Musik | Neues Pulp-Album nachdem 24 Jahren: Sex bleibt eine ungelenke Angelegenheit

Pulp sind die wohl am besten gealterte Britpop-Legende. Umso riskanter ist es, nach 24 Jahren wieder ein Album zu veröffentlichen


Die britische Rockband Pulp

Foto: Tom Jackson


Die Zeit hat es mit Pulp ausgesprochen gut gemeint. Wie Jarvis Cocker in der neuen Single Spike Island betont, sorgte die Auflösung der Band 2002 für wenig Aufruhr; mit den Alben This Is Hardcore (1998) und We Love Live (2001) war es der Band bereits gelungen, ihr Publikum drastisch zu verkleinern. Ein Greatest-Hits-Album dümpelte eine Woche im unteren Bereich der britischen Top 75 vor sich hin und in seiner Britpop-Anthologie The Last Party bezeichnete der Journalist John Harris Pulps Musik als „überholt“. „The universe shrugged, then moved on“, wie Jarvis Cocker nun singt, was wohl die poetischere Variante seines damaligen Kommentars auf das Greatest-Hits-Album ist: ein „lautloser Furz“ der „allen offensichtlich am Arsch vorbeiging“.

In den Folgejahren änderte sich das. Pulps Song Common People galt jetzt im Rückblick neben A Design for Life von den Magic Street Preachers als der einzige erfolgreiche Protestsong der Britpop-Jahre und wurde gegen den Vorwurf ins Feld geführt, diese Ära hätte außer Fähnchenschwenken und Pseudo-Proletariertum wenig zu bieten gehabt. Pulp war jetzt die Band, die für die Außenseiter und Nerds einstand und Mis-Shapes galt als Hymne auf die Kids, die Oasis-Fans mit Freude verkloppt hätten. Auch waren Pulp die ersten gewesen, die sich von der fatalen Allianz mit New Labour verabschiedeten, als sie ein Jahr nach Tony Blairs Wahlsieg mit dem Song Cocaine Socialism ätzten. Und während Jarvis Cockers Soloalben sich mäßig verkauften, wuchs sein Status als Nationalheiligtum. Es folgten zwei bejubelte Reunions (2011 und 2022) und schließlich Platin-Status für die einst gefloppten Greatest Hits.

Aber es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man alte Hits noch mal live spielt oder ein neues Album macht. Will man sein Gesamtwerk nicht mit einer Kopie vergangener Großtaten verhunzen, sollte man schon etwas Neues zu sagen haben. Und wirklich: Wie schon Blur vergangenes Jahr mit The Ballad of Darren ist es Pulp gelungen, ihren jahrelangen Ansatz erfolgreich auf einen sehr anderen Lebensabschnitt anzuwenden. Wie Cocker es im Song Slow Jam formuliert: „Gone from all you that could be to all that you once were“.

Ein Mann, der einst über Ehebrechen als Klassenkampf fantasierte, singt in Background Noise jetzt davon, wie eine Scheidung sich auf die Möglichkeit auswirkt, sich noch einmal zu verlieben (charakteristischerweise erfolgen diese Überlegungen in einer Shoppingmall). Tina überträgt den typischen Pulp-Song, der über verpasste romantische Gelegenheiten sinniert – Babies, Disco 2000, Inside Susan – aufs mittlere Lebensalter mit dem gesteigerten Frust, dass die letzte vor 40 Jahren vorbeizog. Sein Talent, verwirrende jugendliche Beziehungen und die ungelenken, profanen Seiten von Sex auszustellen, verlagert sich in Grown Ups dahingehend, dass die Beziehung sich auf einem unerreichbaren Planten abspielt, „weil die Rakete nicht genug Treibstoff hat“, um – mutmaßlich in die Jugendzeit – zurückzukehren, und auf My Sex heißt es: „Hurry ’cos with sex, we’re running out of time“.

Dass More nach Pulp klingt, muss angesichts von Cockers charakteristischer Stimme kaum erwähnt werden – würde er überraschend als Sänger von Cannibal Corpse rekrutiert werden, klänge wohl selbst die Death-Metal-Band irgendwie nach Pulp. Aber auch musikalisch erfüllt das Album alle Erwartungen des Fans. Wenn More das Beste ist, wozu Pulp in der Lage sind, so ist dieses Album mehr als genug.

More Pulp Rough Trade/ Beggars/ Indigo 2025