Moldau: Geld oder Freiheit

Der Polizeichef schaut auf sein aufleuchtendes Smartphone: „Oh, da wird gerade mein Handy angegriffen.“ Viorel Cernăuțeanu liest die Warnmeldungen der IT-Abteilung des Innenministeriums. „Ein Versuch, meinen Signal-Account zu hacken.“ Solche Attacken seien in den letzten Wochen über fünfzigmal passiert, sagt er. Für ihn inzwischen Routine. Viorel Cernăuțeanu, drahtig, dunkles kurzes Haar, schwarze Hose, schwarzes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln, leitet die nationale Polizei von Moldau. Beinahe täglich nehmen seine Beamten Menschen fest, die unter dem Verdacht stehen, im Auftrag des Kreml die Stimmung im Land zu manipulieren.

Am 28. September wählen die Menschen in Moldau ein neues Parlament. Wie bei der Präsidentenwahl 2024 geht es um die Entscheidung zwischen Europa und Russland. Im vergangenen Jahr hatte die proeuropäische Präsidentin Maia Sandu auch dank der Stimmen der Auslands-Moldauer gesiegt. Ein Referendum für ihren proeuropäischen Kurs gewann sie nur knapp. Ende August waren der deutsche Bundeskanzler, der polnische Ministerpräsident und der französische Präsident gemeinsam in der moldauischen Hauptstadt Chişinău, um Sandu zu unterstützen. Zugleich konnten sie einiges für zukünftige Wahlen in ihren eigenen Ländern lernen. Denn Moldau ist ein strategischer Frontabschnitt im hybriden Krieg, den Wladimir Putin gegen Europa führt. Dabei nutzt er bestehende Spannungen im Land aus: zwischen rumänisch- und russischsprachigen Bewohnern, zwischen EU-Freunden und Sowjetnostalgikern, zwischen der europafreundlichen Hauptstadt und anderen Landesteilen, die zu Russland halten. Über allem schwebt die Angst vor dem Krieg. Die Ukraine ist nah, Putins Truppen sind noch näher.

Seit über 30 Jahren halten russische Soldaten einen Teil Moldaus an der östlichen Grenze besetzt: Transnistrien. Für Touristen ein beliebtes Ziel, denn der schmale Landstreifen wirkt wie ein Sowjetmuseum unter freiem Himmel. Dem ZEIT-Korrespondenten jedoch wird die Einreise verwehrt. Die Begründung: „Terrorismusabwehr“.

Aber die Brüche im Land, die Moskau ausnutzen kann, lassen sich auch anderswo beobachten. Gagausien heißt die Region im Süden Moldaus. Sanfte Hügel, Obstplantagen und Weinanbaugebiete, gagausische Namen auf den Ortsschildern. Die Gagausen, ein Turkvolk, sind eine Minderheit in Moldau, sprechen perfekt Russisch, sind christlich-orthodox und unterstehen nicht dem Istanbuler Patriarchat, sondern dem Moskauer Kirchenfürsten Kyrill. Im Zentrum der Regionalhauptstadt Comrat steht an einem breiten Gebäude aus sowjetischer Zeit „Halk topluşu“, Gagausisch für „Parlament“.



Ukraine

Moldau

Transnistrien

Rumänien

Chișinău

Comrat

Gagausien

Schwarzes

Meer

©ZEIT-Grafik

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Der Vizeparlamentsvorsitzende findet spontan Zeit für ein Gespräch. Gheorghe Leiciu, ein freundlich blickender Mann Mitte fünfzig, nutzt den unerwarteten Besuch eines ausländischen Journalisten für eine Strafpredigt gegen die moldauische Regierung. Die wolle die Autonomie der Gagausen beschneiden, gebe der Region zu wenig Geld und lasse gagausische Politiker verhaften. Die Rede ist von der ehemaligen Gouverneurin der Region, der vorgeworfen wird, Geld aus Russland ins Land geschleust zu haben. Sie war Buchhalterin in der Partei eines Moskau-treuen Oligarchen. Leiciu nennt die Verhaftung „illegal“, die Justiz sei parteiisch. Er lehnt den von der Regierung anvisierten EU-Beitritt ab: „Es drohen der Verlust unserer Souveränität und die Spaltung des Landes“, sagt er. Und weiter: „Wir wollen keinen Bruch mit Russland!“ Die Region sei prorussisch, viele Menschen hätten Verwandte in Russland. Zum Überfall Russlands auf die benachbarte Ukraine will er gar nichts sagen. Nur, dass er den Krieg zwischen den beiden „Brudervölkern“ bedauere.

Gagausien ist fruchtbarer Boden für russische Propaganda. Viele sehen hier russisches Staatsfernsehen, informieren sich über russische soziale Medien und TikTok. Ilan Șor heißt der Oligarch, für den die ehemalige gagausische Gouverneurin Geld geschmuggelt haben soll. Vor Jahren hatte er die Zentralbank geplündert und sich nach Russland abgesetzt. Jetzt bezahlt er hier im Auftrag des Kreml prorussische Politiker und Wähler. Er hat einen Vergnügungspark bauen lassen mit Wasserrutschen, Achterbahn, Schaukeln, Karussells, Heckenlabyrinth, Restaurants und grasgrünen Streichel-Nilpferden. Der Besuch ist kostenlos, die Botschaft lautet: „Russland tut gut.“

Zurück in Chişinău erklärt Polizeichef Cernăuțeanu, wie das Geld aus Russland nach Moldau fließt: „Russische Firmen betätigen sich als Geldwaschmaschinen, indem sie Aufträge mit viel zu hohen Summen bezahlen.“ Prorussische Geschäftsleute und Politiker brächten auf Flügen von Moskau über Istanbul Bargeld ins Land. Das werde verteilt, um Desinformation und Propaganda zu bezahlen. Wer im Internet Moskaus Sicht der Dinge verbreite, bekomme „extrem hohe Gehälter von mehr als 10.000 Euro im Monat“. Auch gewöhnliche Bürger erhielten Geld, damit sie an Protesten gegen die EU-nahe Regierung teilnähmen – oder am 28. September richtig abstimmten. Also für einen prorussischen Kandidaten.