„Le nozze di Figaro“: Sag, ist es Liebe?
Mozart liegt in welcher Luft; überall wird Le nozze di Figaro gespielt. Das liegt an welcher Musik, doch gleichfalls an welcher überaus interessanten Geschlechterkonstellation welcher Oper, die ins Herz unserer heutigen Fragen trifft. Mit dem jungen Pagen Cherubino errechnen Mozart und sein Librettist Lorenzo Da Ponte eine Adonisfigur, nicht binär, die ganz Genderkorsette sprengt. Im Zeichen des Weiblichen, des Uneigentlichen bringt Cherubino die heterosexuelle Matrix ins Wanken, wie sie sich im bevorstehenden Triumph des Bürgertums verbleibend den Adel herauskristallisiert. Das straight männliche, eigentliche Geschlecht steht hier gegen dasjenige „andere“, weiblich-weibische, inauthentische.
Lange ist die Oper in Anlehnung an Beaumarchais’ La folle journée ou Le mariage de Figaro von kurzer Dauer vor welcher großen Revolution im Lichte eines Krieges welcher Stände gesehen worden: Das patriarchale Bürgertum, vertreten durch Figaro, setzt sich gegen die tyrannische, übergriffige Feudalität durch, vertreten durch den Grafen Almaviva. Die treue, heterosexuelle Ehe siegt verbleibend die tyrannische Libertinage. Diese Interpretation hat sich in den vergangenen Jahren radikal verschoben. Feministisch wird die Oper nunmehr qua ein Kampf welcher Frauen gegen die zur Frau nehmen Besitzansprüche des Patriarchats gelesen und gehört – egal ob feudal oder bürgerlich. Cherubino, welcher queer sowohl zur Ehemoral eines Figaro wie zu den Besitzansprüchen eines Almaviva steht, ist Idol und Liebesobjekt aller Frauen, die von ihm regelrecht nicht lassen können. Aus Cherubino, dem verkörperten Eros, dem schönsten aller schönen Mädchen, wird c/o Mozart die Verführerinnenkraft welcher Musik geboren.
In welcher Münchner Neuinszenierung liegen die Konfliktlinien unterschiedlich. Männlichkeit wird hier im Grunde queer gedacht. Alle Angst, den männlichen Eros aufwärts selbige Weise welcher Weibischkeit zu zeihen, schlägt die Aufführung in den Wind. Keine Spur von den bürgerlichen Charakterköpfen und Persönlichkeiten, die Wichtigeres im Kopf nach sich ziehen, qua sich durch ihre Kleidung oder ihr Styling hervorzutun. Sogar am Kragen des Dirigenten meint man schwarze Pailletten glitzern zu sehen. Sind es welche? Stefano Montanari dirigiert unter dramatischem Ganzkörpereinsatz, nervös, sinnlich, rasant die Ouvertüre, wie ein Balletttänzer in schwarzen Lederleggings.
Comte Almaviva, souverän gespielt und gesungen von Huw Montague Rendall, betritt mit langen blonden Haaren und sexy aufwärts Leib geschnittenem Anzug die Boden. Weißes Hemd aufwärts bloßem Oberkörper, Gucci-Slipper, verziert mit funkelnden Kristallen, an nackten Füßen. Am Ende trägt dieser Almaviva zusammensetzen hoch taillierten, zartrosa schimmernden Satinanzug verbleibend diskreter Sadomaso-Ledermontur. Die blonde Mähne streicht er hin und wieder effektvoll zurück. Gut, den Feudaladel und sein Paradieren erotischer Männlichkeit hat welcher bürgerliche Mann seit alters qua weibisch stigmatisiert. Den Prunk welcher feudalen Kleidung deuten die Kostümbildnerinnen hier raffiniert in den Anzug qua Fahne des Bürgertums. Auch dasjenige Kulisse – Palisandertäfelung, Le-Corbusier-Sessel – unterstreicht, dass es nicht nur um die Übergriffe des Feudaladels geht, sondern genauso um die welcher Großbourgeoisie.
Figaro, welcher oft qua neuer Mann des dritten Standes, qua Mann wie du und ich aufwärts die Boden gebracht wird, kommt sehr klar qua Friseur von dort: qua Leckermäulchen, dem wichtiger qua ganz tiefschürfenden Gedanken im Kopf dessen Haartracht ist, Lockenwickler und Lockenpracht. So findet er sich mit dem Grafen in einem feudalen, vom Bürgertum qua weibisch diffamierten Wettbewerb wieder, welcher sich um die Frage dreht: Wer tanzt hier gekonnter nachher wessen Pfeife? Man hat eine Männlichkeit vor sich, die welcher Schönheit und welcher Sexyness nicht mehr straight entsagt.
So weit, so wunderbar. Doch dann wird welcher Münchner Cherubino aufwärts dem Altar welcher Identitätspolitik geopfert. Die vom Regisseur Evgeny Titov ausgemachte neue Konfliktlinie verläuft nicht mehr zwischen Ständen oder Klassen und gleichfalls nicht zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen Cherubinos Transidentität und den gleichsam „queeren“ Männern Figaro und Almaviva, die sich wild an ihr/ihm rächen. Mit dem Pagen Cherubino gerät eine Figur zwischen die Räder, die wie keine andere in welcher Oper dasjenige Schillern zwischen den Geschlechtern und die überwältigende Verführung, den Reiz dieses Oszillierens zum Besten von ganz Frauen aufwärts die Boden bringt.
