Madonna: Alternde Frauen – mit welcher Herablassung, welchem Ekel sie behandelt werden

Es gibt eine Handvoll vermeintlich allgemeingültiger Sätze über die Schönheit der Menschen, die so aufgeblasen mit gütiger Belanglosigkeit sind, dass man sie sich mühelos immer wieder gegenseitig sagen kann, ohne dass etwas passiert. „Jeder ist schön auf seine Art“ zum Beispiel. Oder, ein jahrzehntelanger Dauerbrenner: „Man sollte einfach in Würde altern.“ Man kann sich gut fühlen wegen solcher Sätze, sie drücken aus, dass man ein bodenständiges und zugleich philosophisches Verhältnis zum eigenen Verfall hat. Wer in Würde altert, knüpft seine Identität nicht an das eigene Aussehen, sondern behält einen konstanten Selbstwert, unabhängig von sich wandelnden Schönheitsidealen.

Als Madonna vergangene Woche bei den Grammys auftrat, war das genau der Gedanke, den die US-amerikanischen Schnellkonsum-Medien und die sozialen Netzwerke schon wenige Stunden später reproduzierten: Wieso kann diese Frau nicht in Würde altern? Tatsächlich sah Madonna bei ihrem Auftritt etwas anders aus als noch vor ein paar Jahren. Zum Teil liegt das an ihren gebleichten Augenbrauen, viele Frauen machen das gerade, und es sieht meist etwas alienartig aus. Aber Madonnas Gesicht wirkt darüber hinaus auch praller, radikaler gestrafft und aufgefüllt, als könnte sie sich nicht ans Altern gewöhnen und würde von jedem Schönheitseingriff etwas zu viel machen lassen, in der Hoffnung, dass das Ergebnis am Ende zu natürlicher Frische verhilft.

Das eine große Missverständnis ist, dass eine Frau in der Öffentlichkeit in irgendeiner Weise die Möglichkeit hätte, in Würde zu altern. Ausnahmslos jede Frau, die eine Karriere in der Öffentlichkeit hat, ist mit der Tatsache konfrontiert, dass ein Teil des Wertes ihrer Persona mit ihrem Aussehen zu tun hat. Das klingt gewaltvoll, als würde man einen Teil seines inneren Wertes ohnehin kompromittieren müssen, wenn man sich als Frau der Öffentlichkeit stellt. Und genau das ist es auch. Solange der Wert einer Frau zum Teil auch mit ihrem Aussehen zu tun hat, gibt es keine andere Möglichkeit: Sobald sie von gängigen Schönheitsidealen abweicht, wird in den Augen vieler Menschen ihr innerer Wert sinken.

Madonna altert heute, mit leicht überstrafftem Gesicht, kein bisschen würdeloser, als sie es vor zehn oder auch zwanzig Jahren tat, als sich internationale Medien vor Begeisterung immer wieder überschlugen, wie gut sie noch aussehe für ihr Alter. Auch da war das, was in ihrer öffentlichen Persona der Idee von Würde am nächsten kommt, direkt an ihr Aussehen gekoppelt. Das fiel bis vor wenigen Jahren allerdings nicht auf, weil sie aussah, wie sie in den Augen der Gesellschaft idealerweise auszusehen hat, wie sie auch privat aussehen will.

Was durch Madonnas Auftritt bei den Grammys entlarvt wurde: mit welcher Herablassung, mit welchem Ekel und impliziter Unterstellung von Kontrollverlust alternde Frauen behandelt werden. Die Fotos, die von ihrem Auftritt verbreitet wurden, sind absichtlich unvorteilhaft. Von einer jungen Frau hätte niemand solche Bilder weitergereicht, da sie eine Geschichte erzählen, die so eben auch nicht ganz stimmt. Ja, Madonna sieht anders aus als vor ein paar Jahren. Aber Madonna wirkt auf vielen Fotos, die man von den Grammys findet, keineswegs besorgniserregend kaputtgestrafft.

Die Geschichte, die um ihren Auftritt konstruiert wurde, ist die der alternden Frau, der Souveränität und Selbstwahrnehmung abhandengekommen sind. Diese Erzählung ist so gelernt, dass dabei vollständig ignoriert wird, dass Madonna immer wieder bewiesen hat, dass sie sehr wohl weiß, wie sie aussieht. Sie postet immer wieder Fotos von sich selbst auf Instagram, in denen sie die künstlich aufgefüllten und akzentuierten Bereiche ihres Gesichts selbst betont: die vollen Wangen, die katzenartig nach oben gestrafften Augen.

Sieht Madonna also so aus, weil sie weiß, dass sie das eigentliche Schönheitsideal nicht mehr erfüllen kann? Oder hat sie jede Form von Selbstwahrnehmung verloren? Ist sie so dem Jugendwahn verfallen, dass sie lieber unnatürlich als auch nur ansatzweise faltig aussieht?

Am Ende können alle potenziellen Antworten auf diese Fragen egal sein, denn das eigentliche Problem ist ein anderes. Madonna war und ist Teil der Maschinerie, die immer wieder mit der Fantasie kokettiert, Frauen könnten altern, ohne wirklich zu altern. Und es blieb ihr in Hollywood auch keine andere Wahl, weil alternde Frauen in der Öffentlichkeit sowieso nur als lästig gelten, sie nehmen unnötig Platz weg für andere Frauen, die noch so jung sind, dass mehr Männer gerne Sex mit ihnen hätten. Madonna hat jahrzehntelang mit der Fantasie Geld verdient, es wäre möglich, ohne Schönheitseingriffe, ohne Personal Trainer, ohne unendliche Ressourcen, die in die eigene ästhetische Selbsterhaltung fließen, so auszusehen, wie sie bis heute aussieht. Sie altert heute noch genauso würdevoll und würdelos, wie sie es damals tat. Und sie war damals genauso Teil des Problems, dem sie heute zum Opfer fällt. Um aus dieser Maschinerie herauszukommen, müsste man aufhören, sich immer wieder der Illusion hinzugeben, dass das Problem ein paar Milligramm Botox zu viel im Gesicht einer Multimilliardärin seien. Das Problem ist, dass Frauen ihren Wert danach bemessen sehen, wie sexuell verfügbar und interessant sie für Männer sind. Und aus diesem Problem ergibt sich, dass Frauen, die wertvoll bleiben wollen, jung bleiben müssen.

Und jetzt will man direkt noch einen weiteren dieser gütig-belanglosen Sätze über Schönheit hinterherschieben, der in etwa so klingt: „Das mit den Schönheitsidealen ist ja nur in Hollywood so.“ Doch wäre das wahr, und der Ekel vor dem Alter wäre wirklich nur ein Hollywood-Problem, würde uns das Gesicht von Madonna heute nicht weiter interessieren.