Meinung | Für die EU kommt es zum Schwur – mit den USA gegen China
Es war gerade eine der überraschendsten und erfreulichsten Nachrichten: Riad und Teheran sprechen wieder miteinander – nach sieben Jahren der Eiszeit. Wenigstens in dieser Krisenregion deutet sich Entspannung an. Der spektakuläre und strategisch wichtige Deal wurde nicht, wie früher üblich, von den USA eingefädelt, sondern von China. Auch die EU, die sich lange um einen gerechten Nahost-Frieden und um die Beilegung des Atomstreits mit dem Iran bemüht hatte, spielte keine Rolle.
Amerikaner und Europäer haben sich selbst ausmanövriert durch eine engstirnige und kontraproduktive Politik. Mit massiven Sanktionen und selbstherrlichen Eingriffen in die Energiemärkte haben sie Iran und Saudi-Arabien gleichzeitig vor den Kopf gestoßen. Spannungen wurden geschürt, statt sie zu lösen. Nun müssen die EU und die USA zusehen, wie die Chinesen im Nahen Osten den Friedensrichter spielen. Auch im Ukrainekrieg hat sich Peking als Vermittler angeboten. Staatschef Xi Jinping will nach Moskau reisen und danach womöglich mit dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj sprechen.
Was der globale Süden fordert
Übernimmt die Führung in Peking den Part eines globalen Mediators, gerät der Westen diplomatisch in die Defensive, stehen wir vor einer geopolitischen Zeitenwende? Klar ist, dass Xi Jinping die USA und die EU herausfordert. Sie müssen zusehen, wie sie mit den chinesischen Initiativen umgehen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Kooperation oder Konfrontation. Amerikaner und Europäer könnten auf Kooperation setzen und China als mehr oder weniger gleichberechtigten Partner anerkennen. Es wäre der Weg in eine multipolare Weltordnung, wie sie der globale Süden immer offener fordert. Die andere Option heißt Konfrontation. Darauf hat der frühere US-Präsident Donald Trump gesetzt. Er wollte China isolieren und dessen Wirtschaft abkoppeln, um Amerika wieder „great“ zu machen. Angesichts des Ukrainekrieges liefe diese Option auf einen Zwei-Fronten-Kampf mit Russland und China hinaus.
Die ersten Reaktionen auf die chinesischen Vorstöße erwecken den Eindruck, als sei alles offen. Die US-Administration versucht, die Bedeutung der Nahost-Initiative herunterzuspielen. Die EU-Kommission zeigt sich offen – man begrüße alle Bemühungen um Normalisierung, heißt es in Brüssel. Das klingt nach Kooperation. Einige EU-Länder können einer multipolaren Welt durchaus etwas abgewinnen. Frankreich verfolgt dieses Ziel seit Jahren – nach Pariser Lesart könnte die EU zu einem eigenständigen, von den USA unabhängigen Machtpol werden. Auch Berlin scheint nicht abgeneigt, Kanzler Olaf Scholz hält an einer kooperativen deutschen China-Politik fest. Hinter den Kulissen allerdings werden die Weichen in eine ganz andere Richtung gestellt. Bei einem Treffen mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Washington hat Joe Biden versucht, die EU auf seinen Konfrontationskurs einzuschwören. Er droht Peking mit Sanktionen und will, dass Brüssel einschwenkt, zumindest auf Distanz geht.
Von der Leyen bei Biden
Noch steht der in Washington erhoffte Schulterschluss aus. In der Erklärung, die nach dem Vieraugengespräch im Weißen Haus veröffentlicht wurde, wird China nur einmal erwähnt. Bisher geht es um „De-Risking“, den Abbau von wirtschaftlichen Abhängigkeiten. „De-Coupling“, also Abkoppelung, steht noch nicht auf der Agenda. Aber die USA lassen nicht locker. Biden ist es bereits gelungen, ein wichtiges EU-Land – die Niederlande – auf Anti-China-Kurs zu bringen. Der niederländische Mikrochip-Hersteller ASML wurde mit einem Export-Verbot belegt. Weitere Maßnahmen sollen auf einem G-7-Gipfel Mitte Mai beschlossen werden.
Wohin die Reise geht, zeigt die Aufrüstung im Indopazifik. Ungeachtet aller Warnungen aus China wollen die USA bis zu fünf Atom-U-Boote an Australien liefern. Die Pläne, an denen auch Großbritannien beteiligt ist, sind eine unverhohlene Machtdemonstration, die Zeichen stehen auch hier auf Konfrontation. Man ist an einem Scheideweg, der die EU zur Entscheidung zwingt: Will sie den USA auf den gefährlichen Pfad der Anti-China-Allianz folgen und eine neue Blockbildung unterstützen? Oder versucht sie, sich wenigstens in der China-Politik zu emanzipieren und die Chancen einer multipolaren Welt zu nutzen? Von der Leyen hat sich offenbar festgelegt. Wie schon im Ukrainekrieg will sie die EU auch im China-Konflikt auf transatlantischem Kurs halten. Mehr noch: Die CDU-Politikerin will den USA den Rücken freihalten, falls es mit China ernst wird. Daher soll sich die EU noch stärker im Ukrainekrieg engagieren.
Doch es gibt auch andere Stimmen. EU-Ratspräsident Charles Michel, der für die 27 Mitgliedstaaten spricht, lehnt blinde Gefolgschaft ab. Bernd Lange (SPD), Chef des mächtigen Handelsausschusses im EU-Parlament, warnt vor einer Anti-China-Koalition. Eine Blockbildung sei für alle von Nachteil, besonders für die EU. Er hat recht. Die Europäer müssen sich endlich auf ihre Interessen besinnen und dem gefährlichen Konfrontationskurs eine Absage erteilen. Wenn sie jetzt nicht Nein sagt, wird die EU auf ganzer Linie verlieren. Nicht nur beim Handel mit China, sondern auch im geopolitischen Ringen um eine neue Weltordnung.