Krieg gehört geächtet – Immanuel Kant „Zum ewigen Frieden“
Heute jährt sich der Geburtstag des Philosophen Immanuel Kant zum 300. mal. Kant veröffentlichte vor 229 Jahren seine bekannte Altersschrift mit dem Titel „Zum ewigen Frieden“. [1] [2] Sarkastischerweise war diese Schrift verziert mit einem Wirtshausschild mit dieser Aufschrift, darunter war ein Friedhof abgebildet. Dennoch hat es nach Inhalt der Schrift Immanuel Kant ernst gemeint. Er benennt zunächst paragraphenartig Verhaltensweisen, erfindet dann in „Zweyter Definitivartikel zum ewigen Frieden. – Das Völkerrecht soll auf einen Föderalism freyer Staaten gegründet seyn.“ die UNO, und setzt fort, mit Nachwort und Anhang in der bekannten Kantschen etwas satzkomplexen Formulierungsweise. Bei aller Kritik an Kant, seine Gedanken waren zielgerichtet – und heute so aktuell wie damals.
Krieg gehört geächtet
Doch es sind seither mindestens drei Dinge anders, und diese Dinge sollten uns dazu verführen, nicht nur über den „ewigen Frieden“ dieses Wirtshausschilds zu schmunzeln. Sie sollten begründen, das Nötige dafür zu tun. Im Klartext: Krieg gehört geächtet.
Welche drei Dinge haben sich geändert, kurz aufgezählt: Einerseits haben wir „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ sogar im Grundgesetz stehen, allgemein anerkannt folgend der Formulierung und Aufforderung „Ehrfurcht vor dem Leben“ nach Albert Schweitzer. In älteren Zeiten der Menschengeschichte war es durchaus oft so, dass der einfache Tod – Pech gehabt – in Kauf genommen wurde, etwa bei Ritterduellen, oder eben im Krieg auf dem Schlachtfeld ausgezogen auf Befehl eines Kaisers, Königs, Fürsten oder Feldherrn. Zweitens gibt es vermehrt Erkenntnisse, dass der Mensch eben nicht des anderen Menschen Feind ist (wie es Thomas Hobbes im „Leviathan“ beschrieben hat [3]), sondern das menschliche Wesen ist eigentlich auf Gemeinsamkeit orientiert. Dies versucht der niederländische Autor Rutger Bregman mit viel Recherche nachzuweisen in seinem Buch „Im Grunde gut“, siehe dazu mein kurzes Essay in der Zeitschrift „der Freitag“ [4].
Und zum dritten haben wir zwei Weltkriege hinter uns, und die Atombombe, mit der Erfahrung der Entmenschlichung des Krieges. „Entmenschlichung“ möchte ausdrücken, früher, zu Kants Zeiten haben noch Mann gegen Mann gekämpft. Heute kämpfen nicht mehr Menschen gegeneinander (dagegen schrieb Kant an) sondern Technik angetrieben von Machtstreben. Menschen gehen dabei in Massen zugrunde, auf dem Schlachtfeld oder als zivile Opfer. Mindestens das letztere sollte zur Ächtung des Krieges führen. Doch leider mehren sich fast 80 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, die Details wohl langsam in Vergessenheit geratend, wieder Stimmen, die „Kriegstüchtigkeit“ herbeireden und einen „Siegfrieden“ gegen den angeblichen Feind beschwören, mit der Forderung nach Waffenlieferungen.
Die vom US-Senat bewilligten 60 Milliarden Dollar Ukrainehilfe sollte besser für einen Wiederaufbau der Zerstörungen und für Wirtschaftshilfe genutzt werden, statt noch mehr zu zerstören.
Die beschwörte territoriale Einheit
Es ist richtig, von der Weltöffentlichkeit anerkannte Staaten können auf ihre territoriale Einheit pochen und jegliche Abtrünnigkeit etwa in Randgebieten, die oft von Nachbarstaaten mit getragen oder gar provoziert ist, als Angriff auf ihre territoriale Einheit werten und als Angriff abwehren.
