Mann umarmt Scholz: Wie konnte der Kanzler so schutzlos sein?

Das Unbehagen war zu deutlich spüren. Zwar hieß es seitens der Bundesregierung, der „Vorfall“ sei für Bundeskanzler Olaf Scholz „nicht weiter der Rede wert“ gewesen, er habe sich nicht bedroht gefühlt, es habe sich um ein Händeschütteln gehandelt, gefolgt von einer „seltsamen Umarmung“. So reagierten Sprecher der Bundesregierung darauf, dass der Kanzler am späten Mittwochabend auf dem Flugfeld des Frankfurter Flughafens von einem unbekannten Mann, der dort nichts zu suchen hatte, geherzt worden war.

Katharina Iskandar

Verantwortliche Redakteurin für das Ressort „Rhein-Main“ der Sonntagszeitung.

Eckart Lohse

Leiter der Parlamentsredaktion in Berlin.

Jochen Remmert

Flughafenredakteur und Korrespondent Rhein-Main-Süd.

Jenseits dieser beruhigenden Worte räumte die Scholz-Truppe ein, dass sich „natürlich kritische Fragen zur Sicherheit“ stellten. In Berlin will man sich auf detaillierte Schilderungen des Vorgangs nicht einlassen, sondern verweist auf einen Bericht der Zeitung „Bild“. Demnach fuhr Scholz nach seinem Besuch bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am späten Abend in seiner Fahrzeugkolonne zum Flughafen. Die hessische Landespolizei eskortierte den Besuch aus Berlin mit Streifenwagen und Motorrädern.

Im Laufe der Fahrt schloss sich ein privater PKW der Kolonne an, fuhr hinter dem letzten Streifenwagen. So etwas ist im öffentlichen Straßenverkehr kaum zu verhindern. Doch blieb das Fahrzeug offenbar auch dann noch dicht an der Kolonne, als diese aufs Flugfeld fuhr. Die Fahrzeuge, die den Kanzler transportieren, fahren in der Regel schnell und sehr dicht hintereinander, damit sich kein unbefugtes Fahrzeug zwischen sie schiebt. Der Bundeskanzler durchläuft nicht die Sicherheitskontrollen normaler Flugpassagiere, sondern pflegt mit dem Wagen direkt neben seinem Flugzeug zu halten, um dieses rasch besteigen zu können.

Am Mittwochabend saß er allerdings noch eine Weile im Auto und telefonierte. Auch das ist keine Seltenheit. Der Mann, der der Kolonne gefolgt war, wartete ebenfalls und schien immer noch nicht als unbefugter Eindringling erkannt worden zu sein. Als der Kanzler schließlich ausstieg, verließ auch der 48 Jahre alte Mann, der einen griechischen Nachnamen haben soll, sein Fahrzeug und näherte sich Scholz. Händedruck, Umarmung. Dann erst griffen die Personenschützer des Bundeskanzlers ein.

Im Bundesinnenministerium, dem das Bundeskriminalamt unterstellt ist, das für den Schutz des Kanzlers vor allem zuständig ist, hieß es am Freitag, der Vorgang sei „natürlich inakzeptabel“. So etwas dürfe sich nicht wiederholen, man kläre den Vorgang auf. Vorher wollte man sich nicht weiter einlassen. So viel immerhin: Auf Reisen sei der Schutz des Kanzlers ein „kompliziertes Geflecht“, auch die Bundespolizei und die hessische Landespolizei seien einbezogen gewesen.

Ermittlung wegen Hausfriedensbruch

Neben den Bundesbehörden wurden nach dem Vorfall auch die örtlichen Sicherheitsbehörden aktiv. So nahm die Frankfurter Polizei Ermittlungen auf. Wie ein Sprecher sagte, ermittle man gegen den Mann, der dem Kanzler zu nahe kam, wegen Hausfriedensbruchs. Er sei unbefugt auf das Gelände gelangt, da er nicht offiziell zum Konvoi gehörte, hieß es zur Begründung.

