Mütterrente: Das 20-Milliarden-Euro-Projekt jener CSU

Der Koalitionsausschuss von Union und SPD hat einen Gewinner und einen Verlierer. Gewinner sind Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden und die nun schon von Anfang 2027 an mehr Mütterrente bekommen sollen, nicht erst 2028 wie im Kabinettsbeschluss vergangene Woche vorgesehen. Verlierer sind Selbständige und Privathaushalte, für die es vorerst keine Senkung der Stromsteuer gibt. Der ermäßigte Satz gilt wie einst von der Ampel beschlossen weiter nur für das produzierende Gewerbe. Für mehr sei derzeit kein finanzieller Spielraum, heißt es aus der Koalition.
Diese Entscheidung ist auch deshalb brisant, weil es um ähnliche Beträge geht. Eine Senkung der Stromsteuer über das bereits entlastete produzierende Gewerbe hinaus hätte laut Bundesfinanzministerium 5,4 Milliarden Euro im Jahr gekostet. Die Ausweitung der Mütterrente verursacht ebenfalls Kosten von rund fünf Milliarden Euro im Jahr. Sie ist ein Projekt vor allem der CSU.
Der ökonomische Berater von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), Jens Südekum, kritisiert die Prioritätensetzung mit deutlichen Worten. „Angesichts der klammen Kassen ist überhaupt nicht nachvollziehbar, warum Markus Söder in derselben Sitzung, in der die Stromsteuersenkung für nicht finanzierbar erklärt wird, eine frühere Ausweitung der Mütterrente durchdrückt“, sagte Südekum der F.A.Z. „Auch er sollte sich darauf konzentrieren, durch Investitionen und Strukturreformen Wachstum in Deutschland zu schaffen, anstatt immer mehr Steuergeld für Staatskonsum und Rentenerhöhungen zu verplanen.“
Rentenanspruch für Kindererziehungszeiten
Mit der sogenannten Mütterrente III vollendet die CSU ein Projekt, das im Jahr 2014 seinen Anfang nahm und das im Lauf der Jahre immer teurer wurde. Damals, als die Finanzkrise und ihre wirtschaftlichen Verwerfungen überstanden waren, vereinbarten Union und SPD ein großes Rentenpaket. Die Sozialdemokraten bekamen die „Rente mit 63“, den abschlagsfreien Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren. Die Union erhielt, auf Drängen der CSU, die Mütterrente.
Dahinter verbirgt sich die rentenrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten. Für Mütter nach 1992 geborener Kinder werden schon seit der Rentenreform von CDU-Sozialminister Norbert Blüm vor mehr als 30 Jahren drei Jahre Erziehungszeit je Kind anerkannt. Sie erhalten dafür auch ohne Beitragszahlung einen Rentenanspruch wie Beschäftigte für drei Jahre Arbeit zum Durchschnittslohn. Müttern vor 1992 geborener Kinder wurde hingegen ursprünglich nur ein Jahr anerkannt. Ein Jahr bringt derzeit etwa 40 Euro Monatsrente je Kind, die vollen drei Jahre entsprechen rund 120 Euro.
Begründet wurde die Unterscheidung seinerzeit damit, dass Frauen im alten Rentenrecht vor 1992 von anderen Sonderregelungen profitiert hätten, etwa einer Regelaltersgrenze von 60 Jahren. Mit der Mütterrentenerhöhung 2014 kam es dennoch zu einer Anhebung auf zwei Jahre. Seit der Reform 2019 werden zweieinhalb Jahre Kindererziehungszeit berücksichtigt. Die erste Anhebung 2014 schlug mit Kosten von zehn Milliarden Euro jährlich zu Buche, die zweite 2019 mit weiteren fünf Milliarden Euro jährlich.
Haushaltslücke wächst: Eine Senkung der Stromsteuer wird unwahrscheinlicher
Während diese Erhöhungen über höhere Rentenbeiträge finanziert werden, soll das Geld diesmal aus dem Bundeshaushalt kommen. Das weitere halbe Jahr Anerkennungszeit, um die Angleichung auf drei Jahre zu erreichen, kostet die Steuerzahler jährlich fünf Milliarden Euro. Statt der bislang in der mittelfristigen Finanzplanung veranschlagten zehn Milliarden Euro für die Jahre 2028 und 2029 sind jetzt also 15 Milliarden Euro nötig. Die bereits vor dem Koalitionsausschuss klaffende Haushaltslücke von 144 Milliarden Euro bis 2029 vergrößert sich damit noch etwas mehr – während die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass es in dieser Legislaturperiode noch finanziellen Spielraum für eine Senkung der Stromsteuer für alle Verbraucher gibt. Insgesamt kommt die Erhöhung der Mütterrente für Mütter vor 1992 geborener Kinder etwa zehn Millionen Rentnerinnen zugute. Mehr als drei Viertel der heutigen Rentnerinnen sind mütterrentenberechtigt.
Die „Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm zeigte sich am Donnerstag verwundert. „In diesen angespannten Zeiten können wir uns die Ausweitung der Mütterrente, die weitere Subvention von Agrardiesel und die Absenkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie schlichtweg nicht leisten.“ Wichtig sei dagegen für die Transformation zur Klimaneutralität, dass Strom billiger werde. „Besonders ungünstig ist es, dass durch die Übernahme der Gasumlage durch den Bund der Gaspreis statt der Strompreis gesenkt wird, also Gas relativ billiger wird. Das verschiebt die Anreize genau in die falsche Richtung“, so Grimm.
Höhere Mütterrente ändert auch individuelle Rentenansprüche
Alles in allem müssen Beitrags- und Steuerzahler demnächst für alle drei Stufen der Mütterrente 20 Milliarden Euro im Jahr aufwenden. Der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung beträgt derzeit 18,6 Prozent des Bruttolohns und steigt bis zur nächsten Bundestagswahl demographisch bedingt auf rund 20 Prozent. Gäbe es die beiden ersten beitragsfinanzierten Stufen der Mütterrente nicht, könnte der Satz knapp einen Prozentpunkt niedriger liegen. Die Wirtschaftsverbände, die seit langem die hohe Steuer- und Abgabenlast in Deutschland kritisieren, sind wenig überraschend verärgert. „Wenn zentrale, mehrfach zugesagte Entlastungen nicht kommen, während gleichzeitig teure politische Projekte umgesetzt werden, gerät bei den Betrieben das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit politischen Handelns insgesamt ins Wanken“, kritisierte Handwerkspräsident Jörg Dittrich.
Die Rentenversicherung hatte indes schon vor dem Koalitionsausschuss vor einem weiteren Problem gewarnt: Mit der höheren Mütterrente ändern sich auch die individuellen Ansprüche auf andere Renten- und Sozialleistungen, zum Beispiel die sogenannte Grundrente oder auch die Hinterbliebenenunterstützung. Deren Beträge müssen dann auch alle individuell angepasst werden – bei rückwirkender Auszahlung der Mütterrente für das Jahr 2027 im Zweifel ebenfalls rückwirkend.
Die Bundesvorstandsvorsitzende der Rentenversicherung, Anja Piel, appellierte am Donnerstag an die Koalition, in der Umsetzung der Beschlüsse die Expertise der Sozialversicherung zu berücksichtigten. Das Problem der rückwirkenden Umsetzung ließe sich dadurch entschärfen, dass für 2027 ein pauschalierter Rentenzuschlag vorgesehen wird, um die aufwendige individuelle Neuberechnungen anderer Renten zu vermeiden. Sonst würde das Projekt Mütterrente nicht nur teurer, sondern es drohte obendrein eine bürokratische Lähmung der Rentenversicherung.