Es geht heute also um die „territoriale Einheit der Ukraine, deren Verteidigung unumstößlich sei“. Denken wir mal zurück an 1991, damals gab es einen international anerkannten Staat Jugoslawien, und eine Tendenz, im Sog der Dynamik, dass sich einige Territorien oder Mitglieder dieser staatlichen Föderation abspalten wollten (beginnend mit Slowenien). Das wurde damals sofort gut geheißen von mindestens einem Außenminister, der die „Westlichen Werte“ vertrat, Hans Dietrich Genscher. Die Dynamik dieser im Staat Jugoslawien unabgesprochenen Entwicklung führte letztlich zu den Jugoslawienkriegen 1991 bis 2001. Diese hätten möglicherweise verhindert werden können, indem notwendig längere völkerrechtliche Verhandlungen unter Einbeziehung aller Interessenten anstelle dieser vom Westen begrüßten Abspaltungen geführt worden wären. Friedlicher war es mit der Abspaltung der Slowakei von der nach 1918 gebildeten Tschechoslowakische Republik. Dass die Slowaken mit der in Prag zentralisiert sitzenden Regierung nicht glücklich waren, war schon zu DDR-Zeiten (vor 1990) in mündlicher Rede bekannt. Die Abspaltung beziehungsweise Aufteilung war also gewünscht und auch vollzogen, dort zum Glück friedlich.
Im Gegensatz dazu – bei einer möglichen Abspaltung bestimmter Gebiete in der Ostukraine wird sofort die Territoriale Integrität beschworen. Die Sachzusammenhänge, nehmen wir einmal die Tschechoslowakische Republik als Vergleich, sind aber ähnlich. Die Gebiete der östlichen Ukraine, Luhansk, Donezk wurden bereits 2014 als eigenständige „Volksrepublik“ gegründet und waren seitdem strittig. Eben deshalb gab es das Minsker Abkommen, das allerdings von keiner Seite eingehalten wurde.
Bedenkt man aktuelle Entwicklungen in der Europäischen Union, die Freizügigkeit des Reisens und der Wirtschaft, dann nimmt die Bedeutung der staatlichen Zugehörigkeit eigentlich ab, Regionen dürfen selbständig handeln. Heute kann man im ehemaligen „Schlesierland“ als Deutscher sich durchaus wieder niederlassen, wirtschaftlich tätig werden, als auch anders herum als polnischer Unternehmer in Deutschland.
Das westliche Hegemoniestreben
Bei der Änderung der Territorien bestehender Staaten oder deren Auflösung (Jugoslawien) wird also mit zweierlei Maß gemessen. Die Zustimmung der Auflösung der osteuropäischen Staaten gefiel der westlichen Welt, nach dem Prinzip „divide et impera“. Die Zustimmung zu Regionen, die sich eher nach Moskau orientieren, gefällt dem westlichen Imperium nicht. Also Schlussfolgerung: Verteidigung, Waffenlieferungen, Siegfrieden – bis zum letzten gefallenen Ukrainer oder in Gefahr einer nuklearen Eskalation – etwas überzogen doch deutlich formuliert.
Moskau ist der traditionelle Hegemoniegegner des Westens, seit 1918, seit 1945, und weiterhin. Die gesamte Entwicklung dieses Konflikts ist gekennzeichnet durch:
1990 Verträge mit der Sowjetunion (Gorbatschow) über Nicht-Ausdehnung der NATO, Abzug der sowjetischen Truppen aus Ostdeutschland.
1991 Auflösung der UdSSR, Bildung einer sogenannten „GUS“ Gemeinschaft unabhängiger Staaten. Oligarchen in Russland, die mit dem Westen in die eigene Tasche wirtschaften.
1999 Boris Jelzin ist am Ende, er selbst ernennt Wladimir Putin zum Nachfolger, darauf hat Putin nur gewartet, er nimmt das Zepter sofort in die Hand. Oligarchen werden verdrängt und enteignet. Es geht wieder „aufwärts“ mit der Russischen Wirtschaft, allerdings mit harter Hand. Beziehungspflege Deutschand – Russland (Merkel, Putin), wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zeitgleich NATO-Osterweiterungen inklusive Gesprächsangeboten, Russland könne auch Mitglied der NATO werden oder zumindestens Mitspracherechte haben [7].
