann, wie es aussieht, keiner so richtig beantworten. Nochmal Tingler: „Ich anerkenne den künstlerischen Gestaltungswillen.“

Schon zu Beginn startet die Geschichte mit einer herausfordernden und komplexen Einleitung: „In jener Stadt reißen Tiger Hunde. Die Tiger kommen nachts, die Hunde leben jetzt indoor: Die Menschen gehen nicht mehr nach draußen, sobald es dunkel ist.“ Wenn es in Klagenfurt einen Preis für den besten Satz geben würde, dann dieser: „Jener Elefant in Nepal, der fünfzehn Menschen auf Gewissen hat, heißt Ronaldo.“

Der Bachmann-Wettbewerb: Die Tage der deutschsprachigen Literatur im österreichischen Klagenfurt gibt es seit 1977 – ihre 49. Auflage in diesem Jahr findet von 25. bis 29. Juni 2025 statt.

14 Autorinnen und Autoren aus Österreich, Deutschland und der Schweiz lesen unveröffentlichte Texte und bewerben sich damit um den Ingebor-Bachmann-Preis 2025: Thomas Bissinger, Natascha Gangl, Max Höfler, Nefeli Kavouras, Fatima Khan, Laura Laabs, Kay Matter, Tara Meister, Nora Osagiobare, Josefine Rieks, Almut Tina Schmidt, Boris Schumatsky, Verena Stauffer und Sophie Sumburane.

Über die Vergabe des Preises entscheidet die Jury, bestehend aus Klaus Kastberger, Mara Delius, Laura de Weck, Mithu Sanyal, Brigitte Schwens-Harrant, Thomas Strässle und Philipp Tingler unter Moderation von Peter Fässlacher und Cecile Schortmann.

Unter Anleitung von Freitag-Autor Karsten Krampitz berichten an dieser Stelle Studierende der Angewandten Kulturwissenschaft des Instituts für Kulturanalyse an der Alpe-Adria-Universität Klagenfurt im Rahmen eines Blockseminars „Einführung in den Literaturbetrieb“ fortlaufend aus Klagenfurt.