Moritz Eggerts Operette „Die letzte Verschwörung“ in Wien
Synthetisch hergestellte Viren, genannt SARS-CoV-2, wären Teil einer Angriffsstrategie Chinas, um die Weltherrschaft zu erobern. Angesichts des Massensterbens in der chinesischen Großstadt Wuhan war dies ein reichlich bizarres Narrativ, das Anfang 2020 ausgerechnet in Tirol kursierte, jenem Land, dessen fahrlässiger Umgang mit der Pandemie zur raschen Verbreitung der Coronaviren in Mitteleuropa beigetragen hatte.
Irrationale Ängste, Wut und Ohnmacht
Irrationale Ängste angesichts der Komplexität der Welt, aber auch zunehmende Wut und ein Gefühl der Ohnmacht, das Weltgeschehen nicht ändern zu können, sind Wurzeln von Verschwörungstheorien, die sich über elektronische Kanäle rasend verbreiten. Ihnen gemeinsam ist die Sehnsucht, durch einfache Erklärungen die Herrscher, Eliten oder Lobbys für alles Schlechte dieser Welt verantwortlich zu machen. Der partielle Wahrheitsgehalt solcher Konstrukte und deren Instrumentalisierung durch populistische Politiker machen Verschwörungstheorien so gefährlich.
Insofern wählte der deutsche Komponist Moritz Eggert einen hochbrisanten Stoff für sein neuestes Musiktheater, das er im Untertitel als „Mythos-Operette“ bezeichnet. Wie Richard Wagner schrieb Eggert das Libretto selbst. Doch bereits dieser Text zu „Die letzte Verschwörung“ wird ihm zum Verhängnis: Holprige Verse, die keinen musikalischen Fluss entwickeln, und Plattitüden, die nie den demokratiegefährdenden Ernst irrationaler Konspirationslegenden erkennen lassen, begleiten eine umständlich erzählte Science-Fiction-Story, die an Eggerts Linzer Bruchlandung mit „Terra Nova“ von 2016 erinnert. Vor allem aber ist seine Erzählung weitgehend humorfrei, was sich bei einer Operette besonders fatal auswirkt.
Der erste Akt schleppt sich dahin, bestimmt vom Dauer-Parlando, das angesichts des stockenden Texts sogar langatmige barocke Secco-Rezitative spritzig erscheinen lässt. Mit dem klassischen Genre der Operette hat Eggerts Stück ohnehin nur den Hang zu heillosen Übertreibungen gemein. Um wie viel bissiger ist da etwa Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“, der zurzeit gleichfalls an der Wiener Volksoper zu bestaunen ist, wo „Die letzte Verschwörung“ am vergangenen Samstag uraufgeführt wurde.
Das Publikum geht nach der Pause
Angesichts der von Eggert auch musikalisch verbreiteten Langeweile verwundert es nicht, dass das Publikum in der Pause scharenweise das Haus verließ. Ähnliches war kurz davor im Musiktheater an der Wien zu beobachten. Denn der Regisseur David Marton hatte die abwegige Idee, Carl Maria von Webers „Freischütz“ hinter einem die gesamte Bühne verdeckenden Gaze-Vorhang spielen zu lassen, auf den großflächige Livevideos des dahinter nur schemenhaft sichtbaren Geschehens projiziert wurden.
Überblendet von vorproduzierten Filmen, erhält die aus Sicht der angsterfüllten Agathe erzählte Geschichte um das historische Preisschießen zwar einen albtraumartigen Touch, doch zu welch hohem Preis: Die Sängerinnen und Sänger sind nur über Mikroports zu hören, wodurch die Aufführung zu einem sterilen Kinofilm absackt.
Bizarre Betrachtung von Verschwörungsmythen
Der Beginn der Uraufführung von Eggerts „Mythos-Operette“ ließ zunächst ein ähnliches Szenario befürchten: Eine Stimme aus dem Off fordert das Publikum auf, die gewünschte Version des Stücks mittels eines projizierten Codes per Handy-App anzuklicken. Doch die Volksoperndirektorin und Regisseurin Lotte de Beer ist klug genug, den Projektionsvorhang zu lüften, um mit realistischen Theatermitteln die Aufzeichnung einer TV-Talkshow zu zeigen.
Der Starmoderator Friedrich Quant (der textdeutliche und höhensichere Tenor Timothy Fallon) lädt „Immer wieder mittwochs“ Gäste ins Studio. Diesmal auch den Verschwörungstheoretiker Dieter Urban (Orhan Yildiz), der glaubt, die Erde sei eine Scheibe. „Jenseits der Wirklichkeit beginnt das wahre Sein, wir sehen nur die Schatten“, erläutert er platonisch. Nachdem ihn Quant coram publico zur Schnecke machte, lauert Urban dem Moderator auf und überreicht ihm gefakte Urlaubsfotos von dessen Familie. Dadurch verunsichert, lässt sich Quant, begleitet von Lara Lechner (Rebecca Nelsen), immer tiefer auf die Hirngespinste Urbans ein, kämpft gegen angeblich die Welt beherrschende Reptilien (Daniel Schmutzhard als Kanzler und Wallis Giunta als Unternehmerin Natalya Ostrova), ja sogar gegen Außerirdische, die in einer goldenen Kugel herabsinken. Am Ende landet Quant in einem italienischen Restaurant, in dem die Pizzen mit Kinderfleisch belegt werden.
Im zweiten, immer obskurer werdenden Akt nimmt Eggerts Musik endlich ein wenig Fahrt auf, doch nur mithilfe von Anleihen aus der Tradition: Bei Quants Suche nach Lara erklingt „Maria“ aus Bernsteins „West Side Story“, der Auftritt des Kanzlers wird von einem Tango begleitet, ein Saltarello kontrastiert die grausige Szene mit den Kindermorden in der Küche der Pizzeria. Das Orchester der Wiener Volksoper zeigt sich unter der Leitung von Steven Sloane in prächtiger Spiellaune, auch der erst im zweiten Akt aus dem Off tretende Chor (Einstudierung: Roger Diáz-Cajamarca) entwickelt eine dem Geschehen entsprechende Wucht.
Mithilfe des Bühnenbildners Christof Hetzer löst Lotte de Beer die rasch wechselnden Szenenfolgen: Abstrakte Videoprojektionen sind meist zur Stimme aus dem Off zu sehen, die die üblichen Operetten-Dialoge ersetzt, während im verdeckten Hintergrund die Bühne umgebaut wird. Das läuft wie am Schnürchen, bis die Regisseurin am Ende selbst auf der Bühne erscheint, um mehr Emotionen von ihren Hauptdarstellern zu fordern. „Zurück auf Anfang“, ruft de Beer. Nein, bitte nicht!
Source: faz.net