2014 Dem Westen (USA) gefällt das nicht. Es gibt Sanktionen. Nordstream-2 Zulassung wird nicht unterstützt, Russland soll deutlich zurückgedrängt werden. Die Situation in Lugansk und Donezk ist prekär und ungelöst.
Die Westlichen Werte
Was sind die oft beschworenen Westlichen Werte? Sollten sie überall über die Welt kommen, sollte der Westen sich als Gesellschaftssystem vollständig durchsetzen? Mit Krieg? Ohne Krieg? Was ist, wenn „die Anderen“ nicht wollen? China, Russland, Korea, Iran, … Afrika und Indien auch?
Wir kennen die Geschichte der Aufklärung „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. In der Französischen Revolution war davon noch keine Rede, heute schon: Frauenrechte, im Vergleich beispielsweise mit Iran.
Die „Westlichen Werte“ haben offensichtlich zwei Gesichter. Das eine ist positiv, Demokratie, freies Handeln (im Rahmen der Möglichkeiten), freie Meinungsäußerung. Auch wenn dies nicht immer klappt, es ist vorhanden und hat Potenzial zur Weiterentwicklung. In keinem anderen Teil der Welt ist das so garantiert wie in der westlichen Hemisphäre. Doch halt, weiß ich das so genau? Ist das nicht schon wieder die aus der Kolonialzeit gewohnte westliche Überheblichkeit? Ich habe letztlich positive Berichte des Lebens-Flairs aus Thailand gelesen, ganz anderer Teil der Welt.
Das zweite Gesicht der westlichen Werte ist das der Machbarkeit, Macht und Kapital. Für Geld kann man alles haben. Sogar für recht wenig Geld in ärmeren Ländern: Im einfachen Fall den Großflächenfernseher oder das Motorrad, Weiterhin Macht über andere Menschen (Frauen, Kinder, Bedienstete), kann Leuten befehlen für mich zu tun. Das alles ist möglich nur durch Teilhabe an diesem System. Aus der Sicht anderer, oft ärmerer oder eher abhängiger Länder bedeutet das, Handel mit dem Westen treiben, die eigenen Leute und Bodenschätze ausbeuten, in die eigene Tasche wirtschaften. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Bevölkerung oder verschiedene Kreise gerade in den Ländern der „Zweiten und Dritten Welt“ kritisch auf den Westen schauen.
Die Bemerkung über das „Motorrad“ ist stimuliert von einer Deutschlandfunk-Sendung, die sich eigentlich mit Naturmedizin in Afrika beschäftigte [8], jedoch mit dem Hinweis, 1924 war ein Gesetz gegen „Hexerei“ erlassen worden, von den damaligen Kolonialmächten, das ist heute endlich wieder aufgehoben, und zusätzlich ist eingebracht worden, Beschuldigungen als Hexer unter Strafe zu stellen. Es ist durchaus vorgekommen, dass Kinder ihre Eltern beschuldigt oder sogar umgebracht haben, nur um an ihr Erbe, das Land, zu kommen. Folgendes Zitat ist aus der Sendung: „Das Land zu verkaufen, ist nicht die Lösung […] Die Jungs verprassen das Geld für ein Motorrad und leben ein paar Monate auf großem Fuß. Dann haben sie kein Geld, kein Land und keine Eltern mehr. Kein Wunder, dass Depression und Suizid so verbreitet sind.“ Das ist der westliche Einfluss. Daher gibt es Gegenbewegungen.
Als die ersten Filialen von McDonalds in Russland öffneten, soll es lange Schlangen gegeben haben, jeder wollte dort hin. Das ist der Sog der „Westlichen Werte“ in Gebieten, die eher „nur davon gehört“ haben und den Westen auch mit seinem Negativgesicht nicht kennen.
