Materialengpässe nehmen ab – trotzdem ist die Chemiebranche pessimistischer

Chempark in Leverkusen am Rhein, einer der wichtigen deutschen Standorte
Foto: Rupert Oberhäuser / IMAGO
Die Stimmung in der exportstarken deutschen Chemieindustrie hat sich im Mai deutlich eingetrübt, obwohl die bisherigen Lieferprobleme stark abnehmen. Das entsprechende Barometer fiel auf minus 11,1 Punkte, nach minus 3,9 Zählern im April, zeigt eine Unternehmensumfrage des Münchner Ifo-Instituts. »Die Eintrübung des Geschäftsklimas zieht sich auch durch alle wichtigen Abnehmerbranchen der Chemie«, sagte Ifo-Branchenexpertin Anna Wolf. In der Industrie und im Bauhauptgewerbe sei der jeweilige Geschäftsklimaindex gefallen.
Vor allem die Geschäftserwartungen für die kommenden Monate erfuhren einen deutlichen Dämpfer und werden nun wieder negativ beurteilt: Dieses Barometer fiel auf minus 4,1 Punkte, nachdem es im April noch bei plus 11,4 Zählern gelegen hatte. Ihr aktuelle Lage beurteilen die Unternehmen weiterhin überwiegend als schlecht.
Allerdings habe es im Mai auch ein paar Lichtblicke gegeben: Die Versorgung mit Vorprodukten verbesserte sich laut dem Institut. Nur noch 16,9 Prozent der Unternehmen meldeten Engpässe. Das ist der niedrigste Wert seit 2021. Zudem hätten deutlich mehr Chemieunternehmen ihre Preise gesenkt. Noch im Januar beabsichtigten die Firmen mehrheitlich, ihre Preise anzuheben.
Im ersten Quartal war die Produktion in der Chemieindustrie um fast 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahresniveau eingebrochen, wie der Branchenverband VCI ermittelte. Für 2023 rechnet der VCI unverändert mit einem Rückgang der chemisch-pharmazeutischen Produktion von fünf Prozent.
Er äußerte mehrfach Kritik am Industriestandort Deutschland. Dieser werde international immer weniger wettbewerbsfähig. »Die Gefahr ist groß, dass in der energieintensiven Chemie Investitionen und Arbeitsplätze immer stärker ins Ausland abwandern«, warnte kürzlich VCI-Präsident Markus Steilemann, der auch Vorstandschef beim Kunststoffkonzern Covestro ist.
Exporteure sorgen sich vor steigendem Protektionismus
Insgesamt bleiben Lieferengpässe für die deutschen Exporteure eine der größten Geschäftsrisiken. Daneben ist rund 15 Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine die Sorge vor Protektionismus, beispielsweise durch steigende Einfuhrzölle deutlich gestiegen. Wie aus der jüngsten Exportumfrage des Kreditversicherers Allianz Trade hervorgeht, sind inzwischen fast drei Viertel (73 Prozent) der befragten deutschen Unternehmen deshalb besorgt. Vor dem Ukrainekrieg 2022 machten Handelsbarrieren demnach nur rund 20 Prozent der Exporteure Sorgen, nach Kriegsbeginn waren dies rund 35 Prozent.
Lieferengpässe waren zuletzt vor allem durch die hartnäckigen Staus in der globalen Containerschifffahrt verschärft worden. Zwar hat sich die Lage bei Transporten auf See inzwischen entspannt; fehlende oder ausbleibende Zulieferteile bleiben aber ein Problem. »Lieferkettenschwierigkeiten und logistische Hürden liegen Unternehmen in Deutschland besonders schwer im Magen und stellen erneut das Top-Risiko der Umfrage«, so Allianz Trade.
Neben der Analyse der eigenen Lieferkette und der engen Überwachung der finanziellen Entwicklung der Zulieferer wird auch das »Hamstern« als beliebte Maßnahme zur Risikoprävention genannt. Eine komplette Neuordnung von Lieferketten oder die Verlagerung von Produktionsstandorten sei indes nur bei 28 Prozent der befragten deutschen Unternehmen tatsächlich auf der Tagesordnung.
»Welthandel gleicht weiterhin einer Achterbahnfahrt«
»Der Welthandel gleicht weiterhin einer Achterbahnfahrt«, sagt Milo Bogaerts, Allianz-Trade-Chef für den deutschsprachigen Raum. Hiesige zumeist exportstarke Unternehmen müssten »aktuell viele Bälle in der Luft halten.«
Zu den Problemfeldern zählt auch eine wachsende Sorge, dass Käufer die bestellte Ware nicht bezahlen können. Fast die Hälfte der deutschen Exporteure (46 Prozent) rechne 2023 mit zunehmenden Zahlungsausfällen – in der ersten Befragungswelle vor dem Ukrainekrieg waren dies Anfang 2022 noch 30 Prozent. Die Rentabilität der Unternehmen gerate zunehmend unter Druck durch die schwache Nachfrage in Kombination mit steigenden Zinsen und einer restriktiveren Vergabe von Krediten.