Kursk: Nato billigt erstmals Vorstoß welcher Ukraine nachher Russland – WELT

Nach Ansicht von Nato-Generalsekretär Stoltenberg endet das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung nicht an der russischen Grenze. Gegenüber WELT AM SONNTAG weist er Vorwürfe zurück, wonach das Bündnis über die Kursk-Offensive informiert gewesen sei. Ein neuer Waffentypus bereitet ihm Sorge.

Die Nato erklärt erstmals, dass sie den Vorstoß der ukrainischen Streitkräfte in die Region Kursk, die zu Russland gehört, billigt. „Russland führt seit mehr als 900 Tagen einen grundlosen Aggressionskrieg gegen die Ukraine und hat seitdem zahlreiche Angriffe von der Region Kursk aus über die Grenze gegen die Ukraine durchgeführt. Die russischen Soldaten, Panzer und Stützpunkte sind nach internationalem Recht legitime Ziele“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg WELT AM SONNTAG.

Die Ukraine habe das Recht, sich zu verteidigen. „Und gemäß dem internationalen Recht hört dieses Recht an der Grenze (zu Russland; d. Red.) nicht auf“, erklärte der frühere norwegische Ministerpräsident. Zudem habe der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj deutlich gemacht, dass die Kursk-Operation dazu diene, eine Pufferzone zu errichten, um Russland von weiteren Angriffen über die Grenze abzuhalten. Natürlich beinhalte die Kursk-Offensive, wie alle anderen militärischen Operationen auch, Risiken. „Aber es ist die Entscheidung der Ukraine, wie sie sich verteidigt“, so Stoltenberg.

Mit Blick auf Vorwürfe seitens des Kremls, der Westen sei zuvor über den Angriff auf russisches Gebiet informiert worden, betonte der Nato-Chef: „Die Ukraine hat ihre Planung für die Kursk-Offensive nicht vorher mit der Nato abgesprochen. Insofern spielte die Nato dabei keine Rolle.“

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Als eine Reaktion auf den Angriff Russlands gegen die Ukraine im Februar 2022 waren ukrainische Streitkräfte Anfang August dieses Jahres in den russischen Verwaltungsbezirk Kursk nahe der Grenze zur Ukraine vorgestoßen. Bis zum 27. August hatte die ukrainische Armee nach Angaben von Oberbefehlshaber Oleksandr Syrskyj rund 1300 Quadratkilometer russisches Staatsgebiet erobert. Dabei kamen offenbar auch westliche Waffen, wie Marder-Schützenpanzer aus Deutschland, Kampfpanzer vom Typ Challenger aus Großbritannien und das auf Lastwagen montierte Mehrfachraketen-Artilleriesystem Himars mit einer Reichweite von bis zu 480 Kilometern aus den USA, zum Einsatz.

In dieser Woche hatte bereits der sogenannte Nato-Ukraine-Rat auf Ebene der Botschafter getagt. Während des Treffens haben die Alliierten Russlands „willkürliche Angriffe“ scharf verurteilt und ihre Bereitschaft, die Verteidigung der Ukraine zu stärken, erneut bekräftigt, sagte Stoltenberg: „Ich begrüße Deutschlands klares Bekenntnis, der größte militärische Geber in Europa und zugleich der zweitgrößte Geber in der Welt für die Ukraine zu bleiben.“

Aber damit sich die Ukraine weiter verteidigen und am Ende siegen könne, sei mehr Unterstützung seitens der Alliierten notwendig. „Dies ist lebenswichtig, damit die Ukraine die russische Invasion abwehren kann“, sagte Stoltenberg, der Anfang Oktober nach zehn Jahren an der Spitze der westlichen Verteidigungsallianz aus dem Amt scheiden wird. Sein Nachfolger wird der frühere Ministerpräsident der Niederlande, der liberale Politiker Mark Rutte.

Zweifel an der Ampelkoalition

Zuvor hatte es kurzfristig nach den Haushaltsberatungen in Deutschland Zweifel an der weiteren Bereitschaft der Ampelkoalition gegeben, die Ukraine auch nachhaltig über Jahre massiv zu unterstützen. Diesen Spekulationen erteilte Kanzler Olaf Scholz (SPD) aber eine klare Absage und sicherte unverminderte Hilfsleistungen zu: „Wie werden die Ukraine so lange unterstützen, wie das notwendig ist. Und wir werden der größte nationale Unterstützer der Ukraine in Europa sein.“

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„Nur die USA leistet mehr als große Weltmacht“, sagte Scholz bei einem Besuch in Moldau vor wenigen Tagen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bestätigte ihrerseits am Rande eines EU-Außenministertreffens, dass Berlin bis zum Jahresende vier weitere Luftabwehrsysteme vom Typ Iris-T liefern will sowie Gepard-Flugabwehrpanzer.

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Ausdrücklich hob Stoltenberg im Ukraine-Krieg die Bedeutung von Satelliten hervor. In der Ukraine würden Drohnenbilder vom Schlachtfeld von Satelliten an die Kriegsparteien weitergeleitet. „Der Weltraum ist zunehmend umkämpft, weil er lebenswichtig ist für die globalen Volkswirtschaften und die weltweite Sicherheit“, sagte der Nato-Chef. Russland und China würden stark in sogenannte Anti-Satelliten-Waffen, die darauf ausgerichtet sind, im Orbit befindliche Satelliten zu zerstören, investieren.

Die Nato beschleunige darum die Integration des Weltraums in ihre Verteidigungspläne, in Übungen und Operationen. Einige Mitgliedstaaten hätten eigene Weltraumkommandos aufgebaut, außerdem würden Weltraumdaten unter den Alliierten mittlerweile stärker ausgetauscht.

Stoltenberg warnte auch vor neuen nuklearen Anti-Satelliten-Waffen, die im Weltraum gezündet werden können. Diese Waffen sind in der Lage, mittels einer Explosion hunderte Satelliten auf einer niedrigen Erdumlaufbahn – also in einer Höhe von 200 bis 2000 Kilometern – unbrauchbar zu machen. Die US-Regierung hatte bereits im Februar bestätigt, dass Moskau dabei sei, eine solche Waffe zu entwickeln. Stoltenberg: „Berichte darüber, dass Russland an einer nuklearen Anti-Satelliten-Waffe arbeitet, sind ein Grund zur Sorge. Ein solcher Einsatz wäre ruchlos, gefährlich und unverantwortlich.“

Christoph B. Schiltz ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet unter anderem über die EU, die Nato und Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Hier finden Sie seine Artikel.

Source: welt.de