Dazu ein weiteres Beispiel aus eigener Erfahrung: Gleich nach 1990 fiel mir selbst auf, dass Ungarn, vorher schon so weit wie möglich westlich orientiert, daher begehrtes Reiseland für DDR-Bürger, sich offensichtlich vollkommen dem Westen verkauft hat. Zu einer Zeit, als bei uns als Ossis das Erwachen kam, „oh, Westen ist doch nicht so gut“. (Treuhand, keine blühenden Landschaften). Wie ist es jetzt in Ungarn? Offensichtlich gab es eine Gegenbewegung, die spätere starke Abkehr vom Westen. Auch die EU ist nicht immer segensreich. Die Finanzmittel werden gern genommen, von den Regierungen. Eben läuft eine Sendung im Deutschlandfunk 30. April 09:22 innerhalb „Europa heute“: „20 Jahre nach EU-Beitritt: Litauens Bauern blicken kritisch auf die Union“ – Thema: Zuviel Bürokratie für kleine Bauern, Kleinbauern am Rande des Existenzminimums. [12]
Was hat dies mit Krieg zu tun? Nichts, wenn nicht einige Politiker oder Interessenten die westliche Sphäre überall ausbreiten wollten (auch als Hegemoniestreben zu bezeichnen). Die Ukraine liegt am Schnittpunkt der westlichen Welt und einer anderen nicht-westlich orientierten Welt und hat Pech, muss dies austragen. Zudem kommt die Gefahr der Eskalation des Konflikts, der eher Europa als den anderen Teil der westlichen Welt auf der anderen Seite des Atlantik trifft.
Nationalstaaten als Treiber der Kriege?
Gehen wir noch einmal zurück zum Thema Jugoslawien. Beschäftigt man sich nur oberflächlich etwas tiefer mit dessen Geschichte (Wikipedia), dann wird schon deutlich, das Jugoslawien serbisch geprägt war. Schon im 19. Jh. in Auseinandersetzungen mit Östereich/Ungarn und auf der anderen Seite den Osmanen gab es die Idee eines „Großserbien“ [9]. Details sind dort nachzulesen. Bereits 1915, also weit vor dem Ende des Ersten Weltkrieges mit den Gebietsneuaufteilungen, gab es Forderungen aus serbischen Kreisen an die Entente, „die Gründung eines südslawischen Staates zu garantieren. “ (Zitat aus [9]). Dass Jugoslawien vor 1990 stark serbisch geprägt war, sollte hinreichend bekannt sein. Das Austrittsbestreben von Slowenien und Kroatien gleich nach 1990 war also durchaus verständlich.
In den Zeiten des Mittelalters gab es Kriege zumeist zwischen Fürsten, die um die Vorherrschaft über einige Gebiete stritten. Die Bildung der „Nationalstaaten“ wird zumeist erst mit der Zeit der Aufklärung in Verbindung gebracht. Davor gab es fast so etwas wie eine Europäische Union, die Fürsten waren häufig verschwägert. Herrschaftsansprüche waren in verschiedenen Linien quer durch Europa vorhanden. Selbst Frankreich war vor der Zeit Ludwigs IVX. noch um einiges kleiner, aufgeteilt in viele Grafschaften und Fürstentümer.
Der Siebenjährige Krieg von 1756 wird teils als der eigentliche erste Weltkrieg bezeichnet [10]. Mittlerweile gab es Großmächte, die nach Vormachtstellung rangen. Der erste Weltkrieg von 1914 war nicht etwa wie oft dargestellt ein brutaler deutscher Angriff auf den Rest der Welt oder eine Dummheit des deutschen Kaisers Wilhelm II, sondern etwas, was damals in der Luft lag: Wieder ein Kräftemessen, das allerdings in Stellungskrieg und Materialschlacht ausartete.
Staaten, die unabhängig und damit gegeneinander agieren, neigen zu Krieg. Regionen, die Wirtschafts- und Lebenszentren darstellen, sinnvollerweise mit anderen Regionen zusammenarbeiten, von Menschen und nicht von Ideologien determiniert sind, dürften eher Garanten des Friedens sein. Menschen wollen friedlich miteinander zusammen leben.
