Literatur: Porträt vom sensiblen Mann
Die bekannte Redewendung „Don’t judge a book by its cover“ ist bekanntlich nicht nur auf Bücher bezogen, sondern meint, dass der Mensch Personen oder Dinge nicht nach ihrem Äußeren bewerten sollte. Warum ist sie so zeitlos aktuell? Weil sie bekanntlich nirgends und nie im Leben durchgängig beherzigt wird.
Ich schreibe deshalb schon seit Langem ein Memo an mich selbst: „Don’t judge a book …“ – Und nur so konnte passieren, dass mir vor ein paar Jahren Joachim Zelters unauffälliger „Roman einer Obsession“ mit dem Titel Im Feld ins Auge fiel, vorne drauf ist ein Rennradfahrer. Die leise Geschichte zog mich sofort in ihren Bann, weshalb ich Zelters neuen Roman neulich sofort beachtete – trotz seines Covers. Staffellauf heißt er (auch Kröner-Verlag). Nicht nur das gediegene Cover, es zeigt eine sommerlich gelbe Villa im Wald im Stil der klassischen Moderne, sondern auch der „sportive“ Titel führten erst in die Irre.
Zelter erzählt diesmal nicht eine Variante von jemandem, der dem Leben und der Liebe mit dem Rennrad jeden Sonntag davonfährt, er erzählt von dem Schriftsteller Jakob Staffelstein, der alle Erwartungen an eine akademische Karriere vom väterlichen Teil der Familie unter äußerst schmerzhaftem emotionalen und intellektuellen Aufwand in den Wind schlägt und Schriftsteller wird. In diesem Buch, es umfasst knapp 200 Seiten, sind eigentlich mehrere Romane enthalten. Worum es auch geht, um all die Romane, die von Jakob Staffelstein geschrieben wurden, nur ausgedacht, nur angefangen, all das erzählt der Autor mit feinster Ironie und zugleich epischem Ernst.
„Wie sind wir geworden, der wir sind? Oder: Wie sind wir nicht geworden, der wir sind – oder gerne sein wollten“, heißt es im Klappentext über das Buch. Staffellauf ist auch eine Hommage an all die Mütter, die sich in den 1960ern in Westdeutschland nicht selbstverwirklichen konnten, ein Heiratsangebot, das sie rundum versorgte, nicht wagten abzulehnen, so wie die Mutter von Jakob Staffelstein, die das Eheleben gegen die Staffelei eintauscht und depressiv wird, wie vermutlich nicht wenige Frauen in dieser Zeit. Zelters Buch ist auch eine Hommage an alle Verleger, die ihrem Autor treu bleiben, auch wenn der große Erfolg ausbleibt. Und nachdem man diesen wunderbaren Roman verschlungen hat, erschließt sich auch das liebevolle Cover. Man sieht die Villa der Staffelsteins in den Vogesen, als hätte Jakob Staffelsteins Mutter sie gemalt.
Spielzeug-Stethoskop auf dem „Munk“-Cover
Jan Weilers neuer Roman Munk zeigt eine anatomische Zeichnung des menschlichen Herzens und eine es auffangende Hand. Man fasste es nicht, mitgeliefert wurde ein Spielzeug-Stethoskop in einem Etui sowie ein Brief vom Autor höchstpersönlich. Erschienen ist Weilers Roman im großen Heyne-Verlag. Don’t judge a book … – Bislang hatte ich gegenüber dem Bestsellerautor sowieso schon gewisse Vorurteile gepflegt. Ich war der Ansicht, der Autor von Das Pubertier schreibe zwar zweifellos süffige, gut zu konsumierende Literatur, aber doch keine Literatur-Literatur.
Das Stethoskop war dann aber doch so erheiternd blöd und irgendwie lieb, ich wurde neugierig. Was soll ich sagen, ein ausgezeichneter Roman! Der titelgebende Munk erleidet in einem Zürcher Kaufhaus plötzlich einen Herzinfarkt. Und der grundsympathische Peter Munk, Architekt, 51 Jahre, gesunder Lebensstil, kriegt in der Reha vom Psychologen den Rat, tief in sein Seelenleben zu blicken. Das macht Munk, anhand der Lieben seines Lebens.