Liberale zweitrangig vorn mit hierbei: Söder hat verdongeln Trend gesetzt: Koalitionsabsagen nehmen zu

Die CSU will nicht mit den Grünen koalieren, die FDP ebenfalls nicht. CDU-Chef Merz sah die Grünen zwar mal als „Hauptgegner“, will sich aber auch nicht der SPD ausliefern. Grüne und SPD stellen derweil schon mal Bedingungen.
Am Freitagabend verschickt Christian Lindner eine Nachricht an seine Fraktion. Im Fraktionschat gab es Streit über das Abstimmungsverhalten von FDP-Abgeordneten, der Parteichef will die Gemüter beruhigen. Aber er hat auch etwas mitzuteilen:“Bei dieser Gelegenheit will ich Euch seelisch darauf vorbereiten, dass ich in der FAS eine Zusammenarbeit mit den Grünen in der nächsten Regierung nach allem, was wir über diese gelernt haben, ausschließen musste. Herzlich, Euer CL“.
Im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, das am Morgen danach veröffentlicht wird, klingt es, als habe der Journalist, der mit Lindner sprach, dem FDP-Vorsitzenden den Ausschluss von möglichen Koalitionen aus der Nase ziehen müssen. „Ich sehe nicht, dass mit den Grünen eine ideologiefreie Energie- und Klimapolitik, eine Wirtschaftswende und neue Realpolitik in der Migration erreichbar wären“, sagt Lindner auf die Frage nach einer Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP. Erst auf Nachfrage, ob man das als Nein verstehen dürfe, wird Lindner deutlich: „Ja. Die FDP wird nach der Bundestagswahl nicht in eine Regierung zusammen mit den Grünen eintreten.“
Eine Koalition oder auch nur eine Zusammenarbeit mit der AfD schließen alle Parteien aus. Ansonsten gilt in Deutschland auch vor Wahlen der Satz, dass demokratische Parteien grundsätzlich immer miteinander sprechfähig sein müssen. Aber normalerweise ist Deutschland auch nicht so polarisiert wie jetzt.
Lindner liegt voll im Trend
Der Ausschluss von Koalitionen ist eine der heißesten Moden dieses Wahlkampfs. Trendsetter war der bayerische Ministerpräsident, CSU-Chef Markus Söder. „Schwarz-Grün isch over“, verkündete er im Sommer 2023. Damals standen die bayerischen Landtagswahlen an; den Wahlkampf führte Söder in erster Linie gegen die Grünen, die, wie er befand, „nicht zu Bayern passen“.
Auf Bundesebene erteilte Söder einer Koalition mit den Grünen ebenfalls eine Absage. Schwarz-Grün scheide für ihn „in jedem Fall“ aus, da sei er „ganz felsenfest klar“, sagte Söder im Dezember. Kürzlich beim CDU-Parteitag sagte Söder, „mit diesen Grünen“ könne man nichts verändern.
Der Verweis auf „diese Grünen“ lässt allerdings nur theoretisch eine Hintertür offen – dafür hat Söder Schwarz-Grün schon zu häufig und zu eindeutig eine Absage erteilt. Vermutlich will er dem CDU-Vorsitzenden mit dieser Hintertür wenigstens rhetorisch entgegenkommen. Denn Friedrich Merz findet Söders Vorgehen ausgesprochen unklug: Nachdem Merz die Grünen im Sommer 2023 mit der Aussage irritiert hatte, diese seien der „Hauptgegner“ der Union, schrieb er im Februar 2024 in einer Rundmail, vor der Wahl werde sich die Union nicht auf einen Koalitionspartner festlegen. Das war ganz ausdrücklich taktisch gemeint: Wer nur noch einen möglichen Koalitionspartner hat, ist in einer schlechten Verhandlungsposition. „Auch eine Koalition darf nicht alternativlos werden“, so Merz damals. Durch Söders Festlegung ist genau das passiert. Man kann Merz‘ brachiales Vorgehen im Bundestag daher auch als Signal an die SPD für spätere Koalitionsverhandlungen verstehen: Kompromisse ja, aber nicht in der Migrationspolitik.
Angst vor der Fünfprozenthürde bei Linken und FDP
Sowohl für Merz als auch für Söder ist die Haltung zu Schwarz-Grün eine taktische Frage. Söder denkt an den Erfolg bei den (bayerischen) Wählern, Merz denkt an Koalitionsgespräche. Für die FDP hängt die Aussicht auf solche Verhandlungen davon ab, dass sie politisch überlebt. Ihrem Parteichef Lindner ist die Absage an die Grünen so wichtig, dass er sie auf dem Parteitag in Potsdam am kommenden Wochenende beschließen lassen will. Natürlich wird das – wie bei der CSU – inhaltlich begründet. „Die Grünen blockieren bei der Migrationspolitik“, sagte Fraktionschef Christian Dürr im Frühstart von ntv. „Und noch viel schlimmer, sage ich ganz offen: Die Grünen machen mittlerweile eine komplett linke Wirtschaftspolitik.“ Aber das Vorgehen hat doch überwiegend einen taktischen Aspekt. Die Botschaft: Wer die Grünen verhindern will, muss FDP wählen. Lindner erhofft sich von der medienwirksamen Abstimmung in Potsdam den nötigen Schwung, um seine Partei noch über die Fünfprozenthürde zu hieven.
CSU und FDP sind nicht die Einzigen, die dem Trend von Koalitionsausschlüssen folgen – sie sind nur besonders entschieden. Nach den Abstimmungen im Bundestag, bei denen die Union die Unterstützung der AfD in Kauf nahm, forderte Linken-Chef Jan van Aken von SPD und Grünen, „eine Koalition unter einem Kanzler Merz auszuschließen“. Man kann wohl davon ausgehen, dass auch diese Forderung einen taktischen Hintergrund hat und vor allem seiner Partei Wähler bringen soll. In seinem Fall nach dem Motto: Wer Merz verhindern will, muss Linke wählen; auch für diese Partei geht es um alles. Aber auch van Aken wird wissen, dass die Bundesrepublik in eine Sackgasse gerät, wenn die Parteien nicht mehr zu Koalitionen bereit sind. Thüringen lässt grüßen.
Auch die Grüne Jugend fordert: Die Grünen müssten eine Koalition mit der CDU/CSU ausschließen, „solange Merz an der Spitze der Union steht“. Der SPD-Nachwuchs ist noch nicht ganz so weit: „Ich bekomme jeden Tag Dutzende Nachrichten von Jusos und aus anderen Teilen der Partei, die mir sagen, dass eine Koalition mit der Union unter Merz ausgeschlossen sein muss“, sagte Juso-Chef Philipp Türmer dem „Spiegel“. Aber noch wolle er sich diese Position nicht zu eigen machen.
Auch sind weder die Grünen noch die SPD zu diesem Schritt bereit. Beide fordern jedoch ein Signal von Merz, einen Fehler gemacht zu haben, als er mit den Stimmen der AfD Anträge und einen Gesetzentwurf vom Bundestag beschließen lassen wollte. „Das muss zurückgenommen werden, zurück auf Los“, sagte Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck dem WDR. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich forderte gar eine Entschuldigung von Merz, wenn auch nicht als Voraussetzung für eine Koalition. Über diese Aussicht spricht die SPD indessen nicht so gern. Offiziell setzt sie weiterhin auf Sieg.
Source: n-tv.de