Die Schlussfolgerung wäre, die typischen Nationalstaaten, die sich seit dem 18. Jh. herausgebildet haben, sollten eher aufgelöst werden. Deutschland auflösen? Nicht schon wieder eine Revolution. Revolutionen sind keine Motoren der Geschichte (hier hat Karl Marx meiner Meinung nach geirrt), sie sind ein Treiber von Kriegen. Denken wir an Napoleon nach der Französischen Revolution, an den Kampf der Rotarmisten gegen den Rest Russlands, an das letzliche Scheitern des „Arabischen Frühlings“ 2011. Wenn also irgendwo von „den deutschen Staat auflösen“ die Rede ist, dann weiß man nicht, welche Interessen wirklich dahinter stecken. Folglich ist es gerechtfertigt eine Sache für die dafür vorgesehenen Organe zur Beobachtung. – Doch die Bedeutung der Nationalstaaten kann reduziert werden im Sinne der höheren Bedeutung von Regionen zum Beispiel innerhalb der Europäischen Union. Diese Entwicklung ist im Gange, wenn man beispielsweise nur die Freizügigkeit der Wahl des Wohn- und Arbeitsplatzes außerhalb des Heimatstaates bedenkt, freie Reise-Bewegungen im Schengenraum und weiteres. Solche Entwicklungen brauchen ihre Zeit. Wesentlich dürfte dazu auch die Idee der „Deliberativen Demokratie“ [11] sein, denn wenn eine Institutionalisierung in Form eines Staates mit Herrschaft über seine Teilterritorien aufgebrochen wird, ist es wichtig, dass es einen demokratischen sogar noch verbesserten Ersatz gibt, und sich nicht etwa wieder oligarchische machtorientierte Führungen in den Regionen bilden.
Die Ebene über den Regionen, die gemeinsame Regeln vorgibt (nicht Macht und Geld) braucht es auch. Das wäre in Europa die EU. Diese sollte sich allerdings weg von einer Geldtransfermaschinerie hin zu einer Instanz entwicklen, die ‚nur‘ gemeinsame Regeln vorgibt, angeführt vom EU-Parlament, damit die EU nicht zum Ersatz der Nationalstaaten als Großmacht mit den selben Nachteilen wird.
Warum sind Staaten eher kriegstreibend als Regionen? Weil in Staaten sich ideologische Interessen bilden können, geführt von wenigen Menschen, die im Staatsgebiet dann auch mitlaufende Anhänger finden. Man stelle sich nur als Beispiel folgendes vor: In ehemals schlesischen Gebieten bildet sich eine Bewegung „Aufbruch nach Deutschland“ oder mit ähnlichem Namen. Diese findet in einer deutschnationalen Stimmung im „Mutterland“ die erwünschte ideologische Unterstützung. In dieser Stimmung kann es wieder zu einem lokalen Krieg kommen, weil der Staat Polen, dessen territoriale Einheit damit angegriffen wird, das sich selbstverständlich nicht bieten lässt. Es schaukeln sich einzelne Gruppeninteressen schon wieder hoch. Ist dagegen Schlesien eine Region in Europa, in der selbstverständlich deutsche wie auch polnische Unternehmer agieren können, demokratisch deliberativ geregelt und geschützt, dann funktioniert das. Das Volk selbst wird nicht zu einem Krieg rufen. Menschen verstehen sich miteinander.
Die guten Werte der westlichen Welt mit Diplomatie verbreiten
Zurück zu den positiven Seiten der „Westlichen Werte“. Eben darum muss es Austausch, gegenseitige Akzeptanz verschiedener Ordnungen, Verhandlungen geben. Deshalb ist es gut, dass Olaf Scholz zu Gesprächen nach China fliegt, oder wie Anfang 2023, nach Afrika und Brasilien.
