K+Schwefel-Chef Christian Meyer: „Sonst entscheidet Putin, ob wir satt werden“

Herr Meyer, Sie führen das größte deutsche Bergbauunternehmen K+S. Was tun Sie gegen die Abhängigkeit von Rohstoffimporten, die zunehmend als ein Sicherheitsrisiko für Deutschland wahrgenommen wird?

Wir fördern Salze, die unter anderem in der chemischen und pharmazeutischen Industrie als Grundstoffe benötigt werden. Außerdem Kaliumchlorid, das als Düngemittel für die Landwirtschaft unverzichtbar ist. Sogar für die Blutwäsche von Dialysepatienten braucht man ein spezielles Kalisalz. Damit spielen wir schon eine wichtige Rolle für die nationale Sicherheit – auch wenn es in der Politik dabei meistens um andere Dinge geht, etwa um die Seltenen Erden, die wir in Deutschland kaum haben.

Im „Critical Materials Act“ der EU kommt Kalium nicht vor.

Der Rest der Welt hat längst verstanden, dass Kalium auch ein kritisches Mineral ist. Nur Europa nicht. Dabei ist es ein überlebenswichtiger Rohstoff, mit dem wir uns komplett selbst versorgen können, aus Lagerstätten mitten in Deutschland. Und es geht wohlgemerkt nicht um eine Zutat für irgendwelche Luxusprodukte, sondern um unsere Ernährung. Das sollten wir nicht aufgeben. Sonst entscheidet eines Tages Putin, ob auf unseren Äckern noch genug wächst, dass wir satt werden.

Besteht die Gefahr, dass es so kommt?

Zurzeit decken wir etwa die Hälfte des europäischen Bedarfs aus unseren deutschen Werken. Dazu kommen Importe aus Israel, Kanada und Russland.

Kann Putin damit ungestört seine Kriegskasse füllen?

Es gibt für russisches Kalium in der EU eine Mengenbeschränkung von rund 800.000 Tonnen im Jahr. Das ist die einzige Einschränkung. Teile des Landhandels in der EU, aber vor allem im Rest der Welt kaufen russisches Kalium wie vor dem Ukrainekrieg. Und wir stehen im Wettbewerb mit Unternehmen, die deutlich günstigere Rahmenbedingungen vorfinden als wir hierzulande.

Was meinen Sie damit?

Zum einen die viel niedrigeren Energiepreise, die für den Bergbau selbst und für die Weiterverarbeitung der Rohstoffe eine große Rolle spielen. Ich kann das beurteilen, weil wir seit 2017 auch einen Standort in Kanada betreiben. In Deutschland bezahlen wir sechs- bis zehnmal so viel für Energie wie dort. Zum anderen die Bürokratie. Nehmen Sie die Rückstandshalden. In Kanada dauert es vier Wochen von der Antragstellung bis zur Genehmigung zur Errichtung einer neuen Halde. In Deutschland dauert das Verfahren allein für die Erweiterung einer bestehenden Halde bis zu zwölf Jahre.

Soll das ein Scherz sein?

Leider nicht. Wir machen seit Jahren Vorschläge, wie sich ein solcher Genehmigungsprozess deutlich verkürzen ließe. Das würde den Staat nichts kosten, es wäre haushaltsneutrale Industriepolitik. Zurzeit gibt es einfach zu viele verschiedene Instanzen, die sich alle viel Zeit für ihre Entscheidungen nehmen. Die können dann wieder beklagt werden, bevor am Ende die Aufsichtsbehörde den Stempel draufsetzt. Und weil das alles so lange dauert, müssen wir unsere Unterlagen im Laufe dieses Prozesses immer wieder überarbeiten, um zwischenzeitlich erfolgte Neuentwicklungen zu berücksichtigen.

Sind Ihnen die deutschen Umweltauflagen zu streng?

