Märchen-Adaption „The Ugly Stepsister“: Ist jener Prinz den Schönheitsterror wert?
Das norwegische Anti-Märchen „The Ugly Stepsister“ macht die bittere Schönheitsmoral der Aschenputtel-Erzählung auf groteske Weise sichtbar
„The Ugly Stepsister“: Elvira (Lea Myren) soll profitabel verheiratet werden
Foto: Marcel Zyskind
Eine mit einem Eisenspaten bearbeitete Nase, auf die Augenlider genähte Wimpern und schließlich die berüchtigten abgehackten Zehen: Es geht äußerst brutal zu in Emilie Blichfeldts Spielfilm-Debüt The Ugly Stepsister. Doch die schmerzlichsten Szenen sind wohl diejenigen, in denen sich Elvira (Lea Myren), die titelgebende „hässliche“ Stiefschwester von Aschenputtel, ihrer Träumerei vom Prinzen Julian (Isac Calmroth) hingibt und sich das Zusammensein in trauter Vereinigung vorstellt. Mit der pastelligen Kostümierung und den einander unschuldig zugeworfenen Blicken erinnern diese Szenen an den tschechischen Märchenfilmklassiker Drei Haselnüsse für Aschenbrödel. In The Ugly Stepsister fügen sie sich als naive Versponnenheit ein, als idealisierte Märchenvorstellung innerhalb eines trostlosen Alptraums.
Denn was Emilie Blichfeldt mit The Ugly Stepsister erzählt, ist ein Anti-Märchen, das die bislang unbeachteten Seiten des Aschenputtel-Originaltextes sichtbar macht. Es beginnt mit dem Familienzusammenschluss, bei dem die schöne Witwe Rebekka (Ane Dahl Torp) den älteren Otto (Ralph Carlsson) ehelicht und sich mit ihren beiden Töchtern Elvira und Alma (Flo Fagerli) bei ihm und dessen Tochter Agnes (Thea Sofie Loch Næss) im Königreich Swedlandia einfindet. Bei der abendlichen Feierei bricht Otto blutspeiend zusammen und hinterlässt der zurückbleibenden Patchwork-Familie nichts als Schulden. Um ihren Lebensstandard zu sichern, beschließt Rebekka ihre Tochter Elvira möglichst profitabel zu verheiraten, doch zuvor muss diese nach den gängigen Schönheitsidealen hergerichtet werden.
Schönheit ist die einzige Währung
Vor Schmerzen schreiend, aber ohne zu klagen lässt Elvira im Folgenden die Malträtierungen über sich ergehen, die in unangenehmen Nahaufnahmen ihren body horror entfalten: Der umtriebige Schönheitschirurg Dr. Esthétique entfernt brachial ihre Zahnklammer und zertrümmert ihr die Nase, auf dass sie gerader werde – ohne Betäubung, versteht sich. Seelische Verletzungen erleidet Elvira anschließend in der Benimmschule von Fräulein Sophie, in der sie und andere Anwärterinnen auf die „wichtigste Nacht ihres Lebens“ vorbereitet werden sollen: den Ball bei Prinz Julian, zu dem sich vermögende Grafen, Barone und Kaufleute einfinden werden. Von der rigorosen Tanzlehrerin wird Elvira, in deren Gesicht nun eine eiserne Nasenschiene prangt, in die hinterste Reihe verbannt, da für die anstehende Aufführung streng nach Schönheit und nicht nach Talent hierarchisiert wird. Ganz vorne darf sich ihre Stiefschwester Agnes aufstellen, deren Grazie angeboren scheint und keiner schmerzhaften Optimierung bedarf.
Auf groteske und bedrückende Weise setzt sich in The Ugly Stepsister das Martyrium Elviras fort. Durchweg wird sie dabei als unmündiges Opfer einer männlich dominierten Welt gezeichnet, in der eng definierte Schönheit die einzige, Frauen zur Verfügung stehende Währung ist. Auf Elviras Aufbegehren hofft man im Verlauf dieses zunehmend düsteren Films vergeblich. Selbst nachdem sich Prinz Julian als vulgärer, frauenfeindlicher Tölpel offenbart, hält sie an der quälenden Selbstoptimierung fest. Letzten Endes hat es Blichfeldt nämlich nicht auf eine Neuinterpretation von Aschenputtel abgesehen, sondern auf einen überfälligen und manch schmerzhafte Einsicht befördernden Perspektivwechsel auf die „andere“ Frau: die Verschmähte, die am Ende des Märchens mit verstümmeltem Fuß zurückbleibt, während wir uns über das vermeintlich moralische Liebesglück von Aschenputtel und ihrem Prinzen freuen sollen.
The Ugly Stepsister Emilie Blichfeldt. Norwegen 2025. 109 Minuten
The Ugly Stepsister Emilie Blichfeldt. Norwegen 2025. 109 Minuten