„Liebe deine Feinde“ mag für Bibelleser ein großer Spruch sein. Abgemildert ist das „Kenne deine Feinde, dann kannst du dich eher auf ihre Situation einlassen und gut mit ihnen auskommen oder verhandeln“. Rutger Bregman (Buch „Im Grunde Gut“) führt das am Beispiel Nelson Mandela, Südafrika 1994 aus. Sein Gegenspieler Constand Viljoen wollte als Militärführer alles daransetzen, die Wahl Nelson Mandelas als Präsident Südafrikas zu verhindern. Doch sein Bruder Abraham Viljoen arrangierte ein Treffen mit Nelson Mandela und seinem Militärführer-Bruder. Nachdem Constand Viljoen Mandela persönlich kennen gelernt hatte, seine Geschichte mit eigenen Augen gesehen und gefühlt, und insbesondere auch gesehen, dass Nelson Mandela sich ausgiebig mit der wechselvollen Geschichte der Buren in Südafrika auseinandergesetzt hatte (er hatte Zugang zu Büchern in seinem 27 Jahre währenden Knast-Leben), lenkte er ein. Das ist die Friedensgeschichte Südafrika 1994.
Wie ist es nun mit der Stimmung in unserem Land, in der Bevölkerung, bei unseren Politikern. Auffallend ist, das ostdeutsche Politiker sich eher moderat zu Russland äußern, wogegen aus westdeutschen Kreisen eher die strikte Ablehnung kommt. Ostdeutschland hat nun wirklich 40 Jahre unter russischer Vorherrschaft gelitten und hat faktisch immer nach dem Westen geschielt. „Im Westen ist alles besser“, dieser Spruch galt bis etwa 1992 für vielleicht 90% der ostdeutschen Bevölkerung. Mitnichten waren wir russisch manipuliert. Doch wir kennen die russische Sprache und Mentalität.
Ich möchte hiermit meine eher westdeutsch geprägten Mitbürger als Leser dieses Artikels dazu anregen, darüber nachzudenken, ob sie möglicherweise von einem seit 1949 gepredigtem Feindbild Sowjetunion und Russlands geprägt sind. Die neue russische Geschichte sieht mit anderen Augen betrachtet möglicherweise ganz anders aus.
Um dies deutlich zu machen, es geht nicht primär um „Putin-Versteher“, sondern das Verständnis für eine große Region in der Welt, Russland, die eine eigen Geschichte und ein ihr eigenes Verständnis hat. Es hat sich gezeigt, dass die Sanktionen von 2022 nicht wie von einigen deutschen Politikern vorausgesagt zum schnellen Bankrott Russlands und folglich zu einem Sieg des Westens führt, sondern andere Teile der Welt, die vielleicht von jahrzehntelanger USA-Hegemonie nicht mehr so sehr angetan sind, arbeiten mit Russland zusammen. Die Gesamt-Weltlage hat sich etwas geändert, weg von dem 1991 propagierten „Ende der Geschichte“ [5], dem vollständigen Sieg der „Westlichen Werte“, sichtbar auch an der einsetzenden vollständigen Globalisierung der Weltwirtschaft, hin zur Einsicht in das Faktum, dass es in der Welt verschiedene Player gibt, die eine vollständige Hegemonie der „Westlichen Werte“ nicht zulassen. Es sei hier nicht diskutiert, ob das gut oder schlecht sei. Es sei aber daran erinnert, dass es schon einmal eine fast vollständige Vorherrschaft der Westlichen Welt gab, Kolonialpolitik, Sklaverei und Rassismus, und einige Kriege. Man sollte also nicht die „Westlichen Werte“ als alleinig überragend begreifen, auch wenn das Demokratieverständnis und selbst grundlegende Menschenrechte in anderen Gesellschaften nicht so deutlich gegeben sind. Dies hat alles noch Verbesserungspotenzial, auch in unserer westlichen Gesellschaft.
Die Schlussfolgerung: Auch die Anderen agieren lassen und akzeptieren, Russland, China, Europa, Afrika.
Einzelne Menschen sind Kriegstreiber
Nun nochmal zurück zu dem Kapitel am Anfang: „Krieg gehört geächtet“ und den ersten beiden Dingen, die sich seit Kants Zeiten geändert haben: „Ehrfurcht vor dem Leben“ und „Im Grunde gut“ als Einschätzung des menschlichen Wesens nach Rutger Bregman und weiteren Autoren.
