Lottomatica und Türkei senden gegenteilige Signale

Nach den Turbulenzen am türkischen Anleihemarkt im März und am amerikanischen Anleihemarkt Anfang April fassen Anleger erkennbar wieder Mut. So hat sich Ende April der Markt für spekulative Unternehmensanleihen wieder geöffnet. Nach drei Wochen Pause gelang es mit der italienischen Lottogesellschaft Lottomatica erstmals wieder einem Unternehmen ohne die für die meisten Anleger erforderliche Bonität (Non-Investmentgrade), eine Anleihe im Volumen von mehr als eine Milliarde Euro zu verkaufen. Für diese „High Yield“-Anleihe mit einer Laufzeit bis 2031 musste Lottomatica einen jährlichen Zins von 4,9 Prozent bieten.
Einer anderen Gruppe von Anlegern scheinen die Turbulenzen in der Türkei und in den USA indes noch in den Knochen zu stecken. Die US-Bank Wells Fargo etwa berichtet, Kunden seien auf der Suche nach sicheren Häfen. Kanadische Anleger etwa würden Geld aus US-Staatsanleihen abziehen und nach Kanada zurückholen („repatriieren“), auch bei japanischen Anlegern sei dies zu beobachten. Der Geschäftsführer der für das Schuldenmanagement Deutschlands verantwortlichen Finanzagentur, Tammo Diemer, meinte indes dieser Tage, Verkäufe von US-Staatsanleihen würden sich in Grenzen halten. Diemer rechnet aber damit, dass nicht jeder Anleger fällig werdende US-Staatsanleihen wieder darin anlegt.
Vielmehr sei zu erwarten, dass internationale Anleger peu à peu mehr Gelder in europäische Staatsanleihen umschichteten. Einen Bedarf für Eurobonds kann Diemer, der für die Bundesregierung mit vielen Anlegern spricht, nicht erkennen. Vielmehr schätzten Anleger, dass sie im Euroraum eine Auswahl an liquiden Staatsanleihen mit etwas unterschiedlicher Bonität hätten – von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien.
Deutschland sieht Diemer gerade auch wegen der hohen Liquidität der Bundesanleihen für tonangebend. Privaten Anlegern indes empfiehlt ausgerechnet der oberste Bundesanleihen-Verkäufer nicht diese Titel, sondern solche der KfW. Denn auch die Anleihen der Staatsbank seien voll garantiert durch Deutschland, wenn auch nicht ganz so liquide. Dafür böten sie je nach Laufzeit etwa 0,3 Prozentpunkte mehr – für Privatanleger, die ihre Anleihen oft ohnehin nicht mehr verkaufen, sondern bis zur Endfälligkeit halten wollten, könnten die höheren Renditen der KFW wichtiger sein als die höhere Liquidität von Bundesanleihen.
Nur kleiner Renditeanstieg nach holpriger Bundeskanzlerwahl
Durch die Wahl von Friedrich Merz im zweiten Wahlgang zum Bundeskanzler dürfte sich auch der politische Schaden für Deutschland an den Anleihemärkten in Grenzen halten. In vielen internationalen Medien ist der Besuch des neuen kanadischen Premierministers und früheren englischen Notenbankchefs Mark Carney bei US-Präsident Donald Trump am Dienstag ohnehin das wichtigere Thema gewesen als die Nicht-Wahl von Merz zum deutschen Bundeskanzler im ersten Wahlgang. Aber eine Stütze für die Kurse deutscher Bundesanleihen ist dieses Zeichen der politischen Instabilität im größten Land des Euroraums natürlich nicht. In einer ersten Reaktion kletterte die Rendite von Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit, die sich gegenläufig zu den Anleihekursen verhält, allerdings nur ganz leicht von 2,52 auf 2,53 Prozent.
Mehr als 30 Prozent Rendite mit Lira-Anleihen
Das sieht in der Türkei ganz anders aus. Die Notenbank in Ankara rechnet mit 24 Prozent Inflation in diesem Jahr. Doch nach Angaben der Commerzbank erwarten die Anleihemarktteilnehmer mindestens 30 Prozent und die privaten Haushalte sogar 50 Prozent Inflation. Leitzinserhöhungen verfehlten ihre übliche stabilisierende Wirkung auf den Wechselkurs der Lira, stellt die Commerzbank fest. Trotz erhöhter Zinsen in der Türkei schichten Anleger aus der Landeswährung offenbar in Euro und Dollar um.
Für eine Lira mussten am Mittwoch 44 Euro bezahlt werden, vor drei Monaten waren weniger als 39 Euro dafür nötig. Eine noch bis März 2031 laufende Lira-Anleihe der Bank for Reconstruction and Development (EBRD), einer von vielen Staaten getragenen Förderbank in London mit erstklassiger Bonität, wirft inklusive jährlicher Zinszahlung von 25 Prozent und angesichts eines niedrigen Kurses von derzeit 84 Prozent eine Rendite von mehr als 32 Prozent ab. Allerdings: Die Zahlung der Zinsen und die Rückzahlung zu 100 Prozent werden in türkischer Lira erfolgen, was in Euro rechnende Anleger unbedingt beachten sollten. Die hohe Rendite zumindest zeigt, dass Anleger es nicht für ausgeschlossen halten, dass es eine Währungsreform in der Türkei geben oder zumindest eine weitere Abwertung der Lira geben wird.
In den USA indes ist nach den Debatten über dauerhafte Tragfähigkeit der Staatsschulden wieder etwas Ruhe eingekehrt. Die Notenbank befinde sich weiter im Dilemma, heißt es von der größten deutschen Fondsgesellschaft DWS. Es gebe einerseits Inflationsdruck, etwa durch den robusten Arbeitsmarkt. Anderseits wüchsen die Rezessionsgefahren. Die US-Investmentbank Goldman Sachs beziffert in ihrem Hauptszenario die Wahrscheinlichkeit, dass die größte Volkswirtschaft der Welt noch in diesem Jahr zu schrumpfen beginnt, auf 45 Prozent. Weder DWS noch Goldman Sachs erwarten, dass die Fed ihre Leitzinsen im Mai weiter senken wird.
Source: faz.net