(laut) | Theater planen Jahre vorn, nun sollen in zwei Wochen Kürzungen stillstehen: Geht’s noch, Joe?
Die Schauspielerinnen Linda Pöppel und Carolin Haupt kämpfen im EnsembleBündnisBerlin gegen die Kürzungen, die der Berliner Senat im Kulturbereich beschlossen hat. Und warnen vor den Folgen für die Stadt. Ein Appell in Dialogform
Carolin Haupt: Die Kraft von Kunst und Kultur, Mauern zu überwinden, gerade in Berlin, lässt sich im Kleinen ganz gut an unserem Netzwerk sehen: Du, Linda, bist im Westen Berlins aufgewachsen, ich im Osten Berlins. Während du viele Jahre im Osten der Stadt gewirkt hast am Deutschen Theater, spiele ich im Westen Berlins an der Schaubühne, vernetzt sind wir über das EnsembleBündnisBerlin.
Linda Pöppel: Ja, wir beide durften inmitten der kulturellen Vielfalt Berlins aufwachsen, sie hat uns geprägt bis hin zur Berufswahl. Wir haben erleben dürfen, was nun für kommende Generationen bedroht ist. Denn wir stehen vor der drohenden Zerstörung einer international einmaligen Kulturlandschaft, die auf der Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO steht. Diese Kultur-Landschaft meint nicht einen einzelnen Baum, ein Prestigeobjekt mit Strahlkraft, sondern einen lebendigen Organismus, ein sensibles Geflecht. In einer Zeit, in der sich immer weiter verbarrikadiert und abgeschottet wird, sich der zwischenmenschliche Austausch immer weiter ins Digitale verlagert, halten wir die Türen offen und bieten Orte der Begegnung, Orte, an denen wir unsere Empathiefähigkeit erleben und entwickeln können, Orte der Demokratie, an denen wir uns gegenseitig auszuhalten lernen und Utopien eines Miteinanders entwickeln, welche wir unter Teilhabe Aller auf den Bühnen Berlins erproben.
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Carolin Haupt: Die Früchte unserer Arbeit sind zugleich der Boden für eine friedliche, solidarische und resiliente Gesellschaft – dieses Ökosystem nun willentlich zu zerstören, ist nur zu interpretieren als neoliberaler Versuch, mithilfe von Werkzeugen der Austeritätspolitik den Sozialstaat weiter abzubauen. Dabei ist die Kultur nur der Anfang – öffentliche Bereiche werden im Kampf um Mittel gegeneinander ausgespielt und durch drohende Insolvenzen gezwungen, radikale betriebliche Umstrukturierungen im Sinne der Effizienz und Reduzierung vorzunehmen. Wie Unternehmen der freien Wirtschaft, die profitorientiert und ohne gesellschaftlichen Auftrag arbeiten. Wirtschaftlichkeit als Kürzungsargument verliert an Glaubwürdigkeit, wenn die über 900 Millionen Euro rückständigen Steuereinnahmen in der Debatte um die Konsolidierung des Berliner Haushalts nahezu unerwähnt bleiben. Der größte Posten darunter sind nicht gezahlte Unternehmenssteuern.
Opernhäuser planen vier Jahre im Voraus, nun sollen sie Kürzungen in zwei Wochen umsetzen
Linda Pöppel: Die Kürzungen sollen ja zum 1. Januar 2025 umgesetzt werden: eine wahnwitzige Zeitspanne, da erst am 19. Dezember bekannt gegeben wird, wie viel genau eingespart werden soll. Den Institutionen blieben zwei Wochen Zeit, ihre Programme gemäß den beschlossenen Kürzungen einzudampfen: Ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man bedenkt, dass in Opern- und Theaterhäusern oft drei oder sogar vier Jahre im Voraus geplant wird. Wir hören bereits von radikalen Einschränkungen der Spielpläne, Zusammenlegung von Bühnen- und Kostümbildern sowie der Reduktion von Nachwuchsförderung.
Carolin Haupt: Was fangen wir nun mit den verbleibenden Wochen bis zum Beschluss noch an? Uns am Trauermarsch des Bundesverbands Bildender Künstler*innen (BBK) am Neptunbrunnen beteiligen, wo am 29.11. die Berliner Kultur symbolisch zu Grabe getragen werden soll?
Linda Pöppel: Sicher, alle Handlungsspielräume müssen jetzt genutzt werden, um das Schlimmste abzuwenden – wir arbeiten mit Hochdruck daran, unser Netzwerk des EnsembleBündnisBerlin ein weiteres Mal auszuweiten und bundesweit KollegInnen in unseren Protest mit einzubinden.
Carolin Haupt: Den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner sollen derzeit internationale Aufrufe erreichen, die einmalige Kulturlandschaft Berlins nicht zu zerschlagen, und es soll sogar Wirkung zeigen, erinnert es ihn doch daran, dass sich Kultur und Kunst auch wunderbar verwerten lassen. Sollte uns dieses neoliberale Missverständnis auf den letzten Metern gar in die Hände spielen?!
Linda Pöppel: In jedem Fall können nur immer stabilere Netzwerke dagegen Abhilfe schaffen. WIDER DIE VEREINZELUNG – wir lassen uns nicht darauf ein, Kultur- und Sozialressorts gegeneinander auszuspielen. Wer hier kürzt, verkleinert den Raum für Solidarität und Gemeinschaft, für kollektive Zuversicht, gesellschaftliche Transformation und für gelebte Demokratie.
Das EnsembleBündnisBerlin (EBB) wurde 2021 gegründet, initiierte die Aktion WAHLVERWANDT anlässlich der Brandenburger Landtagswahl 2024, war Mitorganisatorin der Demo #berlinistkultur am Brandenburger Tor und Mitwirkende des rbb-Soli-Konzerts im Haus der Berliner Festspiele. Linda Pöppel und Carolin Haupt sind Schauspielerinnen und Gründungsmitglieder des EBB