Früher, als der Krieg noch nicht hoch technisiert war, war der Bauer möglicherweise sogar Leibeigener des Fürsten und wurde für den Fürst in den Krieg geschickt. Es galt nur der Fürst. Das Leben des Bauern galt nicht, nicht beachtenswert. Auch damals spielten die Fürsten und Könige miteinander, rangen in Schlachten ihre Machtstellungen aus. Das hat sich heute nicht geändert, nur dass die „Kollateralschäden“ von Kriegen höher sind. Krieg möchten einzelne Menschen. Dazu zählen auch die Rüstungsindustrieellen, die sich in den Ledersessel zurücklehnend ihre Dividenden auf ihre Aktien zählen. Sie verdienen am Krieg, kämpfen nicht selbst. Dazu zählen machtbesessene Staatsführer, die möglicherweise ohne ihre Staatsmacht wegen diverser Vergehen im Gefängnis landen würden, hierbei denke ich nicht vordergründig an Putin. Dazu zählen auch und insbesondere ideologisch verblendete Menschen, die nur ihr Weltbild sehen, ihre Welt durch ihre Brille, und viele folgen ihnen weil ihnen auch eine ähnliche Brille aufgesetzt wurde.
Eben deshalb und aus Sicht der eigentlich oder im Grunde friedlichen Menschen sollte als Leitwert gelten: Der Krieg gehört geächtet.
Was tun mit Leuten die Völkermord befehlen, ausführen. Denken wir in der Vergangenheit an Hitler und seine dienstbeflissenen Helfer. Denken wir in der Gegenwart sowohl an den aktuellen Gaza-Krieg als auch an Überfälle auf Irak und ähnliches, auch den „Islamischen Staat“ und dessen „Kämpfer“ oder an das Militärregime in Myanmar.
Diese Leute, es sind meist einzelne Personen ausmachbar, gehören vor ein International organisiertes Gericht. Wir haben die UNO, wir haben den Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Auch wenn diese Personen im Moment nicht zugreifbar sind, sie müssen wissen, dass sie auf internationaler Bühne nicht bestehen werden können. Treten sie auf, werden sie aufgrund Auslieferungsanträge verhaftet. Sie können sich nur verstecken. Das sollten sie wissen. Die Weltgemeinschaft muss Tacheles reden. Nur damit ist solchen Treiben eventuell Einhalt zu gebieten. Es bedarf keines Krieges dafür.
Auch die, die Waffen liefern, machen sich als Hehler mitschuldig.
Literaturverweise (Internet)
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Zum_ewigen_Frieden Erklärung zu Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“
[2] https://www.projekt-gutenberg.org/kant/ewfriede/titlepage.html – Abdruck Kants Schrift
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Leviathan_(Thomas_Hobbes) – Das Weltbild, Menschen seien gegeneinander feindlich, nur ein starker Staat kann befrieden.
[4] https://www.freitag.de/autoren/kassandra/menschenbild-im-grunde-gut-eine-neue-geschichte-der-menschheit Essay zum Buch von Rutger Bregman, Link zum Buch (ISBN) dort.
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Ende_der_Geschichte Buch „The End of History and the Last Man“ von https://de.wikipedia.org/wiki/Francis_Fukuyama, USA-Polikwissenschaftler
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Luhansk Geschichte der Stadt und Region.
[7] https://www.deutschlandfunk.de/nato-osterweiterung-russland-braucht-ein-mitspracherecht-100.html Sendung vom 19.05.2016
[8] https://www.deutschlandfunk.de/auf-der-suche-nach-wirklicher-gesundheit-100.html, gesendet am 28.04.2024
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Großserbien (Geschichte, Hintergründe)
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Siebenjähriger_Krieg
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Deliberative_Demokratie – Demokratieform mit allgemeinem freiem Mitspracherecht.
[12] https://www.deutschlandfunk.de/europa-heute-komplette-sendung-vom-30-04-dlf-e7023c92-100.html – zum Nachhören mit dem Teilthema „20 Jahre nach EU-Beitritt: Litauens Bauern blicken kritisch auf die Union“ nach ca. 10 min.