Darum geht es nicht. In Kanada sind die Anforderungen auch hoch. Aber es wäre ermutigend, wenn es uns in Deutschland nicht ganz so schwer gemacht würde. Wir haben unseren CO2-Ausstoß seit 1990 um rund 80 Prozent gesenkt. Jetzt sind wir bei den letzten 20 Prozent. Die kosten richtig viel Geld. Wir scheuen das nicht. An der Werra investieren wir gerade 600 Millionen Euro, um den Energieverbrauch, das Abwasseraufkommen und die Aufhaldung zu verringern, aber auch, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Für diese Investition haben wir uns um eine staatliche Förderung bemüht.

Wurde Ihr Antrag abgelehnt?

So weit kam es leider gar nicht. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds Ende 2023 gab es massive Verzögerungen beim Förderaufruf. Irgendwann mussten wir auch ohne einen Förderbescheid anfangen mit dem Projekt. Und wenn man erst mal angefangen hat, dann ist man nicht mehr förderwürdig.

Wer anfängt, wird bestraft?

In Deutschland ist das leider viel zu oft genau so. Die neue Bundesregierung hat zwar versprochen, dass sich das gründlich ändern soll. Aber bisher hat sich da noch viel zu wenig getan.

Christian Meyer kam 2023 zu K+S, seit diesem Juli steht er an der Spitze des Konzerns.
Christian Meyer kam 2023 zu K+S, seit diesem Juli steht er an der Spitze des Konzerns.Stefan Nieland

Ganz so schlimm kann es nicht sein. K+S erzielt Jahr für Jahr Gewinne.

Wir schauen vor allem auf den freien Cashflow, und bei den aktuellen niedrigen Kalipreisen bleibt da nicht viel übrig. Wir können vor lauter behördlichen Auflagen kaum noch atmen, wir sind an der Grenze zur Unwirtschaftlichkeit angekommen.

Jetzt übertreiben Sie.

Nein. Von der EU kommen im Monatstakt neue Auflagen. Die meisten neu geschaffenen Stellen bei K+S hängen mit Auflagen der Behörden zusammen. Am Kapitalmarkt werden wir hin und wieder gefragt, ob wir des Wahnsinns sind, weil wir in Deutschland produzieren. Dann antworte ich gewöhnlich: Unsere Rohstoffe können wir nun mal nicht irgendwo anders hin mitnehmen. Unser Glück ist, dass die deutschen Kalilagerstätten eine ganz bestimmte Mineralienmischung enthalten. Damit können wir Spezialitäten produzieren, die etwa für den Wein- und Gemüseanbau vorteilhaft sind. Bei der Standardware, Kaliumchlorid für den Weizen-, Mais- oder Sojaanbau, könnten unsere Wettbewerber uns unterbieten. Bei den Spezialitäten nicht, weil nur wir sie anbieten können.

Die Seilfahrt zum Arbeitsplatz in die Tiefe dauert für die Bergleute in Neuhof-Ellers 90 Sekunden.
Die Seilfahrt zum Arbeitsplatz in die Tiefe dauert für die Bergleute in Neuhof-Ellers 90 Sekunden.Stefan Nieland

Neulich wurde in Schweden ein großes Vorkommen Seltener Erden entdeckt. Wie groß ist die Chance auf so eine Überraschung in Deutschland?

Ich halte sie für sehr gering. Wir wissen schon ziemlich genau, was bei uns im Boden liegt. Und wenn man doch noch etwas Neues findet, stellt sich die Frage, ob es wirtschaftlich zu gewinnen ist. Das ist ja auch die große Herausforderung bei den Lithiumvorkommen, die es im Rheingraben gibt.

Dort mühen sich Start-ups um die Förderung. Wäre das nicht eine schöne Aufgabe für K+S mit seiner großen bergmännischen Tradition?

