Marine Systems: Thyssenkrupp macht U-Boot-Sparte verkaufsbereit

Die U-Boote von Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) sind auf der Welt gefragt, und trotzdem galt die Kieler Werft lange als Sorgenkind im Thyssenkrupp-Konzern. Mit der Zeitenwende hat sich das gründlich geändert – und damit auch die Chance, die Wehrtechnik zu Geld zu machen. Jetzt nimmt der Verkaufsprozess Fahrt auf, die Datenräume für Investoren werden nach Informationen der F.A.Z. in Kürze geöffnet.

Helmut Bünder

Wirtschaftskorrespondent in Düsseldorf.

Christoph Hein

Wirtschaftskorrespondent für Südasien/Pazifik mit Sitz in Singapur.

Susanne Preuß

Wirtschaftskorrespondentin in Hamburg.

Wie günstig das Umfeld für die im April vom Aufsichtsrat beschlossene Abspaltung ist, zeigt sich gerade in Indien, wo TKMS mit Unterstützung der Bundesregierung über einen neuen großen U-Boot-Auftrag verhandelt. Es geht um sechs Boote, mit denen Indien seine teils in die Jahre gekommene Flotte verstärken will. Neben Thyssenkrupp soll noch die südkoreanische Daewoo Shipbuilding and Marine Engineering im Rennen sein, aber die deutsche Seite scheint die besseren Karten zu haben.

Nach Informationen der F.A.Z. soll am Mittwoch ein Memorandum of Under­standing mit einer indischen Werft unterzeichnet werden, welche die Fertigung übernehmen soll. Dieser Technik-Partner sei Mazagon Dock Shipbuilders Ltd. (MDL), eine der führenden Werften mit Sitz in Mumbai, mit der Thyssenkrupp seit Jahren zusammenarbeitet. Am Mittwoch wird Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) auf der Rückreise vom asiatischen Sicherheitsgipfel Shangri-La Dialogue in Indien erwartet. Er solle einer Unterzeichnung des Vorvertrages beiwohnen, heißt es in diplomatischen Kreisen. Auch Konzernvorstand Oliver Burkhard, der Chef der Marine-Sparte, reist zu dem Termin.

Entscheidend für den Abschluss

Die Fertigung im eigenen Land ist für die Regierung in Neu-Delhi Grundbedingung für den Auftrag. Die Partnerschaft mit MDL wird deshalb als ein entscheidender Schritt für den Abschluss gewertet. Sprecher des Konzerns und von TKMS wollten die Informationen nicht kommentieren. In unternehmensnahen Kreisen war zu hören, die Vereinbarung ziele auf einen Gesamtwert von rund 7 Milliarden Euro ab.

Den bisher größten Auftrag seiner Firmengeschichte hatte TKMS vor zwei Jahren eingefahren, als Norwegen und Deutschland für 5,5 Milliarden Euro insgesamt sechs baugleiche U-Boote bestellten. „Project-75I“, der indische Name für den U-Boot-Kauf, lag schon beim Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar in Indien auf dem Tisch. Über Jahre aber gab es keine Einigung bei der Absicherung seitens der Regierungen und bei technischen Fragen, wie der Länge der Tauchgänge. Käme es nun zum Kauf in Deutschland, hätte sich TKMS auch gegen die französische Naval Group, die TKMS vor Jahren in Australien aus dem Rennen geworfen hatte, Spaniens Navantia, und die russische Rosoboronexport durchgesetzt.

Für TKMS sind solche Aufträge aus dem Ausland extrem wichtig. Zwar sind die Produktionsanlagen in Deutschland bis 2030 ausgelastet, aber der Vorlauf für Forschung und Entwicklung verschlingt riesige Summen. Aufträge aus dem „Zielbild Marine“ der Bundeswehr gibt es bisher noch nicht, werden aber erwartet. Während sich die vormalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht mit der Industrie schwergetan habe, sei die Kommunikation mit Boris Pistorius deutlich besser, verlautet aus Kiel.

Noch neu im Amt drängte er auf dem Sicherheitsgipfel am Sonntag in Singapur auf deutlich steigende Rüstungsexporte Deutschlands: „Wir verpflichten uns, für unsere eigene Sicherheit und die Sicherheit unserer Verbündeten und Partner mehr Verantwortung zu übernehmen“, sagte der Minister über Deutschlands Politikschwenk. „Dazu gehört ein Überdenken unserer Rüstungsexportpolitik, insbesondere wenn es um die Unterstützung von Partnern, von Partnerländern mit einem legitimen Interesse an Selbstverteidigung geht.“ Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte Indien während ihres Besuchs Anfang Dezember auch zur Überraschung mancher in Berlin einen „Wertepartner“ Deutschlands genannt.