Woher der Mann die Route kannte, die der Konvoi auf dem Weg von der EZB zum Flughafen genommen hat und was ihn dazu veranlasste, sich unter die Fahrzeuge zu mischen, ist „Gegenstand der Ermittlungen“, wie es weiter hieß. Dem Vernehmen nach hat die Vernehmung bisher keine schlüssige Erklärung gebracht.

Die drängendste Frage, die sich nun in den Sicherheitsbehörden stellt, ist, wie gut der Personenschutz an diesem Tag tatsächlich aufgestellt war. Der Personenschutz des Bundeskanzlers wird über das Bundeskriminalamt koordiniert. Offenbar aber war es den Beamten nicht aufgefallen, dass sich ein unbefugtes Fahrzeug an den Konvoi gehängt hatte und dann auch mit durch das Tor am Flughafen gefahren war.

Wo war das Vorauskommando?

Wie aus der Polizei zu hören ist, zeigt sich aber noch eine weitere Sicherheitslücke: So hätte der Mann spätestens auf dem Vorfeld abgefangen werden müssen. Es hätte ihm nie gelingen dürfen, so nah an den Kanzler heranzukommen. Ein Beamter, der sich mit den strengen Regularien im Personenschutz auskennt, sagte der F.A.Z., „auch in einem vermeintlich sicheren Umfeld muss immer gewährleistet sein, dass die zu schützende Person nicht Ziel von Angriffen werden kann“. In der Regel gebe es ein sogenanntes Vorauskommando. Das bestehe aus Beamten, die die Örtlichkeit vorher in Augenschein nähmen und absicherten. Diese Beamten seien schon da, wenn ein Konvoi eintreffe. Es müsse daher geklärt werden, ob es in diesem Fall ein solches Vorauskommando gegeben habe.

Offiziell äußern sich der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport AG und die Bundespolizei nur knapp zu dem Vorfall. Man werde die Behörden unterstützen, heißt es bei Fraport. Die Bundespolizei, die den Mann in Gewahrsam genommen hatte, verweist auf die Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes.

Bei Fraport hat der Vorfall dem Vernehmen nach für „erhebliches Kopfschütteln“ gesorgt. Ein solcher Vorgang konterkariere die Sicherheitsbemühungen auf dem Flughafen in der Öffentlichkeit, heißt es. Auch, wenn dieser Vorfall nicht mit den hohen Sicherheitsstandards im regulären Passagierbetrieb zu tun habe.

Am größten deutschen Flughafen kommt es regelmäßig vor, dass Konvois mit ranghohen Personen wie dem Bundeskanzler durch ein Tor direkt auf das Vorfeld fahren, ohne die üblichen Sicherheitsprozeduren zu durchlaufen. Das ist vor allem auf der Südseite des Flughafens leicht zu bewerkstelligen, weil der reguläre Passagierverkehr im Norden über Terminal 1 und 2 abgewickelt wird. Dann allerdings liegt die Verantwortung unmittelbar bei den Sicherheitsbehörden.

Es gibt auch im Norden an Tor 13 einen besonderen Zugang über die Fraport-VIP-Lounge, der oft von Politikern und anderen prominenten Personen genutzt wird, um diskret und sicher ihren Flug zu erreichen oder vom Flughafen in die Stadt zu gelangen. Dort ist es beim Abflug allerdings notwendig, die landseitig genutzten Fahrzeuge zu verlassen, die Sicherheitsschleusen zu passieren und in für das Vorfeld zugelassene Fahrzeuge umzusteigen. Das nimmt allerdings zwangsläufig viel mehr Zeit in Anspruch.

Bei offiziellen Anlässen am Flughafen, bei denen Personen mit hohem Sicherheitsstatus Status avisiert sind, laufen dagegen schon Tage vor dem eigentlichen Termin umfangreiche Sicherheitsprozeduren an, inklusive der Sicherheitsüberprüfung aller Teilnehmenden Personen und dem Einsatz von Sprengstoffsuchhunden.

Source: faz.net