Nein, da sehe ich uns nicht. Das bergmännische Know-how dafür hätten wir zwar. Ich möchte auch nicht ausschließen, dass wir eines Tages außer Kalium und Salz noch andere Rohstoffe fördern werden. Erstens haben wir jetzt aber unser erwähntes Großprojekt an der Werra, das uns noch eine Weile beschäftigen wird. Zweitens stellt sich für mich die Frage, ob in den meisten Elektroautos in zwanzig Jahren überhaupt noch jene Lithiumbatterien stecken werden, die jetzt das große Interesse an diesem Rohstoff hervorgerufen haben, oder ob es dann nicht längst Salzbatterien sind. Dafür haben wir das richtige Material schon heute im Sortiment.

Und wenn es doch noch zu einem Sensationsfund käme: Hätten wir in Europa überhaupt das Wissen, um etwa Seltene Erden aufzubereiten?

Das würden wir technisch bestimmt hinbekommen. Auch wenn es ganz andere Prozesse sind als bei den Salzen, mit denen wir es zu tun haben. Größere Schwierigkeiten als das technische Verfahren dürften die Genehmigung und die gesellschaftliche Akzeptanz für so eine Anlage machen, vor allem wegen der damit verbundenen Folgen für die Umwelt. Wir bekommen unter den derzeitigen Rahmenbedingungen in Deutschland nicht mal die Trasse für eine neue Zugstrecke von Hannover nach Hamburg genehmigt, von Wind- und Solarparks zu schweigen. Wie sollte es dann mit so einer Fabrik klappen?

Auf dem „Monte Kali“, der Abraumhalde des Bergwerks
Auf dem „Monte Kali“, der Abraumhalde des BergwerksStefan Nieland

Lassen Sie uns trotzdem überschlagen: Wie lange würde es dauern und wie teuer wäre es, ein Bergwerk auf der grünen Wiese neu anzulegen?

Das ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Das größte Bergbauunternehmen der Welt, BHP Billiton, hat 2010 mit der Erschließung einer neuen Kalimine in Kanada angefangen. Inzwischen beläuft sich die Investition dort auf etwa zwölf Milliarden Dollar, und die erste Tonne Kalium wird vermutlich erst übernächstes Jahr gefördert. Das heißt, es dauert rund zwanzig Jahre, bis das erste Geld zurückfließt. In der Rohstoffgewinnung zählt wirklich ein langer Atem. Das ist ganz anders als etwa mit einer Handyfabrik, die gleich nach ihrer Inbetriebnahme die ersten Smartphones fertig hat. Das erklärt auch, warum so viele Bergbaupläne wieder in der Schublade verschwinden. Von den 160 Projekten für neue Kalibergwerke, die 2010 kursierten, sind gerade mal vier verwirklicht worden. Eines davon ist unser Werk in Kanada.

Vielleicht geht es besser, wenn sich der Staat beteiligt, wie es die USA gerade bei einem Produzenten von Seltenen Erden tun. Halten Sie das für eine nachahmenswerte Idee?

Nein. Ich glaube auch, dass die Amerikaner da an ihre Grenzen stoßen werden. Der Staat ist nach meiner Überzeugung meistens nicht der beste Investor. Wichtig ist Unterstützung durch gute Rahmenbedingungen. Darauf sollten sich Staaten konzentrieren.

Im Kriegs- oder Krisenfall sollen Unternehmen und staatliche Stellen allerdings eng zusammenarbeiten. Wissen Sie schon, welche Rolle Ihren Bergwerken im sogenannten Operationsplan Deutschland zukommt, der dafür entwickelt wurde? Würden die Bergwerke dann zu Schutzbunkern für die Bevölkerung umfunktioniert?

Die Bergwerke sind dafür nicht ausgelegt. Wir sind bis zu 1200 Meter unter der Erde, und der Zugang ist durch einen relativ schmalen Schacht beschränkt. Außerdem käme es auf unsere Produkte im Ernstfall ja erst recht an. Wir würden also ziemlich sicher weiter Kalidüngemittel und Salze produzieren sollen, so gut es geht.