Breite Sondierungsgespräche

Die sicherheitspolitischen Aspekte dürften den Verkaufsprozess allerdings ziemlich komplex machen. So gibt es Sondierungsgespräche nicht nur mit möglichen Finanzinvestoren oder strategischen Partnern, sondern es wird auch die Frage erörtert, ob der Bund direkt einsteigen könnte. Mit einer Sperrminorität (also einem Anteil von mindestens 25,1 Prozent) könnte der Bund unerwünschte Veränderungen frühzeitig unterbinden. Als Muster dafür gilt das Vorgehen im Fall des börsennotierten Rüstungsspezialisten Hensoldt. Dort hatte der Bund vor gut zwei Jahren so eine Sperrminorität für weniger als eine halbe Milliarde Euro erworben. Im Fall von TKMS dürfte es um ein Vielfaches gehen. Neben den Werftstandorten geht es auch um das Geschäft von Atlas in Bremen, einem Spezialisten für Elektronik für U-Boote, Kampfschiffe und Torpedos mit mehr als 2000 Mitarbeitern.

Für den am 1. Juni angetretenen neuen Konzernchef Miguel López sind die Fortschritte in der Marinesparte ein Auftakt nach Maß. Der Prozess werde mit Hochdruck weiter vorangetrieben, hieß es. Auch die Ankündigung des seit Langem geplanten Börsengangs der Wasserstoffgesellschaft Nucera soll kurz bevorstehen. Weiter auf der Stelle tritt der Konzern beim geplanten Umbau und der Abspaltung seines Stahlgeschäfts. Ein Grund ist, dass die Freigabe der Beihilfen für klimaschonende Produktionsverfahren immer noch aussteht.

Einstieg in Verhandlungsprozess

Eng eingebunden in den TKMS-Verkauf sind Gewerkschaften und Betriebsräte, die schon eine sogenannte „Begleitkommission“ zusammengestellt haben. Es gehe darum, in den Verhandlungsprozess einzusteigen und mit potentiellen Investoren eine „Best-Owner-Vereinbarung“ zu schließen, erklärt Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste. Ein erstes Treffen mit der TKMS-Führung ist für nächste Woche anberaumt.

Der Verkaufsplan hängt schon lange in der Luft, mandatiert für den Prozess ist die Deutsche Bank, die bei Thyssenkrupp traditionell stark präsent ist. Mehrere Finanzinvestoren haben Interesse gezeigt, unter ihnen Carlyle und KKR, die beide Erfahrung mit der Rüstungsbranche haben. Wie aus Kreisen verlautet, die mit der Transaktion vertraut sind, ist KKR inzwischen schon wieder draußen.

Ein wesentlicher Knackpunkt sind nach Auskunft mehrerer Quellen Garantien für vergebene Projekte, ähnlich wie das im Anlagenbau mit seinen langen Projektdauern der Fall ist: Zahlt beispielsweise der Auftraggeber eine Anzahlung für ein U-Boot, will er Garantien, dass er angesichts der langen Bau- und Auslieferzeit auch die bestellte Ware bekommt. Solche Garantien von Banken zu bekommen wäre für TKMS in Eigentum eines Finanzinvestors schwieriger als in Konzernbesitz, heißt es. Es sei denn, die Politik gäbe Garantien. Die Finanzinvestoren ebenso wie die Deutsche Bank lehnten Stellungnahmen ab.

Gegenüber strategischen Investoren – etwa Naval aus Frankreich oder Saab aus Schweden – gibt es dem Vernehmen nach Vorbehalte, weil man befürchtet, dass es zu Technologieabfluss kommen könnte. IG-Metall-Mann Friedrich betont, es gehe um die Frage, ob es ein langfristiges strategisches Interesse gebe. „Wir sind da offen, solange auch klar ist, wie bei einem Exit die Mitbestimmung und die Arbeitsplätze geschützt sind“, so Friedrich. Der Bund oder Thyssenkrupp müssten als Ankerinvestor im Boot bleiben, so seine Forderung.