Martin McDonaghs „Der einsame Westen“ in Dessau
„Was bleibt mir nun weiter übrig als Dummheit und persönliches Glück!“ schrieb der russische Schriftsteller Platonow einmal. Eine bessere Charakterisierung ließe sich kaum finden für zwei der Hauptfiguren in Martin McDonaghs Stück „Der einsame Westen“, das gerade im Anhaltischen Theater Dessau aufgeführt wird. Coleman und Valene heißen sie, zwei Brüder, die auch unmittelbar nach der Beerdigung ihres Vaters nicht anders können, als sich bis aufs Blut zu streiten – mit kindlicher Wut und erwachsener Brutalität, die als „Dummheit“ zu bezeichnen noch wohlmeinend wäre. Vom persönlichen Glück ist nicht viel zu sehen – beide hausen in einem Bretterverschlag mit Gerümpel und Gummipuppe –, und doch ist diese Bleibe das Einzige, was ihnen etwas bedeutet.
Der britisch-irische Autor und erfolgreiche Filmregisseur Martin McDonagh hat sein Stück in einer kleinen irischen Stadt angesiedelt. Der Text erinnert auch deswegen an seinen jüngsten, hochgelobten Film „Banshees of Inisherin“, der gerade im Kino zu sehen ist und – ebenso wie schon sein Vorgängerfilm „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ – für mehrere Oscars nominiert war.
Aber diese Groteske zweier verwahrloster Männer ohne Perspektive ließe sich auch mühelos an jeden anderen Ort versetzen. Zum Beispiel in den Osten Deutschlands. Im Anhaltischen Theater ist denn auch einmal von Dessau die Rede, wenngleich sich die Inszenierung nicht traut, die Ortsverlegung im Verlauf des Abends konsequenter zu prononcieren.
Warum nicht gleich eine Videospiel-Adaption oder ein Film-Verschnitt?
Bei ihrer Uraufführung 1997 wurde die tiefschwarze Komödie einer verkommenen Gesellschaft vor dem Hintergrund des gewalttätigen Nordirlandkonflikts gedeutet. Aber auch dieses Rumoren äußeren Unheils, dem die Brüder die brutale Behaglichkeit ihres Privatkriegs entgegensetzen, kann durch ein beliebig anderes ersetzt werden.
In Dessau entscheidet sich Regisseur Marlon Tarnow für die Popcorn-Version aller Krisen: die Zombieapokalypse. Wäre das klug konzipiert und dramaturgisch durchdacht, könnte das durchaus funktionieren und vielleicht sogar etwas über Ach und Weh unserer Gegenwart aussagen. Denn so richtig würde man sich nach Pandemie, Kriegsausbruch und Inflation in Europa und dem Aufkommen des Begriffs „Polykrise“ über wandelnde Untote wahrscheinlich auch nicht mehr wundern. Und nicht zuletzt hat das Genre durch Videospiel-Produktionen wie „The Last of Us“ zeigen können, wie sehr es sich dafür eignet, zwischenmenschliche Beziehungen in einer untergehenden Gesellschaft mit melancholischer Tiefe und archaischer Klarheit auszuloten. Könnte also funktionieren – tut es aber in Dessau nicht.
Klischeehafte Zombies und Super Mario
Dabei hätte man dem Haus und seinem oft übersehenen Ensemble nach einer überregional gelobten „Hamlet“-Inszenierung durchaus mehr zugetraut. Stattdessen hält man hier die Zombiezugabe nach bleichgesichtigem Durch-die-Gegend-Schlurfen und konventionellen Gewehrgefuchtel zu asynchronen Soundeffekten bereits für auserzählt. Von einer möglicherweise interessanten Idee bleibt damit bloß das Misstrauen der Inszenierung gegenüber den Qualitäten des zugrundeliegenden Stücks. Warum dann nicht gleich eine Videospiel-Adaption oder ein Film-Verschnitt? Dem Stück mit seinem gerade in Dessau vielversprechenden Titel wird nur sehr selten genug Raum gelassen, um etwas von seiner Stärke zu zeigen. Etwa, wenn kurzzeitig eine Versöhnung der beiden Brüder (beherzt gespielt von Sebastian Graf und Marcus Hering) möglich scheint: Da sitzen sie zusammen und beichten, was sie einander in all den Jahren angetan haben. Immer abgründiger werden ihre Geständnisse, immer größer muss die Kluft zwischen ihnen werden.
Im Alkoholrausch steigert sich der Geständnismarathon zum Wettbewerb: „Ich gewinne“, ruft einer, die nächste Grausamkeit bekennend. Und so entwickelt sich auch diese Annäherung der beiden Brüder zum traurigen Sinnbild einer Gesellschaft, in der alles relativ scheint und nichts mehr einen Wert hat, außer der eigene Sieg über den anderen.
Solche sozialmelancholischen Dimensionen des Originaltextes gehen in Dessau meist im allgemeinen Herumalbern unter. Dass hier neben den klischeehaften Zombies irgendwann auch noch Super Mario auftreten muss, bringt die feine Balance des Stücks zwischen abgründigem Humor und düsterem Weltschmerz endgültig zum Kippen. Für McDonaghs stark-strömenden Bekenntniston einer an den Rand gedrängten Einsamkeit hat der Abend leider kein Ohr. Schade.
Source: faz.net