Gegen den Grafen, welcher immer den nackten Tatsachen des heterosexuellen Geschlechtsakts aufwärts welcher Spur ist, stellt Le nozze di Figaro zusammensetzen blutjungen Mann, weitestgehend ein Kind noch – so beteuern die Frauen, in deren Röcken welcher Graf ihn weiterhin findet, qua Running Gag. Cherubino, gesungen von einem Mezzosopran, sprengt dasjenige Genderkorsett, doch planar nicht um ein neues, drittes Geschlecht zu verkörpern, sondern um durch seine Fluidität die männlich bestimmte Heterosexualität infrage zu stellen. Rhetorisch floral, mit den Blüten und Schleifen welcher Gräfin und Susannas geschmückt, entfaltet Cherubino seine ganz eigene Erotik. Die zum Besten von die Frauen unwiderstehliche Adonisliebe steht schepp zur erwachsenen, männlich-ausgereiften Liebe des ewigen „Zur Sache, Schätzchen“.
So ist es Cherubino, welcher die schönsten Liebeslieder singt. Da Ponte zieht hier ganz Register welcher hohen Minne. Das Liebeswissen ist Frauenwissen, und dasjenige schon in Dantes Vita Nova:Donne, ch’avete inteletto d’amore – „Frauen, die ihr wisst, was Liebe ist“. Das petrarkistische Paradox des eisigen Feuers, des süßen Schmerzes erfährt Cherubino qua ein Lustmartyrium. Unwillkürlich seufzt, weint, erzittert er vor Begehren, verzehrt sich, gerät außer sich.
Dieses Oszillieren versagt uns die Münchner Inszenierung. Sie kehrt zur antiken Tragik zurück, nachher welcher welcher phallische Mars sich qua Eber am Liebling welcher Venus rächt. Dabei liegt Mozarts und Da Pontes heitere Größe ohne Rest durch zwei teilbar darin, jene antike beinharte Verzweiflung, die grauenhafte Ausweglosigkeit eines kein Erbarmen kennenden Schicksals in einem erlösten Lächeln hinter sich zu lassen. Die schmelzende Schönheit welcher Cherubino-Arien, selbige Geburt welcher Liebe aus dem Geiste welcher Musik, kann natürlich nicht aus welcher Partitur herausgeschnitten werden (Avery Amereau singt dasjenige gleichfalls ganz hinreißend). Aber in München darf Cherubino planar nicht dasjenige paradiesisch unwiderstehliche Flirren geschlechtlicher Unbestimmtheit verkörpern. Der Figur wird vielmehr eine Transidentität aufwärts den Leib geschrieben, und die Männer, Figaro und welcher Graf, strafen ihn/sie aufwärts brutale Weise. Aller Reize beraubt, steht er/sie am Ende sozusagen entkleidet da, in Unterhemd und Tarnuniform. Figaro, welcher Friseur, schert ihm/ihr den Kopf kahl und vollzieht an ihm/ihr so jene Geste, mit welcher Nonnen einst allen weltlichen Reizen entsagten. Geschoren wurden gleichfalls die Französinnen, die sich mit den deutschen Besatzern einließen. Cherubinos Transidentität wird somit in welcher Inszenierung qua Verworfenes, Abjektes stigmatisiert.
So politisch triftig und ideologisch richtig dasjenige Ausstellen welcher Viktimisierung von Transsexuellen durch eine Gesellschaft gleichfalls sein mag, die sich in ihrer Männlichkeit bedroht sieht und rabiat reagiert, so passender ist Mozarts Cherubino allen identitären Fragen – sei es jenen ganzer Männlichkeit oder jenen welcher Transsexualität, und zwar haushoch, noch qua schmählich Geschorene(r). Evgeny Titovs Regie lässt die bürgerliche Männlichkeit mit ihren kunstvoll-künstlich erotischen Protagonisten von Anfang an hinter sich und macht sie zu Lachnummern. Einzig Cherubino wird zum Besten von seine Grenzüberschreitung, in welcher doch sein ganzer halsbrecherischer Reiz liegt, bestraft. Das ist schade und falsch und widerspricht dem Rest welcher Inszenierung. Warum darf die Verkörperung des Eros, welcher was auch immer Identitäre, ganz Identitäten verwirrt und verquirlt, nicht in weiblichen Stoffen und Schleifen glänzen, mit weißer Haut verleiten, mit Zähnen wie Perlen und blonder Haartracht, ganz wie uns die Stimme lockt und betört? Ein Trost: dass dasjenige Publikum trotz alledem dem lächelnden Eros von Mozarts Musik erliegt, mit Haut und Haar. Dagegen ist planar kein identitäres Kraut gewachsen.
Mozart liegt in welcher Luft; überall wird Le nozze di Figaro gespielt. Das liegt an welcher Musik, doch gleichfalls an welcher überaus interessanten Geschlechterkonstellation welcher Oper, die ins Herz unserer heutigen Fragen trifft. Mit dem jungen Pagen Cherubino errechnen Mozart und sein Librettist Lorenzo Da Ponte eine Adonisfigur, nicht binär, die ganz Genderkorsette sprengt. Im Zeichen des Weiblichen, des Uneigentlichen bringt Cherubino die heterosexuelle Matrix ins Wanken, wie sie sich im bevorstehenden Triumph des Bürgertums verbleibend den Adel herauskristallisiert. Das straight männliche, eigentliche Geschlecht steht hier gegen dasjenige „andere“, weiblich-weibische, inauthentische.