Kriegskonjunktur: Rüstungsboom verdrängt schwächelnde Autoindustrie

Mit der „Zeitenwende“ von 2022 hat sich die Rüstungs- zu einer Schlüsselindustrie entwickelt. Die Umsatzzahlen großer deutscher Konzerne wie Rheinmetall, Airbus Defence and Space, KNDS, Thyssenkrupp Marine Systems, Hensoldt, Diehl Defence, Renk und MTU Aero Engines explodieren geradezu. Zwischen 2020 und Mitte 2025 verzeichnete etwa die Rheinmetall-Aktie einen spektakulären Anstieg von etwa 87 auf über 1.700 Euro.

Auch das Verhältnis von Politik und Rüstungsindustrie hat sich intensiviert, ist es doch erklärtes Ziel der Politik, mit verbesserten staatlichen Rahmensetzungen die Rüstungsindustrie zu fördern und rasch wachsen zu lassen.

VW zeigt sich offen für die Umnutzung seiner Werke

Die Phrase Rüstung statt Autos“ macht die Runde und zeigt an, dass eine wachsende Rüstungs- mit einer schwächelnden Automobilindustrie konkurriert, indem sie Fachkräfte, Know-how und Kapazitäten von dort übernimmt und umnutzt. So prüft Rheinmetall die Übernahme stillgelegter Automobilwerke, um diese für die Produktion von Militärfahrzeugen und -komponenten umzurüsten.

Volkswagen zeigt sich offen für die Umnutzung seiner Werke, etwa in Osnabrück für die Rüstungsproduktion durch ein Joint Venture mit der MAN Truck & Bus. Auch Automobil-Zulieferer suchen den Ausbau ihrer Geschäftsfelder in der Rüstungsbranche, indem sie ebenfalls Fachkräfte und Produktionskapazitäten anbieten.

Die Mitgliederzahl des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) ist von 70 im Jahr 2017 auf 340 Unternehmen 2025 angestiegen. In der Öffentlichkeit hat sich die Wahrnehmung der Branche deutlich verändert. Eröffnungen von Produktionsstätten werden in der Presse gefeiert, politische Entscheidungsträger schmücken sich damit.

Soll Borussia Dortmund der Rüstungsindustrie Werbeflächen zubilligen?

Im Juli 2024 wurde bekannt, dass Rheinmetall millionenschwerer Sponsor beim Bundesligisten Borussia Dortmund werden soll. Die Partnerschaft soll eine Laufzeit von drei Jahren haben und zu reichweitenstarken Werbeflächen verhelfen sowie Vermarktungsrechte im Stadion wie auf dem Vereinsgelände umfassen. Unter Anhängern und Mitgliedern von Borussia Dortmund sorgte das für heftigen Protest.

Die Mitgliederversammlung votierte inzwischen deutlich gegen diesen Werbedeal. Von 855 anwesenden Mitgliedern stimmten 556 für das schnellstmögliche Ende der Partnerschaft sowie dafür, keinesfalls über die Vertragslaufzeit hinaus zu verlängern. Der Rüstungskonzern Rheinmetall hat Ende August 2025 in Unterlüß die bis dato größte Munitionsfabrik Europas – ab 2027 sollen dort 350.000 Artilleriegranaten gefertigt werden – eingeweiht. NATO-Generalsekretär Mark Rutte betonte bei der Einweihung die strategische Bedeutung, besonders für die Unterstützung der Ukraine.

Der Aufschwung der Rüstungsbranche in Deutschland wird absehbar dazu führen, dass die Lobbymacht wie auch die Bedeutung der Rüstungsindustrie zunimmt. Das hat Risiken und Nebenwirkungen, weil der Umstand zu wenig diskutiert wird, dass es sich bei der Rüstungsindustrie nicht um eine „normale Branche“ handelt. Und zwar nicht in erster Linie, weil Waffen töten, sondern aus strategischen Gründen.

Das Primat der Politik bei Grundfragen der Rüstungsproduktion, Beschaffung und Exporten wird mit diesen Entwicklungen deutlich anspruchsvoller. Neben einem massiven Anstieg der Rüstungsproduktion stiegen auch die Rüstungsausfuhren. 2024 wurden Einzelgenehmigungen mit einem Finanzvolumen von gut 12,83 Milliarden Euro erteilt. Deutschland exportierte damit so viele Kriegsgüter wie noch nie. Auf dem ersten Platz bei den Empfängerländern steht die Ukraine, die Rüstungsgüter im Wert von 8,15 Milliarden Euro erhalten hat.

Präsident Eisenhower wollte mehr Kontrolle der Rüstungswirtschaft

In seiner Abschiedsrede am 17. Januar 1961 warnte US-Präsident Dwight D. Eisenhower eindringlich vor dem wachsenden Einfluss des von ihm so bezeichneten ‚militärisch-industriellen Komplexes‘, also der engen Verbindung zwischen Militärs, Rüstungsindustrie und Politik. Auch wenn Rüstung erforderlich sei, sah Eisenhower – der während des Zweiten Weltkrieges Befehlshaber der US-Truppen in Europa war – darin eine potenzielle Gefahr und forderte eine kritische und aufmerksame Kontrolle durch die Öffentlichkeit, um zu verhindern, dass dieser Komplex zu viel Macht über nationale Entscheidungen gewinnt.

Erforderlich ist in der Tat eine Rüstungsindustriepolitik, die den gesamtstaatlichen Interessen dient, aber zugleich durch klare Grenzen eine Überrüstung und unverantwortliche Rüstungsexporte verhindert. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Rüstungsindustrie in besonderem Maße politisch ist und deshalb dem Primat der Politik unterliegen sollte. Das führt zu einer ganzen Reihe schwieriger Zielkonflikte, vor allem zwischen Wirtschaftlichkeit und dem Primat der Politik in sicherheitspolitischen Fragen.

Planungssicherheit für die Rüstungsunternehmen ist in diesem Sinne für den Aufbau von Kapazitäten und die Innovationskraft unerlässlich. Aber: Eine wachsende Industrie wird Interesse daran haben (müssen), langfristige Kapazitätszusagen zu bekommen und ihre aufgewachsene Produktion auch zu verkaufen. Dies wird den Druck, mehr zu exportieren, erhöhen, aber auch dazu beitragen können, dass produzierte Rüstungsgüter „im Einsatz“ verbraucht sein wollen.

Nun wird kaum jemand behaupten, damit bestehe ein direktes Interesse an Kriegen, weil die schließlich ein gutes Geschäft seien. Dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass dadurch das gewalttätige Austragen von Konflikten begünstigt werden kann. Die regelmäßigen Kriegsbeteiligungen der USA lassen sich auch damit erklären, dass dort alle paar Jahre der Überschuss an Waffensystemen verbraucht werden muss, um Platz für modernere zu schaffen.

Ein moralisches Dilemma, das kritisch zu hinterfragen ist

Diesen Weg sollte Deutschland nicht gehen. Beschaffungen müssen mithin im gesamtstaatlichen Interesse und nicht aufgrund von Partikularinteressen erfolgen. Wenn wirtschaftliche Interessen mit militärischen Konflikten verknüpft sind, entsteht ein moralisches Dilemma, das kritisch hinterfragt werden muss.

Ob Ideen von einer Verstaatlichung der Rüstungsindustrie, um dieser die finanziellen Anreize für Expansion und Auslastung zu nehmen, der Weisheit letzter Schluss sind, mag man bezweifeln. Die Einhegung der Rüstungsindustrie bleibt aber unerlässlich.